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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 180/181 (Oktober 1913)
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Walden, Herwarth: Erster Deutscher Herbstsalon: Vorrede
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Vorwort der Aussteller
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Kurtz, Rudolf: Offener Brief an Herrn Karl Scheffler
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0109

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Erster Deutscher
Herbstsalon

Vorrede

Mit diesem Ersten Deutschen Herbstsalon wird
ein Ueberblick über die neue Bewegung in den bil-
denden Künsten aller Länder gegeben. Ein Ueber-
blick, der zugleich das Blickfeld der Zeitgenossen
erweitern wird. Der größere Teil der Zeitgenossen
ist zu stolz auf seine Augen, mit denen er nicht
einmal sehen gelernt hat. Er verlangt vom Bild-
werk die Wiedergabe des eigenen optischen Ein-
drucks, der nicht einmal sein eigener ist. Hätte
er ihn, so wäre er schon künstlerisch. Künstler sein,
heißt eigene Anschauung haben und diese
eigene Anschauung gestalten können. Die Einheit
von Anschauung und Gestaltung ist das Wesen der
Kunst, ist die Kunst. Die großen Neuerer des
neunzehnten Jahrhunderts haben ein doppeltes
Erbe hinterlassen, ein materielles, das ihren Epigo-
nen von Heute zufiel und das diese angstvoll fest-
gehalten und ein geistiges, das mit dieser Aus-
stellung vorgeführt wird. Jene klammern sich
an die Form, die Größere geschaffen haben. Statt
eigenes zu gestalten, ahmen sie Gestalten vergan-
gener Binder nach. Und zwar nur die Bilder,
nicht einmal die so kläglich oft berbeigerufene
Natur. Und Nachahmung kann nie Kunst sein, ob
sie nun von den Bildern oder von der Natur ge-
nommen ist. Diese affenhafte Fähigkeit vermißt
man nun bei den Künstlern der Gegenwart, die das
geistige Erbe der großen Neuerer angetreten ha-
ben. Man redet von dem Fehlen der Form. Man
sollte reden vom Fehlen der Uniform. Menschen
sind wir zwar alle, aber trotzdem gleicht kein
Körper dem anderen. Das Gleichen wird nur durch
die Uniform erreicht. Man bleibt sich gleich, auch
wenn die Mode die Uniformen wechseln läßt.
Selbst ein sich Zurückanziehen in Biedermeier-
röcke, römische Togen oder griechische Faltenklei-
der ändert am Körper nichts. Den Körper ändert
ausschließlich der Geist, dem der Körper dient.
Natürlich kann man nicht Geist malen, aber ohne
Geist zu malen ist erst recht keine Kunst. Kunst
ist die persönliche Gestaltung eines persönlichen
Erlebnisses. Das einzige, was den Künstler bin-
det und ihm Halt gibt, ist das Material seiner Kunst.
Jede konventionelle Form aber ist ein Gerüst für
einen einstürzenden Bau oder ein Korsett für einen
verfallenden Körper. Kunst ist Gabe und nicht
Wiedergabe. Wenn man eine edle Frucht genie-
ßen will, muß man die Schale opfern. Auch die
schönste Schale täuscht nicht über die Schalheit
des Inneren fort. Der Maler malt, was er schaut
in seinen innersten Sinnen, die Expression seines
Wesens, alles Vergängliche ist ihm nur Gleichnis,
er spielt Leben, jeder Eindruck von Außen wird
ihm Ausdruck von Innen. Er ist der Träger und der
Getragene seiner Visionen, seiner inneren Ge-
sichte. Kann er dafür, daß Gesichter anders
aussehen? Klang denn die neunte Symphonie
Beethoven aus der schönsten Landschaft entge-
gen? wurde ihm sein Rhythmus vormarschiert?
Wohl aber ließ er Menschenheere nach seinem Wil-
len stürmen, siegen oder fallen. Grünewald und
Greco bildeten die Menschheit nach ihren Bildern
um. Die jüngst vergangene Malerei stellte die
Menschheit zu Kostümfesten auf. Die Künstler
haben nicht mehr gebildet, dafür waren sie es.
Der wirkliche Künstler muß der Bildner seiner
Bildungen sein. Und die Gebildeten insgesamt
sollten sich endlich entschließen, aus der Passivi-
tät der Bildung zur Aktivität des Bildes aufzu-
schauen.

