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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 198/199 (Zweites Februarheft)
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Walden, Herwarth: Die heitere Kunst
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Lotz, Ernst Wilhelm: Erscheinung
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [4]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0182

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In München ist immer mal wieder „Der neue
Merkur“ gegründet worden. Natürlich von Georg
Müller. Dort soll sich die „Elite“ breittun. In
Deutschland wird wirklich für den Handelsgeist
gesorgt.

Kunstnachrichten

Professor Oskar Bie, der zusammen mit Fritz
Stahl Kunstgeschichte studiert hat, ist fünfzig Jahr
alt geworden.

Georg Engel wird in der Steglitzer litera-
rischen Gesellschaft aus seinen Werken vorlesen.

Der wilde Mann

Die Kunstwelt des Herrn Felix Lorenz, eine
schlechte Kopie der Gartenlaube und der Moder-
nen Kunst des Herrn Bong, fragt angstvoll alle
möglichen Leute, was sie von den sogenannten
neuesten Kunstrichtungen halten. Abgeordnete,
Kommerzienräte, Fabrikdirektoren, Hanns Heinz
Ewers und schließlich neben soviel Fachleuten
auch einen Dilettanten, den Kunstmaler Albin
Egger-Lienz. Oesterreich hat ihn wieder, er fühlte
sich in Deutschland nicht bodenständig. Berlin
wollte nichts von ihm wissen und Weimar auch
nicht. Nun schimpft der Herr Egger in Oesterreich
über Deutschland. Die Kunstwelt schickt diese
Schimpfereien als Sonderdruck, halbelegant ge-
bunden, an sämtliche Leute, die von der Existenz
des Herrn Egger noch nichts wußten. Der brave
Herr Egger fängt so an: „Dieser Schwindel muß
um so offener als solcher gebrandmarkt werden,
als seine Anhänger mit einem im Kunstleben bisher
unerhörten Terror jeden, der ihn nicht mitmacht,
mit Boykott und afterkritischer Verfolgung bedro-
hen und jede Zurückhaltung von ihnen als
Schwäche ausgelegt wird.“ Das denkt Herr
Egger über die neuesten Kunstrichtungen. In die-
ser sympathischen Form schimpft Herr Egger sei-
tenlang weiter, offenbar, weil seine Bilder in Ber-
lin keinen Erfolg hatten. Schlecht genug sind sie
freilich dazu. Aber manchmal glückt es auch da-
mit nicht. Sonst hat Herr Egger noch zu bemer-
ken: „Der zum Gipfel der Jahrtausende cmporge-
schmockte Manet zeigt sich mir als ein schwäch-
licher und höchst mittelmäßiger Velasquez-Nach-
empfinder . . ., der gepriesene Cezanne war ein
öder Konstruktionsphilister, van Gogh und Marees
bemitleidenswerte Unzulänglichkeiten, Greco, der
Affe Tizians, ein notorischer Seekrüppel.“ Der
hat es ihnen aber gut gegeben, der Egger mit den
guten Augen, dem Manet, dem Cezanne, dem van
Gogh, dem Marees und dem Greco. Aber diese
Künstler brauchen wenigstens die Bilder des Herrn
Egger nicht mehr zu sehen. Dafür kann man sich
schon einige Schimpfworte ins Grab nachrufen
lassen.

Die gewisse Richtung

Abgeordneter Delbrück (konservativ) in der
zwanzigsten Sitzung des preußischen Abgeordne-
tenhauses: „Es ist augenblicklich eine gewisse

Richtung in der Kunst, Sachen zu malen, die
man früher als Studien im Atelier ließ,
zum Beispiel ein splitternacktes Modell, das in
einem Salon Thee eingießt. Seien wir doch froh,
daß die Staatsanwälte nicht nach dem Gefühl ent-
scheiden.“ Man weiß nicht recht, ob die Staatsan-
wälte für oder gegen das Modell wären. Nach dem
Gefühl. Wo mag der Abgeordnete Delbrück die
gewisse neue Richtung in der Kunst äugen blick-
lich gesehen haben? Er wird doch nicht das Mo-
dele Nue von Leger meinen? Ich bin zwar in der
glücklichen Lage, kubistische Bilder zu „erken-
nen“, aber den Salon und den Thee muß mir doch
erst der Abgeordnete Delbrück nachweisen. Oder
war der Herr Abgeordnete vielleicht in der gro-
ßen Berliner Kunstausstellung?

