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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 186/187 (November 1913)
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Meyer, Alfred Richard: Prag
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Ehrenstein, Albert: Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0138

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Um so ein anderes Jahrhundert einigermaßen

wieder gut zu machen,
gut zu machen, gut zu machen.

So. Nun wißt ihr, was mich heiß mit meiner

fünften Frau verbindet,
warum Praha, nur der Name, Tränen aus mir preßt.

Alfred Richard Meyer

Literatur

Albert Ehrenstein

Ich muß gestehen: ich beziehe gern Wechsel
von Verlegern. Aber was die Wechselbeziehun-
gen zum Publikum anlangt, so ist mir dergleichen
noch nicht fühlbar geworden. Ich kenne viele
einzelne Heuochsen, doch das sogenannte „Publi-
kum“ ist mir, Gott sei Dank! unbekannt. Die lob-
hudelnden oder tadeltriefenden Briefe aus der
Menge gebären immer wieder nur den mehr min-
der uninteressanten Alphabeten. Wer ist nun mei-
stens dieser Alphabete? Ich fand — und ein
Blick, geschickt in etwelche Leihbibliotheksräume,
wird es jedem finden helfen — die Masse der Ge-
wohnheitslcscr besteht aus Unbefriedigten, aus
Leuten, die im Leben zu kurz kamen, aus weib-
lichen oder weiblich veranlagten Naturen, ich ge-
brauche nicht ganz tautologisch gewählte Worte,
wenn ich behaupte: sie besteht aus halbintelli-
genten Mädchen, Damen, jungen Juden und Lite-
raten. Der Bürger, der robuste Normalmensch
und Lebensmann iiest nicht, läßt sicli nicht von
den Opiaten, Phantasien und Fiktionen der Schrift-
lichen behelligen, erwirbt dergleichen Quark höch-
stens wahllos, zu Geschenkzwecken oder zur Fül-
lung eines präexistenten Bibliothekschrankes.
Was erwirbt er wahllos? Utensilien, welche ihm
von den Vermittlern: von den Verlegern, apotro-
pisch wirkenden Zensoren und von den Be-
sprecherichen als preiswert hingestellt werden.
Das Werk des Autors ist fast immer einem nicht
sehr korrekten Selektionsprozeß ausgesetzt. Oft
genug überlebt es nicht die erste Instanz, bleibt
vom Lektor unbenagt, wenn der Verfasser nicht
Geld genug hatte, sein Manuskript maschinschrei-
ben zu lassen. Der Durchschnittsverleger wieder
wendet sich ab von Operaten, denen die behörd-
lich vorgeschriebene Anzahl von Küssen fehlt,
schaudert zurück vor jenen makelhaften Mach-
werken, deren „Schluß“ keineswegs die ebenso
geschickt als „keusch“ hinausgezögerten Koitus-
aussichten Verlobter andeutet. Die Vervollkomm-
nung des Durchschnittsverlegers: der Zensor und
Sterilisator scheidet irreligiöse, unbyzantinische
und vor allem jene Bücher aus, die Ausdrücke der
Vulgärerotik enthalten, welche nur in phantastisch
irrealen Räumen — Cafes, Weinstuben, Bordel-
len, Familienwohnungen — täglich xmal benützt
werden.

Ist das Opus doch erschienen, hinkt die Presse,
wenn es sich um wahrhaft etwas bedeutende
Werke handelt, meist kläglich nach. Verleger,
denen Zeitschriften als Verlagsprospekte zur Ver-
fügung stehen, sind also relativ im Vorteil. Sie
können ihre kostspieligsten Autoren durch häufige
Nennung des zu schaffenden Namens und grellere
Reklamemittel dem Gehirn des Lesers, des Lite-
raten, des Redakteurs einleiden. In solchen Re-
vuen beginnt die Beeinflussung kritischer Snobs..
und der produktive Mensch, der Künstler, blickt,
nicht gerade sehr gerecht, aber auch nicht ganz
ungerecht auf den dergleichen reproduzierenden
Halbmann, den Kritikastraten mit jener Verach-

