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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 186/187 (November 1913)
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Hello, Ernest: Hello: Das goldene Kalb
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0135

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Da sind wir in der Tiefe des Geizes, im Kern
seiner Abscheulichkeit. Der Geizige liebt das Me-
tall körperlich.

Er liebt das Gold und das Silber um ihrer
selbst willen und an und für sich. Er liebt sie
sinnlich, fühlt sich zu ihnen hingezogen. Die Be-
rührung des Metalls macht ihm körperlich Freude,
körperlich Lust.

Je tiefer er seines Reichtums vergißt, desto
enger kreist seine Gier um das Gold selbst und
um so stärker zerrt ihn die stoffliche Anziehungs-
kraft.

Wenn er zwischen einer gewissen Menge Gold-
stücke, die er schon besitzt und die er sieht, und
einer großem Menge Goldstücke, die er noch nicht
besitzt und die er nicht sieht, wählen muß, ist der
Geizige? außer sich. Denn das begehrte Gold lockt
ihn von weither; aber er wird wohl die gerin-
gere, ihm bekannte und von ihm geschaute Menge
der großem, ihm noch unsichtbaren, vorziehn.
Seine Goldbesitztümer hat er schon betastet; sie
erregen ihn, ihn persönlich: das gedachte Gold
hat er noch nicht unter seinen Fingern gehabt;
noch nicht hat es seiner Lust Genüge getan. Er,
schauerlich dankbar, bevorzugt die greifbaren
Goldstücke: ihnen schuldet er bereits empfangene
Verzückungen. Möglich, daß ihm am wohlsten
ist, wenn er sich vorstellt, die Goldstücke wären
lebendig: dann begabt er sie mit Namen, dann
liebkost er sie. Und wenn eins ans andre klingt,
durchrüttelt ihn dieser Klang.

VII

Jeder Liebhaber will seine Gesamtneigungen
verdichten, zu einer einzigen Liebe sie verkitten.
Das Gold erweist dem Geizigen den erbärmlichen
Dienst, daß es ihm eine abgekürzte Welt dar-
bietet.

Unendlich vieles glaubt er zu besitzen und hat
doch nur das Ding seiner Anbetung. Das Geld
verleitet leicht zu dieser Täuschung, denn durch-
aus nicht ist es Stellvertreter sämtlicher Dinge,
wohl aber sehr vieler. Diese Dinge besitzt der
Geizige, so oft er mit den Goldstücken spielt; in
seinem Geiste besitzt er sie; da vermeint er das
Wesen der Genüsse in dem einen Genuß zu er-
fahren, und seine Abgötterei nährt sich aus seinem
Schlafwandel.

Wenn er diese Dinge, wie sie sind, besäße,
könnten sie sich ihm nie anders gewähren als
eins und dann ein anderes, begrenzt also, und so,
daß das eine sich nicht zugleich mit dem andern
schenkte. Vielleicht bildet er sich ein, er hätte sie
alle und er hätte sie gleichzeitig, so oft er seine
Hände auf das Gold legt. Und wenn er damit zu
Ende ist, kann er damit von vorne beginnen. Die
Goldstücke nützen sich nicht so schnell ab wie
die Freuden, die er um ihretwillen verleugnet.
Möglicherweise ergötzen sie ihn mit einem Blend-
werk von Lustspiel, einer Parodie auf das Dau-
ernde.

Aber wenn sich das Gold langsam abnützt,
verbraucht sich der Geizige rasch. Der Tod läßt
nicht auf sich warten und im Tode nennt der Geiz-
hals seinen wahren Namen. Die Geldgier ver-
doppelt sich gerade wann die Nutzlosigkeit des
Geldes maßlos wird. Da, im Augenblicke des To-
des, wo er immer noch das Geld anbetet, und
ohne jede Hoffnung, es jemals zu gebrauchen, da
erscheint die Abgötterei des Geizigen in ihrer
lächerlichen Treue, in ihrer widerlichen Uneigen-
nützigkeit

Wenn die Goldstücke die durch sie entfachte
Liebe erwidern könnten, wären sie gewiß gerührt:
nachdem er ihnen sein Leben geopfert hat, opfert
er ihnen seinen Tod; nun, wo er keine Aussicht

mehr hat, ihre Dienste zu beanspruchen, schim-
mert ihnen noch die Bewunderung seiner Augen,
dieser Augen, die halb schon erblindet sind, und
seiner Hände die bald nicht mehr werden zu
tasten verstehn.

