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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 188/189 (Erstes Dezemberheft)
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Walden, Herwarth: Kritiker: Der feine Herr Scheffler
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [16]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0144

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durch, jede Zeile, die ein Werturteil bildet. Trotz-
dem Sie keine Zeile gebildet haben, die einem
Werturteil standhält. Sie behaupten, die Leute
vom Sturm hätten schlingelhafte Manieren. Eine
Behauptung übrigens auf der Höhe Ihrer Kunst-
urteile. Sie mögen sehr gute Manieren haben, die
man zwar nicht bemerkt, dann beschränken Sie
aber bitte Ihren Umgang auf „Gebildete“ und kom-
men Sie der Kunst nicht mit dem feinen Ton in
allen Lebenslagen zu nahe. Weder die Manier,
noch das Manierliche kann Kunst verwerten. Und
der Schrei eines Schlingels ist mir lieber als das
Stammeln eines Mannes, dem nicht zu helfen ist.

Der Nobelpreis

Das Berliner Tageblatt bleibt dabei, daß die
-„Allgemeine Auffassung“ den Nobelpreis fiir Lite-
ratur zu vergeben habe. „Die nahezu allgemeine
Auffassung die in diesem Falle auch die unsre ist.“
Die allgemeine Auffassung, die in a 11 e n Fällen die
unsre ist (warum so bescheiden) könnte ruhig das
Berliner Tageblatt mit ihrer Vertretung betrauen.
Herr Nobel tat es nicht, er traute offenbar dem
Berliner Tageblatt und der allgemeine Auffassung
weniger zu, als der schwedischen Akademie, die
der Literatur auch schon manches zugetraut hat.
Da war man sich einig. Unser Paul Heyse. Prud-
homme. Unser Peter Rossegger bekam ihn nicht.
Diese Schmach blieb Schweden erspart. Es kann
-steh hierfür vermutlich bei Per Hallström bedan-
ken. Die allgemeine Auffassung läßt sich zwar im
Berliner Tageblatt belehren, daß sie nicht mit der
Vergebung von Nobelpreisen zu tun habe. Die
allgemeine Auffassung scheint für die Verletzung
von Testamentsbestimmungen gradezu begeistert
zu sein. „Gegen Rabindra Nath Tagore wird sich
wahrscheinlich der Protest aller europäischen Na-
tionen erheben, weil es ganz gewiß nicht im Sinne
der Stiftung ist, den größten Preis, der für dichte-
risches Schaffen verliehen werden kann, in die
Hände eines Mannes zu legen, der bisher nur auf
eine beschränkte Gemeinde seiner Landesgenos-
sen . . Nobel hat bestimmt, daß bei der Zuer-
teilung der Preise keine Rücksicht auf die nationale
Zugehörigkeit genommen werden soll. Die allge-
meine Auffassung schließt ihren Horizont mit
Europa ab, trotzdem er nicht einmal über ein Zei-
tungsfeuilleton hinausreicht. Peter Rossegger hat
sogar eine große beschränkte Gemeinde seiner
Landesgenossen. Eine noch größere, noch be-
schränktere Gemeinde hat Otto Ernst und Gustav
Frenssen. Wenn diese Gemeinden durchaus Preise
vergeben wollen, so sollten sie es doch nicht mit
dem Gelde Nobels tun wollen, sondern es mit
ihrem Scherflein tun. Jeder Leser zahle eine Mark,
der Liebling hat seinen Preis und er gibt den Über-
schuß über den Nobelpreis sicher gern der schwe-
dischen Akademie heraus, die ihn hoffentlich auch
so gut verwerten wird, wie sie es mit ihrem eignen
Preis diesmal getan hat. Diese Art Dichterei der
allgemeinen Auffassung ist keine Kunst, das Pro-
testieren gegen Testamente kein Recht, das Unbe-
kanntsein von Künstlern keine Schande. Aber eine
Ehre. Die schwedische Akademie hat diesmal ver-
standen, die Ehre zu ehren. H. W.