Ich fühle mich zur Veranstaltung dieser Aus-
stellung berechtigt, weil ich von dem Wert der hier
vertretenen Künstler überzeugt bin. Weil ich mit
den bedeutendsten Künstlern dieser neuen Bewe-
gung persönlich befreundet bin. Befreundet durch
eine Freundschaft, die durch gleiche künstlerische
Anschauungen und Empfindungen entstanden ist.

Ich bin sicher, daß der unkünstlerische Teil
des Publikums über diese Ausstellung und über
mich lachen wird. Und ein guter Teil des Publi-
kums auch, daß sich ohne Berechtigung für künst-
lerisch hält. Diese Herrschaften warne ich be-
sonders. Im Rahmen des Vereins für Kunst liegen
die Erfahrungen für die Literatur bereits vor. Diese
Herrschaften und ebensosehr die Durchschnittskri*
tiker amüsierten sich über Heinrich Mann, über
Alfred Mombert, über Karl Kraus und Else Lasker-
Schüler. Ihre künstlerische Bedeutung findet man
heute schon nach kaum zehn Jahren und weniger
sogar von den harmlosesten Tageszeitungen be-
stätigt, was natürlich weder für die Künstler noch
für die Tageszeitungen etwas bedeutet. Ich nenne
hier nur die wichtigsten Namen, die durch den
Verein für Kunst zum ersten Mal in die größere
Oeffentlichkeit gebracht wurden. Es liegen aber
auch bereits Erfahrungen für die bildende Kunst
vor. Als Oskar Kokoschka in jeder Nummer des
ersten Jahrgangs der Zeitschrift Der Sturm mit
graphischen Arbeiten gezeigt wurde, lachten die
Kunstkenner und selbst der verdiente Kunstkritiker,
der heute nicht mehr weiß, wohin wir treiben, ver-
spottete die Kritzeleien. Heute nach drei Jahren
reißt man sich um die verhöhnte Graphik. Es gibt
sogar naive Leute, die behaupten, daß die Maler
heute „so“ aus geschäftlichen Gründen malen und
daß der Sturm diese Maler aus geschäftlichen
Gründen vertritt und nicht aus künstlerischer
Ueberzeugung. Einem dieser Herren, einem Kunst-
kritiker, habe ich zur Zeit Gelegenheit gegeben,
vor Gericht den angebotenen Beweis zu erbringen.
Er will nichts weniger beweisen, als daß „Kandinsky
lediglich aus Geschäftsrücksichten sich dieser futu-
ristischen Kunstrichtung angeschlossen habe.“ Zu
diesem Wahn versteigt sich der Haß gegen Kunst.

Uns ist nicht das Leben die Kunst. Aber die
Kunst das Leben.

Herwarth Waiden

Vorwort der Aussteller

Wir leben heute nicht in einer Zeit, in der die
Kunst die Helferin des Lebens ist. Was heute an
echter Kunst entsteht, scheint eher der Niederschlag
alter Kräfte zu sein, die das Leben nicht aufzubrau-
chen, aufzusaugen vermag; sie ist die Gleichung,
die abstrakt gesinnte Geister aus dem Leben zie-
hen, wunschlos, zwecklos und ohne Hader.

In anderen Zeiten ist die Kunst die Hefe, die
den Teig der Welt durchsäuert; solche Zeiten sind
heute fern. Bis sie erfüllt sind, muß sich der Künst-
ler in gleicher Ferne vom offiziellen Leben halten.

Das ist der Grund unserer selbstgewählten Ab-
schließung gegen die Anträge, die die Welt uns
macht; wir wollen uns nicht mit ihr vermischen.
Unter diese „Welt“ rechnen wir auch die uns
wesensfremden Künstler, mit denen gemeinsam
zu arbeiten uns unmöglich scheint, nicht aus
„kunstpolitischen“ Gründen, von denen heute so
viel geredet wird, sondern aus rein künstlerischen
Gründen.

