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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 178/179 (September 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [11]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0106

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gewesen, als ihr der Geliebte ihr eigenes Wesen
erschloß und ihr zeigte, daß sie viel reicher und
schöner und gütiger als die andern sei. Ein Jubel
war in ihr. Die Zukunft erschien ihr in goldenem
Licht; bewundert, beneidet würde sie durch das
Leben gehen als die Gattin eines berühmten Man-
nes. Freudig würde sie dieser Stadt den Rücken
kehren, die ihre Heimat war. Sie wollte hinaus
in die großen Städte, wo die Menschen anders
waren.

Der Beifallsjubel, der hinter ihr aufrauschte,
riß sie aus ihren aufrührerischen Gedanken.
Lächelnd blickte sie den Geliebten an -—: Du, wir
verstehen uns, sagte dieses Lächlen, wir sind viel
zu gut für diese Menschen, du! So schnell war Eva
Hermann stolz und selbstbewußt geworden.

— Ich habe während des ganzen Stückes eine
der Gasflammen an der Rampe betrachtet, erzählte
der Künstler, als sie Arm in Arm der hinausströ-
menden Menge folgten. Zum ersten Male ist mir
die Schönheit der Gasflamme aufgegangen. Es ist
zitternde Musik. Man leidet, wenn man sieht, wie
dieses Licht etwas unendlich Herrliches sagen
möchte und doch nur zittern kann.

Sie schritten wieder durch die schwatzenden
und lachenden Menschen im Garten. Ganz hinten,
unter zwei besonders mächtigen und ehrwürdigen
Bäumen, stand ein größerer Tisch, der für den
Direktor und seine Freunde frei gehalten war. Der
kleine Mann mit dem verwitterten Faungesicht
saß schon dort, lebhaft auf zwei seiner Lehrer ein-
redend, eine verschmitzte Freude um Mund und
Augen. Er sprang auf, als er den Künstler heran-
kommen sah und führte ihn zum Ehrenplatz an
einem Ende des langen Tisches. Nach und nach
kamen noch einige Freunde des Direktors mit
ihren Frauen; es waren zwei oder drei der reichen
Kaufleute der Stadt, ein Buchdruckereibesitzer,
bei dem die Programme gedruckt wurden, ein
alter Major a. D., der in seiner Vaterstadt von sei-
ner Pension lebte und der zärtlichste Gatte war,
den man sich denken kann. Auch der junge Pastor
kam mit seiner unscheinbaren Gattin. Alle ver-
standen ein wenig von Musik und fühlten sich
froh und bedeutend, wenn sie mit den Künstlern
zusammensitzen konnten. Zuletzt erschienen einige
Lehrer und Lehrerinnen des Konservatoriums.
Fortwährend mußte sie zwischen diesen Kleinstadt-
bewohnern einhergehen, fortwährend hatten sie
nur die wenigen Kollegen und Kolleginnen, mit
denen sie über Kunstfragen sprechen konnten. Er
bedeutete für sie in der Enge, in der sie leben muß-
ten, die Welt, die zu ihnen kam.

Johannes sprach von der Zukunft der Musik,
von ihrer Mission, den Menschen eine Erlösung zu
werden. Zuerst sprach er nur zu Eva und dem
Direktor; allmählich wurden alle aufmerksam, und
endlich mußte er ganz laut reden, als hielte er einen
Vortrag. Er saß mit leichtaufgestützten Ellbogen;
seine Hände ruhten auf der Tischplatte. Die fei-
nen aristokratischen Finger tänzelten manchmal
über das Glas; dann klang ein leiser singender
Ton. Das schmale Gesicht mit den großen dun-
keln Augen stand ruhig in der halbhellen Luft. Er
sprach ohne erregte Bewegungen, schlicht und
freundlich, als erzählte er einer Schar von Kindern
die Wunder einer Märchenwelt.

— Wir stehen ivor einer Wendung, sagte Johan-
nes. Nun muß es sich entscheiden ob wir eine
Kunst haben werden oder nicht. Die Musik ist den
Menschen heute nur eine Unterhaltung. Sie er-
leben sie nicht mehr, sie genießen sie nur. Sehen
Sie, was heute an Musik geschaffen wird! Die Mu-
sik ist diesen modernen Komponisten keine Ver-
künderin mehr, sondern eine lustig hüpfende Soub-
rette. Ein Flackern ist sie ihnen, keine reine, ruhig
und klar emporbrennende Flamme. Ein schrilles

Gelächter, nicht das frohe, tiefe, gütige Lachen
einer heiter-ernsten Seele.

