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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 2
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Heise, Carl Georg: Daphne
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0102

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DAPHNE

VON

CARL GEORG HEISE

Die schöne Tochter des Flußgottes Peneios ent-
zückt den Apoll, der sie zu besitzen trachtet
und sie verfolgt trotz ihres Widerstandes. Nur ein
Machtwort des Vaters, der sie in einen Lorbeer-
baum verwandelt, rettet Daphne vor dem Zugriff
ihres mächtigen Verfolgers. Im heftigen Schmerz
über den Verlust der Geliebten läßt Apoll seine
Pfeile fallen, und durch den Lorbeer, der ihm hei-
lig wird für alle Zeiten, bleibt er der Daphne ver-
bunden. Dem lebenspendenden und todbringenden
Gotte erliegt das Mädchen, hält aber selbst den
siegreichen Verfolger in Liebesbanden durch ihre
Verwandlung zum Symbolum unvergänglichen
Ruhms. Anmutige Bilder des Liebesspiels verweben
sich zur tiefsinnigen Unergründlichkeit des Mythos.

So schwer gerade das Daphne-Motiv bildhaue-
risch zu bewältigen ist, so sehr begreift man den
Reiz, den es zu allen Zeiten auf die Phantasie der
bildenden Künstler geübt hat. Für eine Garten-
plastik erscheint der Vorwurf besonders geeignet.
Renee Sintenis hat kürzlich im Auftrage des Lü-
becker Museums eine Daphne geschaffen für den
Vorhof eines kleinen Ausstellungsgebäudes im
Garten des Behn-Hauses. Niedrige Wände grenzen
den Platz von drei Seiten ein, nach der offenen
vierten steht die vergoldete Bronze vor den Bäu-
men eines alten Parks.

Die Figur hat unzweifelhaft barocken Charakter:
reiches Spiel plastischer Formen, kühner Wechsel
belichteter und beschatteter Flächen, eine Vielfäl-
tigkeit gültiger Ansichten von großer raumschöpfe-
rischer Wirkung. Ein Vergleich mit der berühmten
Gruppe des Bernini wird nicht nur durch das
gleiche Thema herausgefordert. Die herrliche Be-
wegungskurve der Berninischen Figuren aber hat
ein viel freieres Eigenleben, die pathetische Ge-
bärdensprache interpretiert nicht die Sage, sondern

verdunkelt ihre Besonderheit, so daß das erläuternde
Beiwerk von Blatt und Borke als Fremdkörper
wirkt. Eine Verfolgungsszene großen Stils, doch
nicht die Gestaltung eines Mythos.

Bei der Sintenis ist alles stiller und tiefer. Es
fehlt der verfolgende Gott und nur die sich wan-
delnde Daphne ist ihr Motiv. Es besteht auch kein
Gegensatz mehr zwischen Baum und Mädchen-
körper, die Gestalt selbst scheint nichts anderes zu
sein als Wachstumsgebärde. In ihrem Ausdruck
liegt weder Freude noch Schmerz, sondern Gelassen-
heit. Der Punkt ist aufgezeigt, wo der Mensch
ein Stück organische Natur, die Pflanze aber ein
Lebewesen ist mit Möglichkeiten freiester Entfal-
tung. Damit aber wächst auch das Sagenmotiv
über das Anekdotische hinaus zum Sinnbild und
im sinnbildlichen Bereich entfällt die Betonung des
Transitorischen: nicht Wandlung ist dargestellt von
Mädchen zu Baum, sondern eine Gleichsetzung
von Mensch und Natur wird gewagt in der Sprache
des Bildhauers. Der Kern des Seienden triumphiert
über die Flüchtigkeit der Erscheinung, in der Be-
wegung wird das Ewige sichtbar und damit erst
legitimiert die Künstlerin den an sich malerischen
Vorwurf als eine Aufgabe der Plastik.

Dabei ist auf eine fast geheimnisvolle, weil schwer
nachprüfbare Art der Charakter des Schwebenden
gewahrt. Man hat die Kunst der Sintenis preziös
genannt und sie damit in den Salon verbannen
wollen. Hier nun tritt sie, ohne im mindesten an
Charme zu verlieren, mit einem Werk auch
äußerlich erhöhten Maßstabes — die Daphne ist
zwei Drittel lebensgroß — in den Kreis an-
spruchsvoller Freiplastik und enthüllt auf das an-
schaulichste ihr Wesen, das nicht verspielte Zier-
lichkeit ist, sondern echte Anmut aus reifer
Meisterschaft.

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