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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 196/197 (Erstes Februarheft)
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Fort, Paul: Dichtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0173

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Dichtungen

Paul Furt
Dorfballaden

1

Dies Mädchen ist gestorben, es fand in der

Liebe den Tod.

Sie trugen es zur Erde nach des Tages Not.

Sie legten es einsam schlafen im Flitter seiner

Habe.

Sie legten es einsam schlafen, allein in seinem

Grabe.

Sie kamen fröhlich wieder, fröhlich mit dem Tag.
Sie sangen fröhlich, fröhlich: „Einem jeden

seine Plag“.

„Dies Mädchen ist gestorben, es fand in der

Liebe den Tod“.
Sie gingen in die Felder, wies jeder Tag gebot.

2

Schließ die Türe gut in den Wänden. Der
Wind streicht vorbei mit tausend Händen. Die
nähmen unsre Hemdchen, um sie als Segel den
großen Bäumen aufzusetzen, die hetzen dort den
ganzen Weg hinab.

Schließ die Ttire gut in den Wänden. Der
Wind streicht vorbei mit tausend Händen. Die
greifen unsre Bettchen als feine Hüllen, daß sie
die Bäume wie Füllen jagen und schlagen den
ganzen Weg hinab.

Schließ die Türe gut in den Wänden. Der
Wind streicht vorbei mit tausend Händen. Die
möchten unsre Liebe aus den Betten reißen, daß
s ,,eser heult mit den Windschiffen um die Riffe
des Schornsteins.

Schließ die Türe gut in den Wänden. Der
Wind streicht vorbei mit tausend Händen. Wir
würden frieren, mein Lieb, so nackt wie ein
Wurm, wenn uns der Sturm nicht 'aufs gleiche
Schifflein trüge.

3

Wein nicht mehr, mein Bub, du wirst genesen
von diesem Leid. - Ich werde sterben, ja genesen,
ich gehe ein ins Paradies.

- Wir machen eine schöne Reise, wohin du
willst. - 0, in den Himmel zieh ich still. Wenn
du klug bist, kommst du mit.

- Was tu ich dir zu folgen, mein armer Bub?
- Mein Lieb, meine Seele, man braucht nicht zu
leben. Wenn du klug bist, kommst du mit.

- Ich liebe mein Junge, ich liebe mein Leben,
zu lachen und singen. - Wenn du klug bist, komm,
mein Lieb, zu lachen und singen im Paradies.

- Wir werden zwei sein, wir werden tausend
in tausend Jahren, in hunderttausend, und in all
der Zeit der Zeiten fahren wir still und zufrieden.

Wein nicht mehr, mein Bub, du wirst genesen
von diesem Leid. - Ich werde sterben, genesen,
ich gehe ein ins Paradies.

- Wir machen eine schöne Reise, wohin du
willst, in den Himmel, zum Teufel, wohin du
willst, wohin du willst, wohin du willst ....

4

Immer sehen meine Augen in dies Land, wo
Ungetreue, deine Augen mich entzückten. Ich
hab in meinen Augen deine Augen, und Land und
Himmel lächeln unserm Sein.

Traurig, weinend sag ich ganz leise zu mir
und senk das Gesicht: Was tu ich im Leben mit
der innern, tiefen Mühe? Mein Leben hassen, es
beschließen und zum Gericht den Tieren über-
lassen?

Die Augen schließen und im Land unter den
Hufen der Stiere mit meinem Leben aufhören las-
sen meine Augen, die das Land umfassen, die
Stiere, den Himmel und die Augen meines Seins?

Nein, ich habe geweint. Das Herz ganz über-
laden, hab ich so viel geweint, daß die Augen
meines Lebens mit meinen Tränen einen Tag lang
gewandert sind - und der Himmel lächelt unserm
Sein.

In meinen Angen ist das gleiche Land, wo
Ungetreue, deine Augen mich entzückten. Die
Schwalben fesselt kein Band, sie wandern. Meine
Geliebte ist tot, es lebe die Geliebte.

5

Sie ist gestern gestorben, ich erinnere wohl,
daß sie gestern starb, und sie stirbt auch mor-
gen. Heute noch Schmerz und Erinnern, doch
morgen: Vergessen und in neuer Zukunft geborgen.

Alljährlich kommt mein Leid zurück, alljähr-
lich das Erinnern. So kommen und gehn, die tot
und geliebt sind und im Leiden gibt man das Glück
der frühen Zeit einer späten zurück.