Härte und klares Ausschreiten; die Sehnsucht
nach Einfachheit muß erfüllt werden. Alles ist
Musik; aber dies wissen die Menschen nicht mehr.
Gott ist die Quelle, aus der alle Musik hervor-
strömt. Man muß in Richard Wagner zwar den
genialen Schaffenden verehren, sein Werk aber
unbarmherzig verurteilen. Richard Wagner war
ein Irrweg. Die schwächer waren als er, gingen
noch weiter in die Irre.

Weltentrücktheit braucht die Kunst. Alle Kunst
ist ein Ahnen übersinnlicher Welten. Die Glut
großer Erlebnisse, das ist der Inhalt der neuen
Kunst.

Seine Stimme war immer machtvoller und hin-
reisender geworden. Jetzt, da er schwieg, spannte
sich ein langes Schweigen aus. Sogar an den
nächsten Tischen waren sie still geworden und
wußten nicht, was sie beginnen sollten. Eva griff
in großer Freude nach der Hand des\ Geliebten und
drückte sie. Er wandte den Kopf nach ihr und
lächelte sie an. Dies wirkte wie eine Erlösung.
Jetzt schwirrten auf einmal mehrere Stimmen zu-
gleich auf, in die Gestalten kam Bewegung, die
sich nach der feierlichen Ruhe übertrieben aus-
nahm. Man beglückwünschte den Künstler, viele
Hände streckten sich ihm entgegen. Auch die Zu-
hörern, die ihn nicht verstanden hatten, beglück-
wünschten ihn. Der Direktor dankte dem Künst-
ler in einer kleinen Ansprache für den Genuß und
gelobte, ein treuer Verfechter der neuen Kunst zu
sein. Er vergaß, daß er die neue Kunst eigentlich
noch gar nicht kannte. In seiner Begeisterung ver-
schrieb er sich und das Konservatorium dem
Künstler, ohne Zögern ergriff er das Neue, das
werden sollte; er war eine ungestüme Natur, die
nicht am Alten hängen bleiben mochte, sondern in
den Reihen derer stand, die ihrer Zeit vorauseilten,
alte Begriffe umstürzten und neue schufen. Nicht
die geringste Pietät lebte in ihm.

Der Buchdruckereibesitzer sagte mit einer
öligen Stimme zu dem alten Major:

— Das ist ein schurriger Kerl, Major. Wie?

Der alte Major riß an seinem schlohweißen
Schnurrbart und antwortete stramm:

— Auch meine Ansicht, Herr Konrad! Is jeden-
falls nich beim Militär gewesen.

Und wo die drei reichen Kaufleute saßen, erhob
sich ein eifriges Getuschel.

— Was ist er denn? tuschelte der eine.

— Gar nichts weiter ist er! tuschelte der andere.

Und der dritte setzte begütigend hinzu:

— Na, denn wird er wohl genug zum leben
haben.

Die Lehrer und Lehrerinnen des Konservato-
riums schwelgten in der Pracht seiner Worte und
Gedanken. Sie fühlten sich für die nächsten Tage
gestärkt und gerüstet gegen alle spießbürgerliche
Kleinlichkeit.

Johannes verabschiedete sich. Er freute
sich des Ganges durch die Klarheit der hohen
Sommernacht und ahnte reiche innere Er-
lebnisse. Er zog sich in sich selbst zu-
rück und schloß sich gegen alle äußeren Eindrücke
ab, wie er es jedesmal tat, wenn er fühlte, daß sich
Erlebnisse in ihm zu regen begannen. In solchen
Augenblicken erschien er jedem Oberflächlichen
unhöflich; alle, die seine Ehrfurcht vor den innern
Erlebnissen nicht begriffen, konnten nicht seine
Freunde sein. Jetzt hatte er das Gefühl, als schüt-
tele er die Stadt, die Enge von sich ab; die Worte
des Arbeiters und die Ausblicke wirkten in ihm
nach und setzten ihn als Ganzes der Stadt als Gan-
zem gegenüber. Das machte ihn unendlich kraft-
bewußt und weckte den heiligen Trotz. Er hatte
das Bedürfnis, ganz allein zu sein, wenn die Vision
dieses ganzen Tages, hinaufgehoben in die Unbe-

grenztheit großer Schicksale und Taten, 'an ihm
vorüberzog.