Der Geizige könnte das Sinnbild der Treue
sein; er stirbt neben seinem Gold, wie der Hund
neben seinem Herrn.

VIII

Unter den Täuschungen des Geizigen gilt eine
dem Dieb. Ihm ist der Dieb ein abenteuerliches
Wesen, denn von ihm aus will der Dieb nicht
irgend ein Ding, nicht dieses oder jenes, sondern
den Abgott.

Der Geizige und der Dieb hausen innig bei-
sammen. Der Geizige denkt an den Dieb wie an
einen Glaubensgenossen; er denkt an den Dieb
mit Schrecken und Ehrfurcht: denn schließlich ist
der Dieb ein Mann, der den Abgott zu schätzen,
und den Ort, wo er sich aufhält, zu erraten weiß.

Der Geizige und der Dieb gehören zur selben
Brüderschaft. Beide haben der Weltlichkeit ent-
sagt, um sich der Betrachtung des Abgotts hinzu-
geben und sich ihm zu weihn. Der Geizige ist
von der übrigen Menschheit getrennt; er küm-
mert sich nicht um ihre Angelegenheiten. Er be-
kennt niemals. Der Dieb (ich spreche vom ge-
dachten, nicht vom erwischten Dieb, vom fern
erblickten, vom Dieb im Gesichtskreis des Gei-
stes) ist dem Geizigen fast dasselbe wie ein Ver-
trauter.

Aber zwischen ihm und dem Dieb gibt es
noch tiefere, tief rätselhafte Beziehungen. Ihm ist
der Dieb eine Art Wirklichkeitsgespenst: es rich-
tet seinen Angriff auf alles, was heilig ist. Der
Dieb ist kein Alltagsverbrecher; nicht vor irdi-
schen Dingen wird er schuldig. Ein Unhold ist er,
seine Verwegenheit kommt einer Heiligenschän-
dung gleich, er sinnt auf den Einbruch in unver-
letzliches Gut.

■ Der Geizige verknüpft, weil er anbetet, den
Abgott und sich zu einer geheimen Gemeinschaft.
Er hat Schlupfwinkel. Dort ist sein Herz, und mit
Lust vergewaltigt er dort die Gesetze des Lebens;
denn er hält gefangen, was laufen soll: Metall.
Er sammelt, was verteilt sein muß. Er widersetzt
sich, so gut er kann, dem Kreislauf des Blutes.
Das Geheimfach des Geizigen ist schauerlich höh-
nische Nachäffung des Allerheiligsten. Diese An-
betung will alles nur für sich, und der Geiz fürch-
tet immer, sein Verborgenstes sei in Gefahr.

Er hat Furcht. Doch diese Furcht, eine Furcht
aus Liebe, gleicht nicht den Aengsten um die
sichtbaren Dinge. Sie hat ein fantastisches Aus-
sehn. Sie gleicht den Schrecknissen eines Trau-
mes; sie fürchtet, und es ist keine Gefahr da.
Sie fürchtet aus Furcht. Sie fürchtet den, der da
ist. Sie fürchtet den, der nicht da ist. Als ob
sein Götzendienst den Abgott in die Welt der
sichtbaren Dinge höbe, fürchtet der Geizige, daß
eine Hand ohne Arm oder ein Arm ohne Leib im
Dunkeln den Abgott unmerklich anfassen könnte.
Der Dieb ersetzt dem Geizigen jenes namenlose,
formlose Wesen, das die Kinder schreckt, am
Abend, wenn sie allein sind.

IX

Dem Geiz am ähnlichsten ist die Verschwen-
dung.

Ein geiziger Vater stirbt und hat seinen Schatz
vor seinen Kindern verborgen. Ein verschwen-
derischer Vater stirbt und hat das Vermögen sei-
ner Kinder verbracht.

Die Wirkungen gleichen einander, die Ursachen
nicht minder.