Doch einmal vergißt du den Jahrestag, um an
jenem Tag nur an dich selbst zu denken, läßt dann
schlafen die Toten im hellen Kleid und ihr Ge-
denken am Grunde der Zeit.

6

Man hat Angst vor den Toten, man ist müde
und krumm, man will noch leben und weiß nicht
warum. Man möchte von Liebe leben, o Gott,
die du lieben möchtest, sind lange tot. Man hat
Angst vor den Toten.

Darum weinen die Leute . . .

Ist es das Erinnern an Tote, die ich vergaß?
Oder klagen die um mich, weil sie das Maß mei-
ner Tage weissagen können im Kalender?

Ich geh morgen von hinnen, vielleicht schon
heute. Ob sich die Leute dort unten entsinnen
noch eines Tages, vielleicht mit einer Nacht, viel-
leicht zweier Tage . . . Nein, morgen tiefstes
Vergessen, vielleicht schon heute.

Dumpfe Schläge am Klopfer

Das Mädchen: Wer ist da?

Eine Stimme (von draußen): Ich.

Das Mädchen: Wer, du?

Die Stimme: Ich.

(Les Flaireurs / Charles van Lerberghe)

Nacht. Von Himmel zu Himmel und über die
Ebene - Schnee. Eine Hütte und ein Goldstreif
in der Tür

Pochende Schläge am Klopfer

- Ich bin da.

- Ich bin da, Väterchen!

- Heh?

- Ick bi« da.

- Wer ruft mich: Väterchen?

- Ich! Dein Auge sieht durchs Schlüssellock,
Väterchen.

- Zum Teufel . . . Heh! Ich kenne dich nicht.

- Aber ja, es ist Weihnächten. Ihr wißt ganz
gut, man hat mich hergeschickt.

- O, o, was du sagst. Ich kenne dich gar nicht.

- Aber doch, man hat mich hergesandt . . .
aus der Burg. Ihr wißt es ganz gut. Ihr wollt
mich narren, Väterchen, nur zu, macht auf! Ick
friere.

Pochende Schläge am Klopfer

- Ich hab nichts zu öffnen, Ich erwarte nie-
manden.

. -Ihr kennt auch meinen Namen, und ich weiß
zu gut, daß Ihr mich erwartet.

- Du heißt?

- Ich . . . Ich friere.

■ - Du mußt aufmachen, Markus.

- Leg dich schlafen, Weib. ,

- Heh, du heißt?

- Ich friere.

- Oeffnet, Väterchen.

- Ins Bett, ihr Kinder. - Johannes, wie weiter?

- Ich sagte nicht Johannes. Ich friere.

- Ah so.

- Oeffnet, Ihr werdet sehn.

- Ich - nein, mein Lieber. Ich fürchte, die
Wölfe kommen.

- Oeffnet, noch sind sie nicht da und ich weiß
besser wie Ihr, was man gegen sie tut.

- Nein, ich fürchte die Kälte.

- Ah, Ihr wollt scherzen. Diese Kälte! Ihr
werdet Euch über mich lustig machen wegen mei-
ner roten Haare, die ganz mit Schnee vermengt
sind. Und dann ist doch Weihnachten, öffnet, ich
habe schöne Bücher.

- Ein Händler, schiebt docli eins unter der
Türe durch.

- Es ist zu groß, um unter der Türe durchzu-
kommen.

- Was?

- Mein Kopf, Väterchen.

- Welcher Narr, oh, welch ein Verrückter. Ich
will dich nicht auslachen weil du frierst. Mach
dich fort!

- Oeffnet.

- Geh fort, oder ich werfe dir glühende Asche
in die Augen!

- Nun, öffnet!

- Nein, nein!

- Nun gut, Väterchen, ich will Euch etwas
sagen, ganz spaßhaft, nur so.

- Heh?

- Jawohl, etwas, das man nicht alle Tage sagt.

- Wie?

- Ich wollte nur morgen sterben.

- Welch ein Narr. Warum denn?

- Nichts, gar nichts, es ist so meine Idee. Aber
ich hatte ein schönes Buch zu lesen für Euch.

- Nein.

.... Bevor

- Nein, geh fort, geh fort!

Schritte scheinen hinabzugleiten. - Sie sterben
. . . Man wird den Schnee auf Schnee fallen
hören. - Das Gold in der Türe erlischt.

Pochende Schläge am Klopfer

- Ich bin da.

- Ich bin da, Väterchen . . .

- Ich bin da!

- Ich bin . . .

1T6
 
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