Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0092
DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:Basler, Adolphe: Das Formproblem der Malerei seit Cézanne, [2]
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0092
GEORGES SEURAT, HUND. ZEICHNUNG
MIT ERLAUBNIS HER D. D. A.
DAS FORMPROBLEM DER MALEREI SEIT CEZANNE
VON
ADOLPHE BASLER
Zwei Stile von universeller Tendenz haben die
beiden großen Bewegungen am Anfang dieses
Jahrhunderts gekrönt: der Stil der Fauves und der
der Kubisten. Bei der ersten Gruppe (Rouault
und die französischen, russischen und deutschen
Expressionisten) sollte die Konzeption einer vor
allem expressiven Kunst eine Kunst ersetzen, die
bis dahin nur die Aufgabe hatte, dem Auge durch
plastische Reize Genüsse zu verschaffen. Bei der
zweiten Gruppe erschien jene große Woge dekora-
tiver Kunst, die einen Braque, Leger, Dufy empor-
hob. Beide Gruppen haben gemeinsam, daß sie
ihre Deformationen dem dekorativen Rhythmus
unterordnen. Bei den Fauves erhöhen die Ara-
besken mit ihrem ausdrucksvollen Kontur den
pathetischen Charakter ihrer gedrängten Andeu-
tungen; bei den Kubisten wandelt sich die natura-
listische Grundlage in das Ornamentale oder
Geometrische.
Die Kunst, die nach der schlagenden Definition
Eugene Fromentins „die Wirklichkeit persönlich
macht", vorausgesetzt, daß die Impression „lebendig,
spontan und gültig bleibend" ist, verwandelt sich
auf diese Weise entweder in eine barbarische Bild-
kunst oder in dekorative LTmschreibungen der
Gegenstände und Erscheinungen der Natur. Letzten
Endes ist die Zeichnung Rouaults, Gromaires,
Goergs, Chagalls, Soutines und anderer Expressio-
nisten die der Karikaturisten. Ich habe nicht etwa
die Absicht, die starken Interpretationen des Gro-
tesken, wenn sie einer spontanen Vision entspringen,
als Kunstgattung niedriger zu bewerten. Unter
den Karikaturisten gibt es sehr geistvolle Zeichner.
Die Kunst der Karikatur hat von jeher die Philo-
sophen beschäftigt. Bergson sieht in ihr „etwas
Diabolisches" und meint, daß sie den Dämon vom
Boden erhebt, den der „Engel zu Boden geworfen
hatte". Maler wie Rouault, Gromaire, Goerg,
62
MIT ERLAUBNIS HER D. D. A.
DAS FORMPROBLEM DER MALEREI SEIT CEZANNE
VON
ADOLPHE BASLER
Zwei Stile von universeller Tendenz haben die
beiden großen Bewegungen am Anfang dieses
Jahrhunderts gekrönt: der Stil der Fauves und der
der Kubisten. Bei der ersten Gruppe (Rouault
und die französischen, russischen und deutschen
Expressionisten) sollte die Konzeption einer vor
allem expressiven Kunst eine Kunst ersetzen, die
bis dahin nur die Aufgabe hatte, dem Auge durch
plastische Reize Genüsse zu verschaffen. Bei der
zweiten Gruppe erschien jene große Woge dekora-
tiver Kunst, die einen Braque, Leger, Dufy empor-
hob. Beide Gruppen haben gemeinsam, daß sie
ihre Deformationen dem dekorativen Rhythmus
unterordnen. Bei den Fauves erhöhen die Ara-
besken mit ihrem ausdrucksvollen Kontur den
pathetischen Charakter ihrer gedrängten Andeu-
tungen; bei den Kubisten wandelt sich die natura-
listische Grundlage in das Ornamentale oder
Geometrische.
Die Kunst, die nach der schlagenden Definition
Eugene Fromentins „die Wirklichkeit persönlich
macht", vorausgesetzt, daß die Impression „lebendig,
spontan und gültig bleibend" ist, verwandelt sich
auf diese Weise entweder in eine barbarische Bild-
kunst oder in dekorative LTmschreibungen der
Gegenstände und Erscheinungen der Natur. Letzten
Endes ist die Zeichnung Rouaults, Gromaires,
Goergs, Chagalls, Soutines und anderer Expressio-
nisten die der Karikaturisten. Ich habe nicht etwa
die Absicht, die starken Interpretationen des Gro-
tesken, wenn sie einer spontanen Vision entspringen,
als Kunstgattung niedriger zu bewerten. Unter
den Karikaturisten gibt es sehr geistvolle Zeichner.
Die Kunst der Karikatur hat von jeher die Philo-
sophen beschäftigt. Bergson sieht in ihr „etwas
Diabolisches" und meint, daß sie den Dämon vom
Boden erhebt, den der „Engel zu Boden geworfen
hatte". Maler wie Rouault, Gromaire, Goerg,
62