Der Geizige verschließt dem Leben die Quelle

nach außen, er verhindert, daß es sich ausdehne;
er will nichts als Sammlung, alles bezieht sich auf
sie, und sie ist sein Steckenpferd.

Der Verschwender verschließt dem Leben die
Strömung nach innen, er verhindert, daß es sich
sammle; er will nichts als Ausdehnung, alles be-
zieht sich auf sie, und sie ist sein Steckenpferd.

Der Geiz und die Verschwendung sind zwei
Formen der Selbstzucht.

Ein Sprichwort sagt: Der Vater ein Geizhals,
der Sohn ein Verschwender.

Wenn das wahr ist, dann ist der Sohn, auf der
Flucht vor seinem Vater, an den Ausganspunkt
zurückgelangt.

Der Vater ist geizig: der Sohn leidet unter die-
sem Laster. Sein Vater versperrt ihm das Leben.
Der Sohn verabscheut den Vater und wendet sich
zum äußersten Gegensatz. Er wird verschwende-
risch. Da geschieht nun dies: seine Verachtung
reißt ihn hin, nicht ruht er auf dem Wege. Er um-
eilt den ganzen Kreis, und nachdem er die Reise
um die Dinge vollendet hat, steht er am Ausgangs-
punkt, Aug in Aug vor seinem Vater. Der Vater
wollte alles an sich heranziehn; er war geizig; das
war seine Art, sich Genuß zu verschaffen. Der
Sohn, durch den Geiz um die Freuden gebracht,
rächt sich mit Hilfe der Verschwendung und stößt
auf dasselbe, nur anders gewandete Mißgeschick,
auf den selben, nur anders gewendeten Tod.

X

Ich begann mit dem goldnen Kalb. Ich sprach
von dem berühmtesten Verbrechen, wie es die
Menschheit im berühmtesten Augenblick ihrer Ge-
schichte auf sich geladen hat. Es scheint, die stück-
weise Untersuchung des Geizes habe den Geist
von einem Berg in ein Tal niedersteigen lassen.

Doch ist es nicht so: dieser Abstieg ist mehr
Schein als Wirklichkeit.

Wenn man ein Ding in seiner Qrundgestalt be-
trachtet, zeigt es sich in dem feierlichen Sinnbild
seiner Schöne oder Häßlichkeit. Wenn man das
selbe Ding in seine gebrauchsfähigen Teile zerlegt,
in seine zeitlichen Anwendungsmöglichkeiten;
wenn man es in der Geschichte ergreift, um es in
ein Haus zu übertragen, verliert es, sozusagen, ir-
gend etwas seines Ichs: man wird es nicht völlig
wiedererkennen. Aus seiner Nähe beschaut, gibt es
sich weniger schön oder weniger häßlich. Nach-
dem man es rundum besichtigt hat, möchte man
behaupten, es habe nicht mehr solche Maßverhält-
nisse wie damals, als man es von weitem sah.
Doch dieser Eindruck ist trügerisch. Die Sache ist
die selbe in ihrer allgemeinen Darbietung, die selbe
in ihrer besondern Anwendung.

Wie viele müßten über die Verbrechen ihres
Geheges entsetzt sein, wenn man sie ihnen von
weither, im erhabnen Licht der Geschichte vor-
hielte. Sie erheben nicht, weil diese Verbrechen
in der Enge geschehn, auf einer Zwergbühne.
Ihnen, klein als Menschen, klein in ihrem Leben,
schrumpfen die Größenverhältnisse der Verfeh-
lungen ein. Und dennoch: ein Zwerg kann ein
Riesenverbrechen vollführen. Denn ein Riesenver-
brechen ist nicht ein großes Verbrechen, sondern
ein Verbrechen an einer großen Sache. Das Ver-
brechen besitzt keine andre Größe als die des
Nichts und des Nein. Das Uebel ist immer ein
Mangel.

Der Geizige nun, wie er sich zu Haus und bei
sich äußert, versündigt sich am ganz Großen. Er
versündigt sich an der Anbetung. Der Sinai ist nie
fern von uns. Die mitten unter Blitzen gewaltig
erhobne Stimme trägt weit. Sie galt nicht nur
jenem Häuflein, nicht nur der unten am Fuße des
Berges gegenwärtigen Schar. Die zehn Gebote

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