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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 7
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Basler, Adolphe: Pariser Brief
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Eckstein, Hans: Münchner Ausstellungsobjekte für den Sommer 1931
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0325

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Rassen eignen. Chagalls Beschwörungen haben nicht verfehlt,
das große Publikum zu verführen, das für die reiche Phantasie
ebenso empfänglich ist wie für die tatsächliche Erfindungs-
gabe-

Nach den berühmten russischen Balletten brandet nun
eine Welle barbarischer Bildnerei über Frankreich — unzu-
sammenhängend zwar, aber angenehm und schillernd.

Chagalls Illustrationen, mit den judenköpfigen Tieren,
sind, was die Farbe anbetrifft, ein Potpourri von Gustave
Moreau und Odilon Redon. Sie erinnern mich an das zwar
faselnde, aber unterhaltende erzählerische Talent der Mar-
chalik genannten Schwätzer in den russischen Ghettos —
bei den Hochzeits- oder Beschneidungsmahlen. Wer weiß
übrigens, ob Chagall — selbst ein Kind des Ghetto — nicht
ein idealer Illustrator eines La Fontaine in jiddisch wäre.
Und wer weiß, ob der traditionelle Jude, nicht minder ge-
bildet als der Chinese, den Fabeldichter nicht mehr ge-
nießen würde als seinen Darsteller!

Ambroise Vollard wird zweifellos eine Legende des ori-
ginellen Bilderhändlers hinterlassen, eines sonderbaren, fein-
gebildeten Menschen; aber er wird insbesondere mit seinen
reichen illustrierten Ausgaben dem menschlichen Genie ein
prächtiges Denkmal errichten.

*

Der Sammler und Kunstschriftsteller Claude Roger-Marx,
der eine umfassende Kenntnis der graphischen Künste aller
Epochen besitzt, hatte die glückliche Idee, eine Ausstellung
„Bildnisradierungen von Dürer bis auf unsere Zeit" zu ver-
anstalten, deren erster Teil bis Manet reicht und deren
zweiter Teil die lebende Radierung umfaßt.

In der letzten Kategorie ist die Gegenwart einiger deut-
scher Maler-Radierer hervorzuheben, wie Hans Thoma, Max
Liebermann, Max Slevogt, Louis Corinth.

Die Entwicklung der Bildnisradierung von Dürer bis
Manet und von Manet bis Segonzac wird uns von Claude
Roger-Marx in einem sehr inhaltreichen Vorwort aufgezeigt.

Eine retrospektive Pascin-Ausstellung in der Galerie Bern-
heim Jeune verherrlicht den Meister, dessen tragisches Ende
vor einigen Monaten die Kunstwelt erschütterte. Denn dieser
Künstler erfreute sich der größten Popularität, und diese
folgte ihm auch auf seinen Wanderungen über die Konti-
nente. Ein merkwürdiger Mensch, dieser Pascin, verdorben
an Geist und an Talent! Kurze Zeit vor seinem Tode vertraute
er mir in der Bar der Coupole zwischen zwei Gläsern an:
„Sehen Sie, Basler, ich bin mit den Bernheims verheiratet ....
Man hat mich zu einer Malerei-Zwangsarbeit verurteilt. Ich
muß die Nummern« niederlegen .... Ah, wie dumm sind
doch die Leute, um nicht zu sehen, daß meine Zeichnung
es ist, die alle meine malerischen Fähigkeiten zum Ausdruck
kommen läßt, und nicht die Bilder, die ein ganzes Fabri-
kationszubehör erfordern!"

Die Galerie Bernheim hat natürlich fast ausschließlich
den Bildern Rechnung getragen. Der leider zu früh verstor-
bene Pascin zeigt sich hier als ein zwar sehr angenehmer,
jedoch oberflächlicher Maler. Seine von einem geschickten
Pinsel leicht gewischten Bilder sind vielleicht gewinnender
als seine Zeichnungen; aber der Geist Pascins ruht haupt-
sächlich im Strich. Sein Stift hat in ebenso lebendigen wie
perversen Notationen gewisse, in ihrer Art einzige Anblicke
niedergelegt — Momentbilder einer grausamen Beobachtung.
Die Einbildungskraft und der Humor dieses Illustrators er-
innern an Lautrec, an Constantin Guys, ja sogar an Rowland-
son. Seine außerordentlich geistvollen Verkürzungen erwecken
oft Hokusai; durch den Charme seiner Komposition nähert
er sich den kleinen Meistern der französischen Illustration
des achtzehnten Jahrhunderts. Die angenehmen Nacktheiten,
die er malte, verführen nicht minder durch ihre Jugend-
frische wie durch die Anmut und die Sicherheit ihrer Formen.

Mit Pascin verschwindet ein Meister, der in seiner ner-
vösen und raschen Zeichnung eine seltene Leidenschaft und
Wahrheit offenbarte. Seine Kunst war wahrlich keine Atelier-
kunst. Und obgleich er auch viel malte, griff er doch immer
wieder lieber zum Zeichenstift, der ihm besser geeignet
schien, seine Vision freimütig zu übersetzen.

MÜNCHNER AUSSTELLUNGSOBJEKTE FÜR DEN SOMMER 1931

HANS ECKSTEIN

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Die langen Wintermonate haben verschwindend wenige
Kunstereignisse von überlokalem Interesse gebracht.
Um so größer war der Eifer, mit dem mögliche und un-
mögliche Ausstellungspläne für den kommenden Sommer
erörtert wurden. Fast jede Woche tauchte ein neues Projekt
auf. Im Hintergrund stand jeweils, auch offen ausgesprochen,
die Frage, wie die Kunst, beziehungsweise welche Kunst
am besten in den Dienst einer wirksamen Fremdenverkehrs-
propaganda zu stellen sei. Auch ernsthafte, sachlich berech-

tigte Vorschläge haben olfenbar nur noch Aussicht, in der
„Kunststadt" beachtet zu werden, insofern sie dazu beitragen
können, den „alles durchdringenden Fremdenverkehr mit
System und Kraft zu entwickeln".

Gegen eine kluge Ausnützung der Chancen, die der Fremden-
verkehr gibt, wäre kein Wort zu sagen, stünde nicht die allen-
falls durch einen „geläuterten" Fasching gestörte Winterruhe
der „Kunststadt" in einem grotesken Mißverhältnis zu der
sommerlichen Betriebsamkeit der „Fremdenstadt". In Mün-

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