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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 196/197 (Erstes Februarheft)
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Taut, Bruno: Eine Notwendigkeit
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Walden, Herwarth: Dürer und Goethe Nachf.
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Hoddis, Jakob van: Andante
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0178

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Malerei und Plastik vollziehen soll. Moderne Ar-
chitekten werden nur so schöpferisch und in
einem höheren Sinne traditionell gestalten, wie sie
die Notwendigkeit dieses Zusammenschlusses er-
kennen. Das Zusammenwirken ist nicht so zu
denken, daß die äußeren Formen der Malerei für
Architekturformen übernommen werden. Ku-
tüstisch ist die Architektur schon ihrem Wesen
nach und es wäre verkehrt, etwa kantige For-
men ausschließlich zu verwenden. Denn die
/"Bilder eines Leger vereinigen in sich das Kantige
und Weiche. Der Architekt muß sich hüten, das
Zusammengehen äußerlich zu nehmen und mißzu-
verstehen. Fr muß ähnlich alle möglichen Bau-
formen in sein Schaffensgebiet hineinziehen, wie
-sie sich -im malerischen Sinne in den geistvollen
Kompositionen Kandinskys äußern. Und zwar
deshalb, weil die Architektur sich auf eine breite
'Basis aller möglichen Voraussetzungen (künstle-
rische, konstruktive, soziale und pekuniäre), stel-
len muß, um ihren Erscheinungen etwas Dauern-
des geben zu können. Die Funktionen des Rah-
mens sind eben anders geartet als die der Bild-
Mäche. Auch muß der Architekt erkennen, daß
die Architektur von vornherein die Voraussetzung
in sich trägt, die die neue Malerei sich .geschaf-
fen hat: Die Freiheit von der Perspektive ui^d
der Enge einzelner Augenpunkte. Die Bauten
großer Architekturepochen wurden perspektiven-
los erfunden, die Perspektive aber erzeugte die
"bekannten Kulissenschöpfungen.

Es ist schön, diese Zusammengehörigkeit zu
wissen und für uns Architekten besonders be-
fruchtend. Doch es muß auch etwas Greifbares
geschehen: Das ideelle Architekturgebäude, das
heute schon die neue Kunst darstellt, muß sich
•einmal in einem sichtbaren Bauwerk kund tun.
Und es ist eine Notwendigkeit, daß das geschieht.

Bauen wir zusammen an einem großartigen
Bauwerk! An einem Bauwerk, das nicht allein
Architektur ist, in dem alles, Malerei, Plastik, alles
zusammen eine große Architektur bildet, und in
dem die Architektur wieder in den andern Kün-
sten aufgeht. Die Architektur soll hier Rahrrien
und Inhalt, alles zugleich sein. Dieses Bau-
werk braucht keinen rein praktischen Zweck
zu haben. Auch die Architektur kann sich
von utilitaristischen Forderungen loslösen. Es
würde genügen, wenn eine moderne Samm-
lung den Anlaß gäbe, Raum zur Aufbe-
wahrung der Kunstwerke zu schaffen und im
Anschluß daran einen Saal, der allen möglichen
künstlerischen Zwecken dienen kann. Es wird
ein einfacher baulicher Organismus hingestellt, auf
einem freien Gelände in der Nähe der Großstadt,
damit er sich auch in seiner äußeren Erscheinung
als künstlerischer Organismus geben kann. Der
Bau soll Räume enthalten, welche die charakte-
ristischen Erscheinungen der neuen Kunst in sich
aufnehmen: in großen Glasfenstern die Lichtkom-
positionen Delaunays, an den Wänden die kubi-
stischen Rhythmen, die Malerei eines Franz Marc
und die Kunst Kandinskys. Die Pfeiler im Aeußern
und Innern sollen auf die aufbauenden Plastiken
Archipenkos warten, das Ornament wird Campen-
donk schaffen. Die Mitarbeiter sind damit nicht
erschöpft. Es sollen sich alle Selbständigen be-
tätigen, wie das in einem baulichen Organismus
durchaus möglich ist — damit das Ganze einen
großartigen Gesamtklang bildet. Damit wäre der
Schritt getan, der notwendig ist, um die Künste
aus ihrer salonmäßigen Situation heraus zu heben,
die sie bis jetzt nach der bisherigen Aesthetik
und Praxis einnehmen mußten. Das Gerede iiber
das „Kunstgewerbliche“ in der neuen Kunst müßte
dann von selbst verstummen.