H. W.

Erscheinung

Ich tanze die Treppen herab mit federnden Sehnen,
Mit glänzend geöffneten Augen fühle ich Straßen

hin!

Aber der Tag ist schwierig im Winterdämmer.

Die Straßen biegen aus und flackern davon.

Ein Schatten überspringt mich, ein schmerzliches

Wundern:

Die Wagen und Autos meiden mich in Flucht,

Die Straßenbahnen kreischen auf in den Strängen,
Um die Ecke schnellend läuten sie Not.

Und Menschen, schwärz, heftig und windgeweht,

— Ihr rot umworbene Richter meiner Empfindun-

gen! —

Stürmen vorüber, wirr fuchtelnd mit Flucht-
gebärde.

Steif zeigen Finger nach meiner Stirn.

Und alles, was da war, begriffen, umgreifbar,

Legt zwischen mich und sich einen Raum.

Staub hebt sich auf und begibt sich von dannen.

Nur — o Traum besonnter Beruhigung! —

Ein Fenster im Dach — Auge blinkend verirrt! —

— Scheibe, zerscherbt und der Armen Licht-

schenker —

Hält sich gern gebend plötzlichem Strahl der

Scheidesonne hin.

Rührend empfangen, senkt sich der Funke auf

mich:

Daß ich in Geleucht starr stehe wie ein Gott in der

Fremde.

Kommen da nicht aus allen Winkeln,

Den Läden, den Fenstern, Türen und Wagen,

Aus schwarz quellender Fülle der Torwege,

Aus Seitenstraßen, wo Janhagel pfiff,

Kommen nicht lauter sehr schüchterne Lichter,
Stil! flackernde Augen her, her zu mir!

Das, was ich suchen ging: Suchende Augen!

Was mich erschüttert und emporfedert!

Was mir wie schluchzendes Jauchzen nach Innen

schlägt:

Gefundene suchende Augen!

Hell schwimmen sie mir entgegen, glitzernde

Wellen,

Ich bade mich, umtastet von ihrem Staunen.

Heilig frierend, bin ich der Sieger, bin der Prophet

und der König,

Denn seht: Ich schöpfe die Frage aus euren Augen,

den Glanz und das Leben.

Ernst Wilhelm Lotz

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohl

Fortsetzung

Ei, ei, das war mit anderen Worten weder
mehr noch weniger als die Weisheit der Priester,
die plötzlich ihre Affenfratze hervorsteckte! Ent-
sann sich denn sein Gehirn unbewußt und mit skla-
venhaftem Gehorsam, was der Probst damals an
ihrem Grabe mit bewegter Stimme, ja sogar mit
Tränen an der rechten Stelle, gesagt hatte: daß
wir keinerlei Erklärung für dies Gräßliche finden

