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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 192/193 (Erstes Januarheft)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [17]
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0162

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— Freunde, sprach Jörg Martin, ihr wart er-
staunt, als ihr meinen Aufruf last. Ihr konntet
■euch nicht erklären, wie dies zusammenhinge: Ein
Arbeiter, ein Qenosse, der von der Schönheit des
Lebens redet, der von schönen Wprten und Be-
wegungen erzählen will. Die meisten von euch
haben gelacht . . . Und die meisten sind hier aus
Neugierde: Was wird denn dieser sonderbare

Kerl zu erzählen haben? Und ihr habt Recht, wenn
ihr lacht. Denn, was ich euch sagen will, hat euch
noch keiner gesagt, und es wird eine Zeit vor-
übergehen müssen, bis ihr mich ganz versteht.

Denn, Freunde, ich will euch nicht erzählen
von der Freude am äußerlichen Genuß, den euch
eure Führer als das Begehrenswerteste im Leben
schildern . . . Ich will euch vom innern Genuß er-
zählen. Mögt ihr arm sein oder reich, schön oder
.häßlich, die Für zu diesem Genuß steht euch offen,
ihr könnt den Fuß über diel Schwelle setzen, wann
Ihr wollt.

Sie saßen und wußten nicht, was sie aus dem
Mann und seinen Worten machen sollten. Ein paar
ftmge Burschen lachten spöttisch. Aber ein Alter
vor ihnen drehte sich um und schalt. Manchmal
nickte dieser Alte mit dem Kopf, manchmal zog er
die Schultern hoch. Eine ewige Unruhe lief über
sein Runzelgesicht. Dies war einer der besten
Redner der Sozialisten. Seine Stimme war ein-
tönig, seine Worte trocken und geradeaus —, aber
seine Augen tauchten alle Nüchternheit in Glut.

Ob ihr außergewöhnlich klug seid oder nur so-
viel wißt, als ihr zum täglichen Leben nötig habt;
ob ihr euch gern vergnügt bei einem guten Tropfen
oder bei Kartenspiel oder bei Gesang und Tanz;
ob ihr gern die Zeitung eurer Partei oder billige
Romane lest; dies alles kommt nicht in Frage. In
Frage kommt nur, ob ihr es versteht, eure Lieb-
habereien und eure Veranlagung nach allen Seiten
hin zu schleifen und in eine schöne Form zu brin-
gen. Wenn ihr dies versteht — und jeder von
euch wird es können —, dann werdet ihr keine
unschönen Worte mehr sprechen, keine häßlichen
Gedanken mehr in euch großwerden lassen, dann
werdet ihr maßvoll sein. Wer aber maßvoll ist,
ist zufrieden.

Das ist das große Glück, Freunde, das euch die
Zukunft bringen soll. So einfach und unscheinbar
ss aussieht, so schön und beglückend ist es.

Die vielen Proletarier, die bis dahin still und
regungslos gelauscht hatten, begannen, unruhig zu
werden. Einige gähnten, die Ungestümeren
Pfiffen leise oder lachten.

Der Alte mit dem Runzelgesicht aber erhob
sich schnell und mühelos, schob sich zwischen den
andern hindurch nach dem Mittelgang und schritt
nach der Tribüne. Jörg Martin sah ihn kommen
und nickte ihm zu; dies wrar einer, der ihn ernst
nahm, das sah er.

Ich möchte nachher ein paar Worte reden!
sagte der Alte mit klarer Stimme. Alle Unruhe
erlosch, als diese Stimme ertönte.

Und Jörg Martin entrollte den Proletariern der
Großstadt das bunte Gemälde seines Glaubens
und seiner Hoffnungen. Seine Stimme wurde be-
geistert, seine Bewegungen größer und mitreißen-
der. Schon der Gedanke, daß einer im Saale war,
der ihn nicht abtat. gab ihm eine tiefe Freude. Er
erzählte von dem Tag, an dem er den Künstler
kennen gelernt, von dem Reichtum, den ihm die-
ser geschenkt hatte. Er erzählte von seinen Näch-
ten, von den vielen Enttäuschungen.