Der Nobelpreis und Schweden

Man bittet mich aus Schweden um Veröffentlichung
dieser Zeilen:

Wenn man die ausländische Presse in diesen
Tagen liest, bekommt man den Eindruck, daß nicht
Schweden, sondern Europa den Nobelpreis ver-
teilt. Das ist nicht ganz richtig. Schweden ver-
teilt den Preis. Schweden ist dazu durch das
Testament Nobels beauftragt. Und die Schwe-

dische Akademie ist beauftragt, den Preis für Lite-
ratur zu erteilen. Zur Hilfe haben sie von Nobel
testamentarische Bestimmungen mitbekommen. —

In diesem Jahr wütet mehr als sonst der Pro-
teststurm gegen den Beschluß Schwedens. Gerade
in diesem Jahr haben die Preisverteiler die testa-
mentarischen Bestimmungen Nobels genau be-
folgt, was früher wohl nicht immer der Fall war.
Warum denn diesen Protest? Besonders von Sei-
ten Deutschlands. Deutschland kann sich wohl am
wenigsten beklagen. Viermal hat Deutschland einen
Nobelpreis heimgetragen. Oder liegt das Geheimnis
vielleicht gerade da? Ich weiß nicht, aber mir
kommt es vor, als wäre Deutschland in diesem
Falle zu bevorzugt. Welche deutschen Zeitungen
man in die Hand bekommt, alle haben sie was
auszusetzen, alle fordern sie im gebieterischen
Tone, daß die schwedische Akademie sich ver-
teidigen soll. Hat Deutschland Befugnis, auf diese
Weise aufzutreten? Hat die schwedische Aka-
demie die Pflicht, sich zu verteidigen? Die Nobel-
statuten sind in allen Zeitungen Deutschlands jetzt
abgedruckt, und dadurch ist bewiesen, daß nach
dem Testament alles gerecht .ist. Aber der
Proteststurm schweigt doch nicht. — Ich finde,
wenn alle Nationen, die mit der Sache gar
n i c h t s zu tun haben, protestieren, könnte Schwe-
den, das wohl in diesem Falle etwas sagen könnte,
auch anfangen.

Und mit Recht. Wie oft hat Schweden den
Nobelpreis bekommen? Einmal. Ich glaube nicht,
daß es Nobels Absicht war, Schweden in diesem
Fall stiefmütterlich zu behandeln. Wenn Schwe-
den nicht die dichterischen Kräfte hätte, aber
Schweden hat sie und hat sie auch längst gehabt.
Tote wie Lebende hätten den Preis schon lange
verdient. Ich nenne nur einige Namen: Strind-
berg, Fröding, Karlfeld, Heidenstam, Hallström,
Söderberg. Haben sie nicht den Preis eher ver-
dient, als Paul Heyse, Sinkiewicz oder Sully Prud-
homme, der nach meiner Meinung wirklich gegen
die testamentarischen Bestimmungen gewählt
wurde. Sein Schaffen und bald darauf auch sein
Leben neigte sich zu Ende. Ist es denn ein Hinder-
nis, Schwede zu sein? Nobel hat bestimmt:
. . . auch Dichter außer Skandinavien können
den Preis erhalten. Aber diese Worte bedeuten
doch durchaus nicht, daß der Preis n i e in Skandi-
navien verteilt werden soll. Hier liegt uns Däne-
mark nahe. Gehört nicht Dänemark auch zu den
berechtigten Nationen. Keiner dürfte bestreiten,
daß Dänemark gerade in der Literatur große Namen
hat. Ich will nur ein paar nennen: Herman Bang,
Aage von Kohl, Pontoppidan. Es wäre wünschens-
wert, daß die schwedische Akademie sich ihrer
Verantwortung in diesem Falle bewußt würde.
Vielleicht wäre es ein Mittel, daß Schweden
und nicht Europa den Nobelpreis verteilt, wenn
Schweden anfinge, gerecht gegen sich selbst zu
werden. Skandinavien hat seine Großen bis heute.
Sie sollten vor allen Dingen in Schweden aner-
kannt werden.

Die Schwermut des
Genießers

Roman

Von Artur Babillotte

Fortsetzung

Als Johannes mit Eva in die Loge trat und die
Menschenmenge im Zuschauerraum erblickte,
hatte er die Empfindung, als sei das Theater der

Kern der Großstadt. Was hier geschah, das
pflanzte sich auf Luftwellen nach allen Seiten fort
und überschwemmte die ganze weite Fläche der
Stadt.