können als die, daß der alliebende Gott und Vater
dies hatte geschehen lassen — um den Dichter
Glaß Morton zum Paradiese zu führen! Haha, köst-
lich, Millionen wert, wie klug sie alle mit einander
waren, von den Priestern und den Aufsehern und
•— bis zu ihm* selbst! Ja, so wahr — oder höre nun
einmal, das ganze ist so unendlich einfach, selbst
der Einfältigste wird in Zukunft sogar das Unfaß-
lichste von allem begreifen können —: der Allweise
und Alliebende hatte schon seit längerer Zeit daran
gezwcifelt, inwiefern es überhaupt tunlich sei, die-
sen verstockten Wurm Glaß Morton auf seine Seite
hinüberzubringen; Er hatte allerhöchst eigenhändig
und mißvergnügt gar manches Jahr darüber hin
und her gegrübelt, immer bekümmerter; Er durch-
blätterte in seinem Gedächtnis, welche Mittel ihm
zur Verfügung standen, Sodom, Christenverfol-
gung, wilde Tiere, Hungersnot, Krieg, Pest und Sy-
philis, nein, aber nichts von alledem gefiel dem All-
gütigen, das waren völlig veraltete Sachen, alle mit-
einander, die in einer so aufgeklärten Zeit wie die
unsere zu benutzen, Er sich geradezu geschämt
haben würde — und vielleicht gehörten übrigens
auch noch schärfere Methoden dazu, falls es solche
gab . . . und siehe, ganz richtig, nicht wahr, da
unten ging ja ein wunderbares Wesen gerade an
dieses Sünders Seite: jung, du guter Gott, so strah-
lend schön, so göttlich voll von Kraft, die noch gar
manches Jahr gebraucht werden konnte, um Licht
über die Erde zu verbreiten, Zärtlichkeit, die noch
Jahrzehnte lang flammen und scheinen und Tage
wie Nächte gut machen konnte, Freude und Hilfs-
bereitschaft und Liebe noch für Dutzende von lan-
gen, langen, schönen Jahren —: die kleine Annie,
deren Herz aus Gold, die schöner war, als alle die
andern, und die nie einem lebenden Wesen etwas
anderes als Gutes mit aller Macht getan hatte — ja-
wohl, das war ja gerade das würdige Opfer, haha,
laß sie auf den Wegen unergründlicher Zufälligkei-
ten nichts ahnend und schuldlos in der Dunkelheit
eines Abends mit ihrem goldenen Haar an einen ein-
samen Ort hinausgeführt, laß die Nacht zerrissen
werden von ihrem Geschrei unter dem Blitzen eines
Messers, durchzuckt werden von ihrem Mut, ihrem
Entsetzen, ihrem blutigen Tod in einer Oual, die
kein Sinn fassen kann, mein Gott, mein Gott, icli
kann nicht mehr, meine Kräfte sind auf einmal ganz
und gar dahin, ach, Annie, Gott gebe, ich wäre
gleich jetzt bei dir! . . .

Er hatte sich von neuem, ohne es zu wissen,
wieder in Bewegung gesetzt.

Planlos wanderte er vorwärts, mit straucheln-
dem Fuß, ohne zu hören oder zu sehen, er selbst
fühlte, daß sein Antlitz unbeweglich und verzerrt
war, wie aus Holz, wie aus wahnsinnigem und ge-
fühllosem Stein — aber in ihren Höhlen brannten
seine Augen, sein Gaumen war trocken und heiß,
an seinem Herzen saß zerfleischend ein Kummer,
der nicht zu ertragen war.

Das Geräusch seiner Schritte gelangte auf ein-
mal an sein Ohr —: der leise, schreitende Laut von
Kies, der unter seinem Gewicht nachgab, während
er den Stiefel niedersetzte; das feine Knittern der
zahllosen, winzig kleinen Körner, die mit jedem
Tritt, den er machte, unter einander mit Zolltiefe
in der Erde verschoben wurden . . . mit jedem
Mal unterirdische, mikroskopische Leben zu tau-
senden zermalmten: ein Weltuntergang auf eines
Fußes Breite — von ihm herbeigeführt!

Er hielt jäh inne bei diesem Gedanken, mit einem
plötzlichen Brand in seinem Herzen. Streckte wild
die Arme aus, warf den Nacken hintenüber, sah
zitternd empor zu dem bleichen Himmel, an dem
sich die Sterne entzündeten — bog darauf gleich
wieder mit einem Ruck vornüber, wagte nicht,
zu bleiben, wo er war, wagte weder zur Seite,

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