Das Haus braucht nicht gleich fertig zu sein.
Es schadet nichts, wenn selbst im Verlauf einer
Generation Einzelnes nicht ganz fertig wird.

Jeder Gedanke sozialer Absichten soll ver-
mieden werden. Das Ganze muß sich exklusiv
geben, wie eben große Kunst immer erst im Künst-
ler allein da ist. Das Volk möge sich dann von
selbst an ihr erziehen oder warten, bis seine Er-
zieher kommen.

Dürer und Goethe
Naehfa

Ohne Dürerkalender

Der Dürerbund teilt mir mit, daß er mit dem
Dürerkalender nichts zu tun hat. „Wir haben
wirklich nichts mit diesem Abreißkalender
zu tun.“ Mir bleibt nur noch übrig, fest-
zustellen, daß der Dürerbund auch nichts mit
Dürer zu tun hat. Daß der Goethebund nichts mit
Goethe zu tun hat. Die Klassiker müßten end-
lich als Warenzeichen gesetzlich geschützt wer-
den. Dennoch wird ihre Kunst dem Volke erst
mundgerecht sein, wenn sie als Dürerschnitte und
Goetheheringe verdaut werden kann.

Auch ich bin in Ostpreußien . . .

„Einen herzlichen Respekt vor Hermann
Sudermann, der obendrein mein verehrter Lands-
mann und überhaupt — nehmt alles nur in allem
— ein Mann ist, werden mir weder seine höhnen-
den Gegner abgewöhnen, noch wird er es selbst
können“. Ein Mann, ein Landsmann, ein Suder-
rnann, da muß man, nehmt alle nur in allem, mit
Paul Schlenther sagen, herzlichen Respekt und
Hut ab. Die Herzlichkeit erklärt sich aus der
Landsmannschaft, Verein ehemaliger Ostpreußen,
Schriftführer Herr Hofrat Paul Schlenther. Der
Respekt wird erklärt: „Seine tapfere Persönlich-
keit macht es mir leicht. Das, was er, immer
unter vollem Einsatz dieser Persönlichkeit,
manchmal schafft, macht es mir schwer.“ Der
Goethebund (Vorsitzender: Hermann Sudermann,
Dichter) als Kriegerverein. Wir halten fest und
treu zusammen. Und dieser Dreimann schafft, so
schwer es Herrn Schlenther wird, immer unter
vollem Einsatz dieser Persönlichkeit. Und mit allem
herzlichen Respekt wird trotz vollem Einsatz eine
Niete ausgerufen: „Auch diesmal! Mit bewußter
fast verstimmender Absicht will er das brachlie-
gende historische Drama wieder erwecken.“ Das
Drama bekam aber vor dem Landsmann mit dem
großen Bart einen Schreck, es blieb brachliegen,
wie überhaupt das Erwecken von Feldern nicht
einmal einem Hofrat gelingen dürfte. Man macht
es ihm schwer, aber der Hofrat ist so unhöfisch,
es das historische Drama nicht entgelten zu las-
sen: „Gegen das historische Drama ist nicht das
geringste einzuwenden, denn grade die durch-
forschte Geschichte lehrt, daß auf Gottes Welt
kaum ein Ding unmöglich ist.“ Ein Ding nicht,
aber ein Schriftführer, der für den verehrten Vor-
sitzenden drucken läßt: „Aber dies wäre kein