tung, wie sie etwa das Gehirn „Mann“ für den
Geschlechtsteil „Frau“ übrig hat, und umgekehrt.
Abhilfe brächte da nur — Waschzettelfabrikation
durch einen vibrographischen Apparat, durch
einen Literaturautomaten. Denn die heute noch
vegetierenden Surrogate sind Inkarnationen des
Mangels. Gewiß, das Zeitungswesen nähme von
mancher großen Erscheinung keine „Notiz“, wenn
die vielverleumdete Freundschaftskritik nicht da-
zu zwänge. Ich verstehe allerdings unter Freund-
schaftskritik nicht jene in gewissen Berliner Cli-
Quen herrschende süßliche gegenseitige Gleißnerei,
nicht jene mit etwas Druckerschwärze ausgeübte
mutuelle — Kritik, eher das mannhafte Nichtver-
scliweigen der Vorzüge und Fehler des Berede-
ten. Aber das gesamte Rezensionswesen hebt an,
in Hochstapelei auszuarten. Es gibt schon Auto-
ren, die Meister sind; nämlich im Herauslocken
von Kritiken. Bauernfänger, die unter dem Vor-
geben, sich dereinst im Neutitschciner Tageblatt
zu „revanchieren“, übermäßige Gefälligkeiten
eines Grünspechts in Anspruch nehmen, und wenn
das jugendliche Opfer einmal keine Lust hat zu
funktionieren, sofort tödlich beleidigt sind — bis
zum Erscheinen ihres nächsten Buches. Sie selbst
sind meist geübte Totschweiger und Mörder von
Rezensionsexemplaren, harte, kluge Egoisten, die
aus guten Gründen vorschützen, sie hätten kein
Organ, wo sie ihren kritischen Schleim absondern
könnten; hüten sich weislich, derartige Organe
zu akquirieren. Man mag dergleichen je nach
dem Temperament einen traurigen oder lustigen
Zustand nennen. Er ist der in den Berliner Lite-
raturcafes stationäre. Aber Waschzettel, Freund-
schaftsrezensionen, mutuelle Kritiken oder wie
man sonst diesen Propagatorenunfug nennen will:
al! dies versagt sofort einer gewaltigen Schöpfung
gegenüber. Ihr tritt die Totenstille entgegen, sel-
ten vom Herzen kommendes Lob. Es ist ein
fabelhafter Beweis für den Unwert der kritischen
Kinkerlitzchen, daß A a g e von Kohl, der
stärkste Epiker, der seit dem Tode Dostojewskis
erstand, mit seinem „Palast der Mikro-
ben “, mit seinem „W eg durch die Nacht“,
den besten objektivsten Büchern, die je gegen To-
des- und Kriegesstrafe geschrieben w'urden, in
Deutschland fast unbekannt blieb. Es ist ein un-
barmherziger Beweis gegen den heute üblichen
Literaturmarktbetrieb, daß aber schon sehr aka-
demische Verleger, die sich im wesentlichen auf
die Ausgabe modern frisierter, iibertünchter En-
gelhornromane beschränken, daß die Staackmann,
Ullstein, Fleischei, Cotta und auch der anno „Freie
Bühne“ verdienstliche, weil damals radikalere
S. Fischer prosperieren, während der deutsche
Verlag, der sich gegenwärtig in seinen episch-
belletristischen Neuerscheinungen wohl das
höchste Durchschnittsniveau leistet: Ruetten und
Lüning selten ein Buch über die zweite Auflage zu
spedieren vermag!