Er schritt mit dem Mädchen durch die schlafen-
den Straßen. Die Sommernacht duftete um sie her;
über den Häusern dämmerten die Spitzen der
Berge in zerfließender Sanftheit. Sie hatten jetzt
alles Heldenhafte, das sie am Vormittag veredelt
und erhöht, verloren und lagen wieder klein und
geduckt unter dem hohen Himmel. Es schmerzte
den Künstler, Sie waren in seiner Vorstellung
groß und erhaben geworden im tragische Bewußt-
sein eines nahen Untergangs, nun sanken sie vor
ihm zusammen, unfähig, die Größe, die er ihnen
zugeteilt hatte, zu tragen.

Das Mädchen plauderte ihre Freude aus. Ihre
Stimme strahlte vor Entzücken. Die Erinnerungen
berauschten sie: der fröhliche Nachmittag, der
leuchtende Abend inmitten der starrenden Men-
schenmenge und später bei Männern und Frauen,
die zu dem Geliebten hinsahen als zu einem, der
über ihnen stand.

Ich möchte in diesen heißen Tagen mit dir auf
dem Gut deines Vaters sein ... Du hast mir soviel
davon erzählt, von den roten Sonnenaufgängen
und den blauen Abenden . . .

Sie schmiegte sich an ihn und sah von unten
zu ihm auf wie ein bittendes Kind.

Johannes lächelte aus seinen stürmenden Ge-
danken, aus seiner Gier nach einem Alleinsein mit
der klaren Sommernacht ein wehmütiges Lächeln.

— Vor einigen Tagen sagte ich dir, wir würden
noch vor der Reise nach Leipzig zwei oder drei
Wochen bei meinem Vater verleben. Wie freute
ich mich darauf! Mein Vater sollte sich endlich
mit dem Gedanken, daß ich Musiker geworden bin,
aussöhnen. Ich zweifelte nicht daran, daß ich nach
Vollendung meines Werkes erschöpft sein würde.
Nun weiß ich aber, daß ich frischer und schaffens-
froher bin als vorher. Es sind mir an diesem Tage
soviele Offenbarungen zuteil geworden, daß ich
nicht müßig sein kann. Vor allem darf ich mich
jetzt nicht in die Stille des väterlichen Gutes ver-
graben, siehst du. Diese Stadt hat sich mir aufge-
drängt, das Leben in ihr fordert unabweislich von
mir, daß ich mein neues Werk aus ihm herleite; es
will der Grundton sein, auf dem sich alle Motive
aufbauen sollen.

Eine schwüle Beklommenheit stand zwischen
ihnen, als sie einander vor dem Tor Gute Nacht
sagten. Johannes ahnte, daß etwas die Geliebte
verstimmt habe, ohne daß es ihm zum quälenden
Bewußtsein wurde. Das Mädchen war unbefrie-
digt von diesem Ausgang des prächtigen Tages.
Sie preßte die Zähne in die Unterlippe und sprach
nicht mehr. Schweigend standen sie eine Weile vor
dem hohen Tor und blickten hin und wieder zu den
Fenstern im ersten Stock, von denen zwei noch
erleuchtet waren: da saß der Vater über der Zei-
tung eingewickelt in grauen Pfeifenqualm und er-
wartete die Tochter. Und während sie so in
Schweigen stand, dachte Eva an ihre Eltern: ihr
Leben war ein Uhrwerk, das 'jeden Morgen auf-
gezogen wurde und jeden Abend ausschnurrte.

Er küßte sie im Schatten des Torwegs und
fühlte wieder, wie jeden Abend die Wärme ihres
schönen Leibes und begehrte sie. Und wieder
schmerzte ihn ihre Scheu, sich ihm hinzugeben,
bevor sie sein Weib war. Er konnte die dumpfe
Ahnung nicht von sich abwehren, in die Leiden-
schaft der Geliebten sei auch viel Berechnung ge-
mischt. Er riß sich los und ging hinein in die
Sommernacht. Das fröhliche Lachen des Mädchens
lief hinter ihm her und verfolgte ihn zwischen den
Häuserreihen mit einer zähen Beharrlichkeit.

Fortsetzung folgt

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