glaubhafter Grund dafür, daß er der Tauentzien-
straße überdrüssig geworden ist — der Tauent-
zienstraße, in der er selbst während seiner Ruh-
mesjahre gewohnt hat, schon fast an historischer
Stelle: unten Miericke, oben Sudermann.“ Das
lehrt die durchforschte Geschichte. Herr Miericke
schafft, immer unter vollem Einsatz der Persön-
lichkeit, Kuchen. Dieser Konditor schaffte, nehmt

alles nur in allem, dadurch eine historische Stelle,
er hat sicher nicht einmal an das historische
Drama gedacht. Unter vollem Einsatz seiner Per-
sönlichkeit setzte sich Herr Sudermann über ihn.
Herr Schlenther seinerseits schaffte unter vollem
Einsatz seiner Persönlichkeit die dazu gehörige»
Ruhmesjahre, fuhr die großen Kanonen auf, das
Volk sammelte sich an der Kaiser Wilhelm Ge-
dächtniskirche, blickte auf Miericke und Suders
mann und brüllte Hurrah, bis es ihm die höhnen-
den Gegner abgewöhnten. Es ging nur noch zu
Miericke. Einsam blieben zurück der Schlenther
und der Suderlandsmann.

Herr Sorge

Der Herr Schlenther kann es nicht fassen, trotz
allem herzlichen Respekt. Er rät und berät. Er
möchte dem Dichter Sudermann .(eine Treppe
über Miericke) so gerne helfen. Der Dichter Su-
dermänn macht es ihm sehr schwer. Der gute
Ruf des Berliner Tageblatts fordert durchaus Herrn
Sudermanns Ehre. Hier ist seine Heimat. Hier
wurden ihm Johannisfeuer abgebrannt. Lieber Go-
morrha, als ihm Sodoms Ende 'bereiten. Sein Leben
muß leben. Hätte er! Hätte er! Hätte er! „Hätte
Sudermann mit sicherer Hand diese Entwicklung
von Akt zu Akt klarer werden lassen, so wäre sein
bestes Drama entstanden.“ Aber dieser Herr Su-
dermann glaubt, daß auf Gottes Welt kaum ein
Ding unmöglich ist. Sein dünner Faden reißt. „Aber
er konnte der Lockung nicht widerstehen, diesen
leitenden Faden mit allerhand buntem, kunterbun-
tem Zeug immer wieder bis zur Unkenntlichkeit zu
überhäufen.“ Das Zeug würde nicht einmal eine
Waschleine aushalten. Doch dem Mann muß gehol-
fen werden. Herr Schlenther macht sich schnell
ein paar extra große Knoten ins Gehirn, der Faden
darf nicht reißen, und er bekennt: „Vielleicht tue
ich dem Drama unrecht und ich habe es nicht ka-
piert. Aber ich glaube: der Dichter sollte es erst
von allem unnützen Wüste befreien, bevor er es
seinen Großberlinern bietet.“ Die Großberliner, die
es sich bieten lassen, sie sollen alle, aber alle,
Schlenthers kritische Nachfolger am Berliner Tage-
blatt werden. Ich hoffe, daß diese Kritik selbst
im Berliner Tageblatt Landsmännern kritisch
werden kann.

H. W.

Andante

Auf blühen Papierwiesen
Leuchtend und grün
Da stehen drei Kühe
Und singen kühn:

„O Wälder, o Wolken
„O farbige Winde
„Wir werden gemolken
„Geschwinde, geschwinde . . .

„In goldene Eimer
„Fließt unser Saft
„In farbige Reimer
„Ergießt unsere Kraft

„Wir stehen hier, im Chor beisammen,

Auf knotigem Beine

„Und die Kräfte der Erde sind

„Angesammelt zu frohem Vereine.“

Sie bocken bei Tag und sie trillern bei Nacht.

Jakob van Hoddis

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