Johannes saß bleich und regungslos in seinem
Sessel. Die weißen Hände lagen lässig. Fast un-
merklich zitterten die Fingerspitzen; alle Musik,
die in ihm tönte, wollte ihn jetzt nicht verlassen.
In seinen tiefen schwarzen Augen brannten un-
ruhige Lichter; ein ganz feiner Strich über der
Nasenwurzel verband die starken Brauen mit ein-
ander.

Evas Bewegungen waren langsamer und be-
rechneter geworden. Sie war die Gattin des genia-
len Künstlers ... sie stand im hohen Leben.

Seine Gedanken zerrten ihn immer wieder in
die selbstquälerische Erkenntnis, daß er den Weg
verloren habe. Sein erstes Werk —•, in wenigen
Minuten sollte es lebendig an ihm vorüberziehen.
Aber er vermochte sich nicht zu freuen. Er hatte
sich losgesagt von dem, was einmal seine Stärke
und seine Zuversicht war, um dieses Werk zu
schaffen. Ein Höheres hatte sich ihm dargebo-
ten .... Er litt unendlich unter diesen Gedanken.

Er saß und quälte sich. War es denkbar, daß
der Anblick der Großstadt dies alles hervorrief?
War dieser Eindruck so groß, daß er den Zusam-
menbruch alles Halben, alles Wertlosen in seiner
Seele bewirken konnte? äb.

Eva fand kein Ende des Schau« und Stau-
nens. Da er aber regungslos blieb, schmollte sie.

— Ich begreife dich nicht. Heute solltest du
wirklich keine schlechte Laune haben.

Er hörte nicht, als säße er meilenweit entfernt
in irgend einer Verlassenheit. Eine Reue, die mit
plötzlicher Wildheit in ihm aufgesprungen war,
verbrannte Ihn. Alle Hoffnungen, alle Freuden
lagen zertrümmert zu seinen Füßen ein armer
Rest fröhlichen Hochmuts. Nichts war geschehen,
die Tage waren vorübergegangen in ewiger Be-
haglichkeit, mit Schauen und Betrachten. Aber
dieses Schauen und Betrachten hatte keine Reich-
tümer in ihm angehäuft.

... Im Orchesterraum wurden die Instrumente
gestimmt. Jetzt atmete Eva auf.

— Das klingt ganz heimatlich, sagte sie. Als
er wieder nicht antwortete, streichelte sie ihn. Er
schrak auf.

— Jaja, lächelte er teilnahmlos. Ich glaube, du
hast Recht . . . Und versank aufs neue in seine
Not.

.Eine laute Stimme riß ihn aus seiner

Qual. Der Vater trat durch die Tür. Hinter ihm
traten die Eltern Evas herein.

Johannes freute sich nicht. Im ersten Augen-
blick, als er erfuhr, daß der Vater zur Aufführung
kommen würde, hatte er heimlich gejubelt. Aber
als er dann dem Mann gegenüberstand, zum ersten
Male nach Jahren, und als der Vater ihn begrüßte,
war alle Freude gestorben. Da hatte er erlebt,
daß er dem Vater nur den Leib verdanke.

Die Eltern Evas hatten sich bescheiden in die
zweite Reihe gesetzt. Das straff anliegende
schwarzseidene Kleid der Mutter wurde von der
Dämmerung im Hintergrund der Loge aufgesogen;
wie ein verschwommener gelber Fleck stand das
schmale Gesicht mit dem grauen Haar vor der fin-
stern Rückwand. Der alte Beamte rückte un-
sicher hin und her. Seine grauen Augen rollten.
Er war verlegen, fremd und hilflos in dieser Feier-
lichkeit.

Einer, der wie ein heiliger Gedanke hinter den
andern herein gekommen war, lehnte in der Ecke.
All das Neue, das Laute, Bunte, Ruhelose hatte
ihn berauscht. Jetzt war er nicht mehr nur der
schlichte Arbeiter Jörg Martin, jetzt war er einer,
der vor einer breiten Treppe stand, die in das

14!
 
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