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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 173/174 (August 1913)
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Meyer, Alfred Richard: Paris
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0089

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Rudolf Leonhards Neese stellt den Are de Tri-
omphe erheblich in den Schatten.

In seinem Herzen ruht Napoleon angelisch.

Fritz Max Cahen

(mefiez-vous des contrefagons Fanale-Vetter und
so!)

hat viele blaue Tauben im Luxembourg seiner
Haare.

Ernst Wilhelm Lotz mit seinen schönen Raubtier-
flecken

läßt die Galeries des animaux vivants

du Jardin des Plantes

aufbrüllen.

Oben auf dem Buffet ist jder Pere-Lachaise
von fünfundzwanzigtausend Zigarrenkisten,
mit Titelbildern von Matisse und Picasso,
nur eines ist von Marie Laurengin.

Fledermäuse und Motten huschen schnurks als
Camelots

durch die Zimmerlinden, durch die Oleander.

Zur Sorbonne weisen Hände,
hier „Für Herren“,
dort „Für Damen“.

Dazwischen kippt ein buntes Hürchen
ihren diesbezüglichen „Leichenwagen mit Trod-
deln“.

Ein Hafer-Motor grinst über seine Bilz hinweg.

Ein neurasthenischer Nußknacker aus Rixdorf,
pardon Neukölln,

wiegt reichlich Magic City und Luna-Parc auf.
Ein Bürger, eisbeinschmatzend, wird zum Mont
Valerien,

um den die Junikäfer — hei! — Aeroplane kreisen,
die Böen unsrer Zigaretten heldenhaft bestehen.

Ich glühe tief und weiß:
ich bin der Eiffelturm!

Ich fühl in mir den Fahrstuhl auf und nieder
schweben.

Mehr als einmal ist es eine sächsische Reisege-
sellschaft.

Ich empfange dankbar drahtlose Depeschen
aus Kanada,

Timbuktu,

Nauen

und Adrianopel.

Die liebe Mitwelt sorgt ganz mütterlich für Sen-
sationen:

Nicht wahr? Paris liegt gar nicht an der Seine!

Alfred Richard Meyer

Die Schwermut des
Genießers

Roman „ ,

Von Artur Babilotte

Fortsetzung

Er erkannte, daß sich alles rundete und zu einem
vollendeten Ganzen zusammenschloß und daß der
Schmerz, den ihm der in der Nacht aufklingelnde,
gramvolle Erinnerungen weckende Schritt berei-
tet, notwendig war, um die Formen neuen Er-
lebens um eine neue Form zu bereichern. Er war
in dieser Stunde hellsehend, indem er den Zusam-
menhang alles Geschehens erfaßte. Zum ersten
Male hatte er das Gefühl, daß nun auch ihn dieser
große weitausgreifende Kampf erwarte, daß diese
kleine Stadt in ihrer nüchternen Behäbigkeit sein
erster Gegner sein werde. Er erinnerte sich aller
Worte des Redakteurs und erkannte, daß dieser
kalte Mann nicht als Einzelner zu ihm gesprochen,
sondern als Vertreter der Stadt, die da taleinge-
bettet lag in Nacht und Schwüle.

Der Furchtbarste unter diesen Menschen ist
Redakteur Todt, wiederholt der Arbeiter, während

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sie zwischen die ersten Häuser traten. Er lenkt
alle. Aber keiner gibt es zu, obwohl es alle
wissen.

Der Arbeiter erzählte weiter. Die Sehnsucht
des Menschen, der stets an der Kunst vorüber-
gehen mußte, klang in seinen Worten. Sie glühte
wie ein Feuer, das aufflammen möchte und doch
von einer stärkeren Macht niedergehalten wird.
Er hatte etwas verschüchtert zärtliches in seinem
Wesen; keine seiner Bewegungen war eckig und
hart; als hätte der unermüdliche Lerndrang, dem
er trotz schwerer körperlicher Arbeit nachgab,
auch auf sein Aeußeres Einfluß ausgeübt. Die
Züge seines Gesichtes, von Natur grobgeschnitten
und ohne edle Linien, waren durch die Sehnsucht
reiner und schöner geworden. Er erkannte die
Gelassenheit, mit der der Künstler auf das Suchen
und Verlangen der Menschen hinsah; und erkannte
die Entschlossenheit, mit der er selbst seinem Ziele
entgegenfieberte.

