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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 5
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Tietze, Hans: Die Wiener Architekten sind sechzig Jahre alt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0245

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JOSEF HOFFMANN

PHOTO : SCHWAB, WIEN

ADOLF LOOS

PHOTO: TKUDE FLEISCHMANN, WIEN

DIE WIENER ARCHITEKTEN SIND SECHZIG JAHRE ALT

He«

Am 10. Dezember 1870 ist Adolf Loos, am 15. Dezember
des gleichen Jahres Josef Iloffmann geboren, die beiden
führenden Wiener Architekten, die aus diesem Anlaß durch
je eine Sonderausstellung ihrer Werke — die Hoffmanns im
Osterreichischen Museum, die von Loos im Hagenbund —
und durch ein Buch — die Festschrift für Hoffmann mit
Beiträgen von aller Welt vom Österreichischen Werkbund
herausgegeben, das Buch über Loos, inhaltlich und buch-
technisch ungleich bedeutender, mit Auszügen aus seinen
Schriften und einem erläuternden Text von Heinrich Kulka,
im Verlag von A. Schroll, als vierter Band der Serie „Neues
Bauen in der Welt" erschienen — gefeiert werden. Daß beide
engere Landsleute, gebürtige Deutschmährer sind, sollte sie
zu um so schlagenderen Beispielen für eine bekannte Lehre
machen, die die künstlerische Einheitlichkeit der Genera-
tion als obersten Grundsatz ansieht; tatsächlich haben sie
einander zeitlebens bekämpft und als schärfste Gegen-
sätze empfunden. Der Kern jener Generationslehre wird
hierdurch jedoch nicht aufgehoben, sondern nur erweitert;
jede Zeit produziert eine einheitliche Substanz, die sie ge-
rade durch polare Ausformung verdeutlicht. Es ist eine hi-
storische Erfahrung, daß die Begabungssumme einer spannungs-
reichen Periode gern in zwei kontrastierende Häupter gipfelt,
deren enge Verbundenheit erst dem Rückblick deutlich wird;
auch Loos und Hoffmann sind um so feindlicher, als sie
Brüder sind; ihre beiden Kollektivausstellungen, denen ja
durch die Zusammenfassung je eines Lebenswerks ein Anlauf
zur Objektivation eignet, trennt nicht, wie es immer schien,
eine Welt, sondern nur die Ringstraße.

Für den zeitgenossischen Betrachter ist es freilich wesent-
licher, der Gegensätzlichkeit der beiden Jubilare bewußt zu
bleiben, die beide vor einem Lebensalter in die moderne
Architekturbewegung einzugreifen begonnen haben und in
ihr, ohne sich irgendeiner herrschenden Richtung unterzu-
ordnen, einen prominenten Platz einnehmen. Hoffmann, der
Weichere, Schmiegsamere, Sensitivere, indem er, was er an-
faßte, mit Kunst erfüllte, Loos, der Herbere und bei weitein
Konsequentere, indem er Bauarbeit jeder Art von der Kunst
löste; jener durch Zeitgebundenheit, dieser durch Zeitlosig-
keit. Hoffmann dadurch, daß er sich dem sinnlichen Reize
der sichtbaren Dinge hingab, Loos, indem er ihnen mit sei-
nem unbestechlichen Intellekt ihren wahren Sinn abfragte.
Wo es sich um Verfechtung der eigenen Grundsätze handelt,
ist Loos der unvergleichlich Überlegene; er ist ein Kritiker
und Dialektiker allerersten Ranges, jeder Satz, den er for-
muliert hat, ist von einer lapidaren Eindringlichkeit und
Unantastbarkeit, daß er wie ein Fels im Weltengekräusel
des landläuligen Kunstgeschwätzes steht. Dieser kristallenen
Klarheit des Denkens hat Iloffmann nichts entgegenzustellen
als die Naivität des Künstlers, der aus seinem schöpferi-
schen Drang sein ganzes System ableitet; er fühlt in sich
den barocken Schmucktrieb seiner Herkunft, den er durch
die Schulung an der wienerischen Tradition dem Geschmack
einer großstädtischen und verfeinerten Schicht angepaßt
hat. Loos schleudert seinen Bannstrahl gegen Ornament in
jeder Form und Hoffmann schüttet neue ornamentale Mög-
lichkeiten aus, die sich einen Augenblick lang auch bei dem
einschmeicheln, der Loos im Grunde recht gibt; dieser zieht

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