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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 9
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Göpel, Erhard: Erich Heckel-Ausstellung in Chemnitz
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ERICH HECKEL-AUSSTELLUNG IN CHEMNITZ

VON

ERHARD GÖPEL

Wer im März in die Räume der Kunsthalle kam, fand
alle Säle des mittleren Geschosses einem der von
Chemnitz ausgegangenen Künstler — Erich Heckel — ein-
geräumt. Die kleinen Seitenkabinette enthalten die Bilder
des Vorkriegs, jener Jahre, in denen nach einem Wort Kan-
dinskys die Spannungen der Zeit in den Künstlern nach
Entladung drängten. Auf den ersten Leinwänden, etwa der
„Übigauwerft" (1906), wird die Sehweise des Impressionis-
mus zerrissen, zerrissen durch einen deutschen Pointiiiismus,
der nichts Berechnetes mehr hat, mit wilden Pinselstrichen
die Leinwand bedeckt, ihren grauen Grund überall durch-
scheinen lassend.

Ehe gelbliche Tiine Heckels Bilder stärker beherrschen,
entstehen einige andere aus starken farbigen Erlebnissen,
so die Gewitterlandschaft — Grün, Gelb, Karmin nach Violett
— um das orange Haus (1910); oder der blaue Moritzburger
Teich (1909). Aus einer kurzen Periode dunkler Farbigkeit,
in der Schwarz eine entscheidende Rolle spielt — „Beim
Schminken", „Lautenspielerin" —, hält sich noch lange der
schwarze, umrandende Kontur, der auch die gelb-sandige
oder bräunlich-erdige Farbigkeit zusammenhält und in den
strengen Aufbau eines Bildes spannt; bedeutend der „Blick
aus dem Atelierfenster" (1913). Die koloristische Differen-
zierung, die die Beschränkung auf wenige Farben erzeugte,
trägt ihre Frucht in dem überzeugend einfachen — mit Blau
und Weiß unter Hilfe von Grün und Braun — gemalten
„Gläsernen Tag", dessen Himmel sein kristallenes Gefüge in
der heiß zitternden Luft nicht mehr verbirgt. Die Kraft dieses
überraschenden Bildes läßt auf spontanes Entstehen schließen,
aber der Maler versichert, es sei im Winter und im Atelier
entstanden. Aus dieser Tatsache erleuchtet, daß die Maler
dieser Gruppe in wenigen Jahren zu einer eigenen Methode
des Schaffens durchgedrungen waren. Sie zu gewinnen war
nur durch ein enges, gegenseitiges Abstützen möglich und
die dem Katalog vorangestellten Daten ergeben, daß sich die
Maler des deutschen Expressionismus fast alle untereinan-
der gekannt haben. Heckel hat reichlich gegeben, selbst aber
von Otto Mueller (Landschaft), Kirchner (Figuren), Feininger
(Aufbau) genommen, wobei das Beispiel des älteren Nolde
ermutigend gewirkt hat. Das Nehmen verdient keinen Vor-
wurf, denn das Genommene wurde verarbeitet und ohne
diese engen Verbindungen wäre die Stufe von 1913 nicht
zu erreichen gewesen. Die Einsicht in diese Kameradschaft im
Künstlerischen war der starke Eindruck, den das Nebenein-
ander von Ausstellung und Sammlung in Chemnitz ermöglichte.

Der Beginn des Krieges sprengt wie in München auch im
Norden die Zusammenhänge und der einzelne muß seinen
Weg allein weitergehen. Während des Krieges in Flandern
gewinnt Heckel die mit seiner zarteren Farbigkeit zusammen-
gehende zartere Form. Fehlt auch die schöne Zeltbahn-
madonna aus Ostende, so sprechen zwei andere Bilder, die

„Blinde" und die „Vlämischen Hausleute", deutlich. Die
„Blinde" ist ganz rein in Erfindung und Klang, von einer
lichten Farbigkeit in Blau und Hellgelb. Die belgische Familie
hat eine besondere Kraft des verängsteten Ausdrucks in den
Augen, der fast über Heckels sonstiges Vermögen hinaus ge-
steigert ist. Im selben Jahre noch lösen sich diese inhalt-
lichen Spannungen, wie das funkelnde Sonnenbild der bel-
gischen Küste zeigt.

Die „Blauen Berge" von 1921 verbinden die gewonnene
Freiheit der Auffassung mit der frühen Kraft der Farbe.
Aber der hauptsächliche Gewinn dieser Jahre spricht aus
den Bildern isolierter Figur. In dem „Frauenbildnis" von 1925
klingt die Figur in vorsichtiger Farbigkeit mit ihrer Um-
gebung zusammen, die Artistenbilder entwickeln und kräftigen
diese Farbigkeit: die grüne Perücke auf „Chokolat und Atoff"
(1926), das farbigechte Grunderlebnis der „Chinesischen Ar-
tisten", endlich die neuen Farben in den „Drei spanischen
Clowns".

Überraschend und mit dem Gewinn neuer Räumlichkeit
schaltet sich die Landschaft ein, besonders deutlich in den
zwei süddeutschen Bildern (Weinberge am Main). Unter wel-
chen Opfern diese neue Räumlichkeit gewonnen wird, zeigt
eine Erzgebirgslandschaft, die farbig wie kompositioneil für
mein Gefühl das Kitschige fast streift. Das Erlebnis des
fremden Landes, in dem die Formen sich deutlicher absetzen,
fördert die Gestaltung des Raumes, doch bleibt die Farbe
noch schaumig und ohne Kraft. Der Gewinn des Raumes
wird aber in einigen der letzten Figurenbildern genutzt, so
in dem Bildnis Christian Rohlfs und in dem Bildnis des
Freundes Otto Mueller (1930), das mit schönem Gelingen die
klingende Farbigkeit der Frühzeit wieder aufnimmt. Das
konsequente Kämpfen um die Gewinnung des Raumes, die
dem vom Farbenerlebnis her malenden Heckel besonders hart
ankommen mußte, stellt ihn wieder in den größeren Zu-
sammenhang Gleichstrebender, die auf verschiedenen Wegen
zum gleichen Ziel vordringen.

Der Maler selbst hat die Bilder gewählt und virtuos ge-
hängt, wobei ihm die starkfarbigen Gründe der Kunsthalle,
die in „Brücke"-Farben gestrichen sind, zu Hilfe kamen. Die
Entwicklung ist in allen ihren Teilen nicht so harmonisch
abgegangen, wie es jetzt erscheint und es ist des Künstlers
Bild seiner eigenen Entwicklung, nach dem wir hier geurteilt
haben. Bis etwa zehn Jahre zurück hat die Wahl des Künst-
lers meist das Wesentliche getroffen; in der folgenden Zeit
aber muß der Betrachter selbst das Bleibende suchen. Die
früheren Bilder geben ihm den Maßstab in die Hand.

Gelingt es dem Maler, den neu gewonnenen räumlichen
Bau seiner Bilder mit der ursprünglichen farbigen Kraft
seines Sehens zu erfüllen, so vollendet er den weiten Weg,
den bis hierher zu gehen schon die Kraft eines ganzen
Mannes erforderte.
 
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