Groß ist das Ziel, sagte er, das die Sozialde-
mokratie erreichen will. Sie sagt: Euer einziges
Bestreben sei, unabhängig zu werden. Alles an-
dere fällt euch dann von selbst zu. Ich aber glaube,
Freunde, wir müssen erst Menschen werden .

Sind wir das, wird sich uns manches besser ge-
stalten. Und vor allem sind wir dann reif und
ernst genug, das Errungene nicht zu entweihen.

Unsinn! schrie einer, der ganz in eine Ecke
gedrückt stand.

Ob wir so verhungern oder so, ist egal! ein
anderer.

Die klare Stimme des Alten verwehte ihre Un-
zufriedenheit.

. . . Und Jörg Martin sprach weiter. Der auf-
keimende Widerstand machte ihn trotzig und
stärkte seinen Mut. ; 4

Freunde, weist mich nicht ab, ohne nachge-
dacht zu haben. Was habt ihr erreicht mit
Schreien und Drohen? Nichts wird mit Gewalt
und Trotz erreicht . . .

Das hat der Nazarener auch gesagt! schrie ein
junger Bursche und spie aus. — Wir lassen uns
nicht mehr zu Lämmern machen, verstanden?!

Der aufsichtfiihrende Beamte erhob sich halb
von seinem Sitz. In seinen strengen Augen glühte
ein verachtender Zorn. Aber der junge Proletarier
lachte nur verächtlich und spie zum zweitenmal aus.

Will wohl das Fliegen lernen, der grüne Junge!
knurrte der Alte. Solches Gemüse hat den Mund
zu halten ....

Der Junge springt auf, fuchtelt mit den Armen,
schreit; —- Oho! Hab dasselbe Recht wie alle!
Kann reden, wann ich will!

Stimmen schrillen auf. Das Schimpfen des
Jungen gellt. Aus wilden Augen schießen gefähr-
liche Blitze. Drohend sausen seine Fäuste durch
die Luft. Der ganze Grimm des Proletariers
bricht aus und stürzt über die Versammelten.
Festgebohrt haften die plumpen Schuhe am Boden,
Jeder Muskel ist Kraft und Wildheit. Ein Brausen
vieler Stimmen überschwemmt den großen Saal,
bricht sich an den Wänden, ebbt zurück.

Oben auf der Tribüne steht Jörg Martin. In
seinen Augen glüht die Not dessen, der fühlt, daß
er für seinen Glauben viel leiden muß. Er sieht
in dem Jungen nicht nur den einzelnen empörten
Menschen —: er sieht in ihm das ganze in Wut
und Haß gepeitschte Proletariat, die junge Mann-
schaft, die nach Lebensgenuß und wilden Freuden
giert.

Die Stimmen, die den Jungen loben, mehren
sich. Der Lärm schlägt flammend empor. Der
Beamte schreit dazwischen. Seine Stimme zer-
bricht an dem Uebermaß der Schreie. Da dröhnt
eine andere Stimme auf, hart, als werde jedes
Wort zu einem Gewaffneten, der unter die Toben-
den tritt.

Rücksichtslos drängt sich der Alte durch die
zusammengescharten Menschen, die gerückten
Stühle — sein Schritt dröhnt so hart wie seine
Stimme. Gewandt schwingt er sich auf die Tri-
büne. Da steht er, ein Funkeln in den kleinen
Augen, ein Zucken in den Fäusten, und mißt die
lärmenden Genossen. Murrend verkriecht sich
der Lärm.

Nur der junge Mensch brüllt weiter.

Ob du jetzt still bist?

Der dröhnende Anruf wirft ihn zwei Schritte
zurück. Dann taumelt er, rasend bis hart an den
Fuß der Tribüne vor.

Hast immer mehr zu den Reichen gehalten, als
zu uns, alter Duckmäuser! Wenn dirs bis jetzt
keiner gesagt hat, was für ein falscher Hund du
bist, jetzt sag ich dirs!

Gewandt weicht der Alte der Besudelung aus,
springt dem Tollen ins Genick, schleudert ihn vor
sich her, wirft ihn mit breiten Armstößen durch
die Menge, zerrt ihn zur Tür hinaus. Sorgfältig
riegelt er zu und geht zurück und steht wieder
ehern oben.