Während sie durch die gerade, häuserbezeilte
Straße, die sich langsam in die eigentliche Stadt
senkte, schritten, erzählte der Arbeiter vom Kon-
servatorium.

Vor sechs Jahren dachte hier noch keiner dar-
an, daß die Musik eines Tages ihren Einzug in die
Stadt halten würde. Wir hatten schon damals
einen Turnverein mit eigener Musikkapelle, und
auch die Feuerwehr musizierte, wenn sie ihren
Jahrestag feierte. Redakteur Todt war der Grün-
der dieser Kapellen, er schrieb ihnen vor, was sie
spielen sollten. Märsche, Tänze. Die große Trom-
mel spielte immer. Ich habe einige Monate teil-
genommen. Ich fragte den Redakteur, warum wir
keine wertvolleren Sachen spielten . . . Stücke aus
Opern, Sonaten von großen Meistern, von denen
ich gelesen hatte. Er lachte mich aus. Das, was
wir in der Stadt spielten, das wäre die einzige Mu-
sik, die Berechtigung hätte. Sie mache dem Volk
Vergnügen . . . und das sei der Zweck der Mu-
sik. Ich weiß ja nicht, ob er damit Recht hat . .
abgr ich hatte das Gefühl, die Musik sei doch zu
was andern da, und darum trat ich aus. Das war
vor sechs Jahren. Seit damals betrachtete mich
der Redakteur mit mißtrauischen Augen. Bald
darauf sind wir offene Gegner geworden.

Er besann sich und nahm die Erzählung vom
Konservatorium wieder auf. Von den Opfern, die
es den Gründern im Laufe der fünf Jahre seines
Bestehens gekostet hatte; von der Tapferkeit, mit
der alle Hindernisse überwunden wurden.

Da hab ich verstehen gelernt, sagte er in ehr-
licher Freude, daß diejenigen, die Anhänger der
neuen Musik sind, nicht mit einem Schimpfen ab-
getan werden dürfen. Ihre Absichten sind gut;
ich hab sie in diesen fünf Jahren kennen gelernt.
In keinem Konzert hab ich gefehlt, und je mehr der
Redakteur in der Zeitung über die höhere Musik
geschimpft hat, umso fester hab ich an sie ge-
glaubt. Alles Toben hat ihm nichts genützt. Die
Reichen gehen gern in die Konzerte, weil sie hier
sonst nichts haben und die Armen können nicht
hineingehen, selbst wenn der Redakteur es ihnen
anraten würde. Hier ist er machtlos. Das Kon-
servatorium ist das Stärkste in der Stadt: es küm-
mert sich um keinen und geht seinen Weg. Es
kommt mir immer vor wie ein fester Turm zwi-
schen armseligen Hütten.

Er begann, sich sicherer zu fühlen. Die Scheu
vor dem Höherstehenden, die seine Worte und Be-
wegungen bisher gedämpft hatte, verminderte sich,
gab die Gefühle und Gebärden des Arbeiters frei.

Aus der Unermüdlichkeit, mit der der Direk-
tor dem Konservatorium Vorstand, schlug die Be-
geisterung immer größere Kreise, indem sie alle,
die mit dem Konservatorium in Berührung kamen,
an sich zog: die Lehrer; die hervorragenden

Schüler, die weniger fähigen; die Reichen, die alle
Konzerte besuchten; die andern, die draußen in
der Welt lebten und Anteil nahmen an seinem Ge-
deihen. Wie eine breite, majestätisch nach allen
Seiten ausgreifende Ueberschwemmung flutete die
elementare Freude des Arbeiters. Er lebte nur
für das arme Volk, er arbeitete sich durch hun-
dert und aberhundert Bücher der Politik hindurch*
um das Bestehende kennen zu lernen und nach ihm
das Zukünftige zu richten, wie es ihm gut schien.
Aber, ihm unbewußt, glühte noch eine andere Be-
geisterung in ihm, die Begeisterung für die Musik.
Sein Wesen trug Knospen künstlerischer Schön-
heit. Es war die Schönheit einer Arbeiterseele,
die, in Not gefesselt, nach Freude verlangt.