Offener Brief an Herrn
Karl Seheffler

Sehr geehrter Herr

Ich ihabe mir von Herrn Herwarth Waiden
die Erlaubnis erbeten, Ihrem Bericht über den
„Herbstsalon“ in der „Vossischen Zeitung“ ein
paar Bemerkungen hinzufügen zu dürfen.

Ich schicke voraus, daß es über künstlerische
Angelegenheiten zwischen uns keine Diskussion
geben kann. Auf sachliche Argumente antworten
Sie „Cafe Größenwahn“, auf wohlfundierte
Attacken „Ich bin der Aeltere“. Sie erinnern sich,
daß Sie vor einigen Jahren in der „Zukunft“ mit
dieser Art Lexikon gegen mich polemisiert haben.

Dagegen halte ich eine Verständigung über mo-
ralische Dinge wohl für möglich. Handwerklich
gebundene Naturen, wie Sie, Herr Karl Seheffler,
sind in ihrer ethischen Praxis meist durchsichtig,
einfach und klar. Wenn sich dennoch, im Kunst-
moralischen, Trübes findet, so geht dies, wie ich
glaube, auf den mystischen Kern Ihrer Persönlich-
keit zurück. Man wird mich nie von Ihrer bösen
Absicht überzeugen: wohl aber, daß Ihre Bewußt-
seinshelle zeitweise mit billigem Leuchtgas her-
gestellt ist. Gestatten Sie mir noch, Sie auf einen
gewissen Mangel an journalistischer Erfahrung
hinzuweisen, der Ihre Zeitungsberichte dispropor-
tioniert und ihnen selbst für den überzeugungs-
bereiten Leser Werte entzieht. Ich hoffe, Sie zu
dieser Einsicht bewegen zu können.

Ich habe nichts gegen Reaktionäre: sie fügen
dem künstlerischen Genuß am Gewagten erfreu-
liche Nebenschwingungen zu. Fragwürdiger aber
wird der Typus, wenn er sich hinter moralischen
Erwägungen versteckt, wenn er seine Nervenlosig-
keit dem Andersdenkenden unterschiebt und ihn
als gesinnungslosen Mitläufer denunziert. Ich fasse
diesen Satz aus Ihrer Notiz doch richtig auf? „Es
geht, wie ein Fluch, durch unsere Kunst die Sol-
neßangst vor der Jugend. Die Folge ist, daß der
unmündigen Jugend in einer abscheulich servilen
Weise geschmeichelt wird.“ Und dann, abgesehen
von dem materiellen Inhalt Ihrer Sentenz: haben
Sie die berliner Presse gelesen? Wo ist die ab-
scheuliche Servilität in diesem höhnisch-entsetztem
Davonspringen? Haben Sie je in die Ateliers der
„unmündigen Jugend“ gesehen, wo der Ertrag der
„Umschmeichelungen“ in Form von Tee und Qua-
ker Oats konsumiert wird? Sie scheinen mir Ihre
Objektivität — die einem Manne Ihrer Art allein
das Gesicht gibt — bedenklich auf die Schaukel
gesetzt zu haben: oder meinen Sie, daß ein Satz,
wie das folgende Zitat, nicht sehr verräterische
Untertöne habe? „Das Niveau der Ausstellung
ist sehr niedrig, ganz abgesehen vom Prinzipiellen.“
Sie formulieren also zwei Betrachtungsmöglich-
keiten: das „Prinzipielle“und einen ungenannten
Wert. Sie machen mich neugierig, was für Sie das
künstlerische Niveau bestimmt: die Leistung oder
ihre Prinzipien? Gewiß: wenn Sie unter „Prinzi-
pien“ das System Ihrer aesthetischen Ansichten
meinen — eine Formulierung, die ich einem Ama-
teur in der Metaphysik wie Sie, gern zugestehe
— dann aber sind diese Prinzipien das einzig mög-
liche Wertmaß; und ein anderes, was nach Fort-
lassung ihrer noch bleiben könnte, ist in sich un-
möglich. In der Perspektive Ihrer Notiz bietet
sich das „Prinzipielle“ vielmehr als die krystalli-
sierte Form Ihrer Abneigungen an — als ein außer-
halb der Kunst liegender Wert, in dem sich Ihre
Sympathielosigkeit für „die janze Richtung“ ein
Ventil schafft. Daß Sie als Schlußstück unter Ihrem

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