Schämen sollt ihr euch! Wollt wie anständig«
Menschen behandelt sein und seid schlimmer als
das liebe Vieh . . , Vierzig Jahr geh ich in die
Fabrik, fünfunddreißig bin ich Sozialdemokrat —
Aber daß ich einen Menschen, der in einer Ver-
sammlung seine ehrliche Meinung gesagt hat, daß
ich den niedergeschrien hätt — Pfui! Ihr wollt
Gleichheit . . . und wenn einer kommt, der nicht
gerade so denkt wie ihr, pfeift ihr ihn aus und
verekelt ihm mit schnoddrigen Anrempelungen alle
Courage. So, das wollt ich euch zuerst sagen.

Jetzt will ich auf das zurückkommen, was der
Genosse gesprochen hat. Viel lernen könnt ihr
schon von ihm. Vor allem Anstand. Denn, wer
gleichberechtigt sein will, muß sich auch wie ein
anständiger Kerl benehmen können . . . Der Ge-
nosse sagt: Erst muß der Mensch in sich abge-
rundet sein, dann kommt in zweiter Linie die
Besserung seiner Lage. Darin bin ich ganz ande-
rer Meinung. Erst muß der Mensch ohne schwere
Geldsorgen leben können. m

Genossen! Der Vorredner erzählt, daß er ein
begeisterter Sozialdemokrat war. Er hat Steine
auf dem Weg gefunden . . . Steine gibts auf jedem
Weg. — Ausgenommen auf den Asphaltstraßen
der Reichen. Und so eine Straße will uns der

Genosse führen-Wir sollen uns vornehme

Gedanken äneignen, vornehme Bewegungen, vor-
nehme Worte. Er meint, wir sollen alles Un-
schöne aus uns herauswerfen, edle Menschen wer-
den. Aber ein Mensch, der sich für sich und seine
Familie Tag um Tag abrackern muß, hat keine
Zeit, sein Inneres zu säubern. Erst Befreiung von
den Sorgen, dann Veredlung. , , j

Die Musik empfiehlt er uns. Die neue Musik be-
sonders. Er hat von einem Künstler geredet, den
er kennen lernte . . . Wenn ich nicht irre, wurde
von dem neulich was im Theater gespielt . . .
Wenn ich offen sein will, muß ich sagen, solche
Musik verstehen wir nicht; dazu sind wir zu derb.
Dem Genossen gebe ich einen guten Rat: ja nicht
zu hoffen, daß er mit schöner Musik die Arbeiter-
massen gewinnen kann. Wir müssen ein gutes
Essen haben, wenn wir arbeiten sollen. Von
schöner Musik werden wir nicht satt. Und noch
eines möcht ich dem Vorredner sagen: Warum

bleibt er nicht bei der Sozialdemokratie? Sie er-
reicht immer größere Erfolge und in einigen Jahr-
zehnten wird sie gesiegt haben.

Alle Versammelten erhoben ein jubelndes Ge-
schrei. Sie feierten den Alten mit Zurufen. Alt
Jörg Martin dachten die meisten schon nicht mehr.

Hoch die Sozialdemokratie! Brausend wie ein
Gebet stieg der Ruf zu der hölzernen Decke.

Jörg Martin lächelte. Er Hatte den Glauben
an sich selbst.

Draußen sank der Abend schwer und traurig
auf den Schnee. Der Schimmer zitternder Later-
nenlichter floß durch die hohen Fenster. Ein
dämmriger Friede glitt leise von den Wänden und
schlich scheu wie ein Dieb von Mann zu Mann.
Aber alle wiesen ihn ab; in ihren Herzen pochte
der Kampf und in ihren Augen trotzte die Not
ihres harten Lebens. Und plötzlich fiel aus vielen
Glasbirnen das harte elektrische Licht und ver-
jagte den Frieden, der vergebens um Aufnahme
bettelt.

.... Hoch und stolz trat Jörg Martin vom
Rednerpult zurück. Nun galt es, mutig zu bleiben.
Nun galt es, geduldig zu sein, mit sorgsamer Liebe
des Augenblicks zu harren, da die Saat im harten
Boden aufging und Früchte brachte. Das Heil,
das er den Armen bringen wollte, lebte in ihm.
Und dieses Erlebnis zum Erlebnis des ganzen Pro-
letariats zu machen, das war die Aufgabe seines
ferneren Lebens.

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