Der Künstler erkannte das Hauptmotiv im Le-
ben dieses schlichten Suchers. Und indem er dies
erkannte, ergriff ihn ein leises Schuldbewußtsein.

Er hatte gelebt in dem ewigen Rausch eines
fruchtbaren Schaffens und immer das Ziel im
Auge gehabt: den Menschen das neue Kunstwerk
zu schenken. Aber in diesem Rausch und in die-
ser Hoffnung hatte er vergessen, die, die er so
reich beschenken wollte, kennen zu lernen, sie zu
fragen, ob sie denn sein Werk auch haben möch-
ten. — In hartem Hochmut hatte er einsam sein
Werk geschaffen, — die Erinnerung daran, daß
unter den Menschen jeder seine andern heiligen
Wünsche hegte, machte ihn unzufrieden mit sich
selbst. Viele anklagende Stimmen stürzten auf
ihn ein. Die Briefe des Vaters begannen in ihm
zu tönen, diese knurrigen, nörgelnden Briefe eines
Mannes, der seinem einzigen Sohn den sonder-
baren Wunsch nach der Kunst nur erfüllte, weil
er ihn für den letzten hielt. In diesen Briefen
grollte der Zorn über den „Musikanten“ und lachte
die Freude über den gesunden Sohn. Und alle
die mahnenden Stimmen derer, die es gut mit ihm
meinten; ratende, streichelnde, bittende Stimmen,
die meinten, er müsse seinen überspannten Träu-
men entsagen, wenn er in der Welt vorwärts
kommen wollte. All das Achselzucken und Spott-
lächeln derer, die ihn nicht verstanden. Alles was
er je Unangenehmes erlitten hatte, vereinigte sich,
um die Qual dieser Stunde noch schrecklicher zu
machen. Ja, dieser Arbeiter war gekommen, im
Namen desi Volkes Gericht über ihn zu halten, weil
er im Egoismus des Künstlers nie tatkräftig der
Not des Volkes gedacht hatte. Und bald würden
wohl die andern kommen, die Bauern, die Bürger,
die Aristokraten. Und die Menschheit, der er
das Heil seiner Kunst bringen wollte, die würde
ihm entgegen schreien: Was soll uns deine
Kunst? Gib uns unsere Kunst, die Kunst, die
w i r haben wollen, und die wir haben müssen!
Alles vereinigte sich in dieser Sommerabend-
stunde, um ihn mutlos zu machen. Er wehrte sich
dagegen, aber alle Kraft war zu schwach. Jetzt
hatte jener anklagende Blick aus großen Arbeiter-
augen eine Stimme gewonnen, um ihm seine Schuld
in die Seele zu schreien. Dies war seine Sünde
gewesen: dem Ruf, den jener 'Arbeiterschritt in
der Nacht geweckt hatte, nicht gefolgt zu sein.
Statt hinter ihm her zu schreiten, hatte er ihn lang-
sam verklingen lassen in empfindsamem Egois-
mus, in dem Abscheu vor dem brutalen Erinnert-
werden an die Not der andern. In der Qual dieser
Stunde vergaß er, daß der Künstler außerhalb der
andern stehen muß, wenn er ihnen Erlösung brin-
gen will. Er gab sich ganz dem Mitleid hin, der
heimlichen Sehnsucht in den Worten und Gedan-
ken des Arbeiters. Dieses Mitleid war wie eine
große Hand, die unbarmherzig alle freien Gedan-
ken, alle tiefe Freude an neuem Schaffen, alles
glückselige, fördernde Unbekümmertheit zusam7
menraffte und zwischen ihren plumpen Fingern ge-
fangen hielt.

Fortsetzung folgt.
 
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