Fachsimpelei? Ich konstatiere bloß allerhand.
Beispielsweise noch ein paar Tatsachen. Einem
Druckwerk, gleichgültig welcher Art, vermögen
nach fachmännischer Ansicht — icli bin Laie —
Feuilletons in den großen Tageszeitung mehr zu
„nützen“ als seine Qualitäten. Gutenbergs Erfin-
dung hat momentan die Wechselbeziehungen zwi-
schen Dichter und Publikum auf diese sehr ein-
fache Formel reduziert. Man kann antworten:
wer das verschleierte Bild von Sais enthüllt, darf
sich über den Achselschweiß dieser Person nicht
beklagen. Aber es bleibt das Faktum bestehen,
daß die meisten Schriftsteller im jungfräulichen,
ungedruckten Zustande Besseres produzierten als
es später der Ekel vor dem Betrieb und seinen
schmierigen Folgen zuläßt. Ebenso unumstößlich
fest steht: die kleinen Literaturblätter, die sich

infolge der Indolenz des Publikums eine zahlungs-
fähige Moral und Ausstattung leider nicht gestat-
ten können, stehen himmelhoch über den großen,
dicken Schmalzrevuen, diesen Organen unserer
Neunzigjährigen. Aber jede dieser fettig materi-
alisierten Rundschauen, von denen keine einen an-
deren Namen als „Das Antiquariat“ verdient, ist
moralisch sympathischer als ihre beliebtesten Auto-
ren, die gestern noch problemquasselnd, extrem-
psychologisierend den jeweiligen Hamsun verzapf-
ten, heute bereits perfekt goethein oder als Wells-
kopisten die prüdesten Monatshefte verschweinen.
Ebenso erging es unseren vormals interessanten
Witzblättern; sie sind längst bourgeoisreif gewor-
den und das Entzücken der) Bierbürger, im übrigen
aber höchst überflüssige illustrierte Wochenaus-
gaben der politischen Tageblätter. Viele Verleger
und Schriftsteller rechnen nun, „um nicht letal ab-
gehen zu müssen“, mit dieser Saturiertheit des
Publikums, mit der Scheu des Massenhirns vor
direkten, krassen Büchern, setzen ihm Allerwelts-
suppen vor, nicht gerade kondensierte Brühen.
Aber ob die Verleger nun — geschäftstüchtig —
Romanbibliotheken führen oder jeder ihrer Auto-
ren sich selber eine schreiben muß, ob sie das
Universum mit Rezensionsexemplaren über-
schwemmen oder sich einem ebenso berechtigten
Geiz hingeben, ob sie einander zukunftbesitzende
Autoren abspenstig machen oder einer weitgehen-
den Anständigkeit fröhnen, ob die Verleger unter
der Rentenhysterie ihrer in Watte gewickelten
Autoren jammern, die — zeitgemäß — am lieb-
sten geschützte Verlagsbeamte sein möchten, oder
ob sie nervöser, sadistischer ihre Autoren die
Druckkosten bezahlen lassen: der Verleger kann
sein Ziel erreichen, er kann prosperieren. Das
Publikum auch, es kann aus dem Buch-Haschisch
die wohligsten Betäubungen und Verdummungen
ziehen. Nur der Dichter bleibt immer zielfern,
erliegt immer irgendwann dem Kontrast zwischen
seiner Zeitlichkeit, Zeitgebundenheit, Zeitgefangen-
heit und der endlich alles niederschmetternden
Ewigkeit. Aus diesem Grunde, weil Publikum
und Verleger konstant, ewig, sozusagen unaus-
rottbar sind, immer da sind, bestenfalls als fein-
organisierte Materie, Hyle . . . immer da sind,
ohne Varianten, in identischen Wiedergeburten ...
der Dichter aber ärgerlicherweise konstant ist,
das vergänglichste und seiner Vergänglichkeit
heute frech, morgen bescheiden bewußteste We-
sen ist: möchte ich vom Dichter, Verleger und
den Publikümmernissen am liebsten absehen.

Empfohlene Bücher

Die Schriftleitung behält "kich Besprechung der hier
genannten Bücher vor. Die Aufführung bedeutet bereits
eine Empfehlung. Verleger erhalten hier nicht erwähnte
Bücher zurück, falls Rückporto beigefügt wurde.

Arthur Babillotte

Im Schatten des Korsen / Roman
Verlag Karl Reißner / Dresden

Aage von Kohl

Der Weg durch die Nacht / Roman

Verlag Rütten und Loening / Frankfurt a. M.

Im Palast der Mikroben
Verlag Haupt und Hammon / Leipzig

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