Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0282
DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:Bahlinger, Herbert: Plastiken von Joachim Karsch
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JOACHIM KARSCH, SITZENDES MÄDCHEN
AUSGESTELLT IN DER GALERIE NIERENDORF. MIT ERLAUBNIS VON NEUMANN UND NIERENDORF, BERLIN
PLASTIKEN VON JOACHIM KARSCH
VON
HERBERT BAHLINGER
Das Erwachen eines neuen Kürpergefühls ist noch immer
die wichtigste Voraussetzung für die frische Bildung
plastischer Vorstellungen gewesen. Es führt zu klassizistischer
Leere, wenn man den menschlichen Körper nur unter dem
Gesichtspunkt der angeschauten reinen Proportion betrachtet,
nur die Harmonie seiner Teile erstrebt. Gewiß erscheint jeder
Körper als Eindruck und Bild, aber zunächst einmal lebt er
von sich selbst heraus als beseelter Raum, welcher sich
Grenzen setzt.
Kolbe überwand den klassischen Asthetizismus Hildebrands,
durch eine lebendigere Vitalität, einen heiteren Formentrieb,
der das lieblich Selbstverständliche des natürlichen Daseins
zu schildern unternahm. Die tänzerische Bewegung als letzte
Gelöstheit und Hingabe des Körpers wurde ihm das Sinnbild
des Lebens überhaupt.
Lehmbruck übersteigerte die Gebärden, die Masse, die
Formen, um Überdeutlichkeit des seelischen Gehaltes zu
erzielen.
Der Bildhauer Joachim Karsch (geb. 1897) teilt mit Kolbe
das Vegetative der Gestalten. Seine Figuren sind von einer
träumerischen Unbefangenheit, sie blühen in stiller Natur-
verbundenheit, sie atmen den Frieden, die Ruhe und Ge-
borgenheit, die ihnen die Xähe der Erde, des tragenden
Mutterbodens, verleiht.
Andrerseits schwingt in ihnen auch die Erregung jener
Jahre verzweifelten Suchens nach einem Glauben, den Lehm-
bruck zur leidenschaftlichen Apotheose der neuen Meuschen-
gestalt geführt hat.
Sieht man die Arbeiten im einzelnen durch, so tritt zunächst
eine schlichte Einfachheit in Aufbau und Umriß zutage, die
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AUSGESTELLT IN DER GALERIE NIERENDORF. MIT ERLAUBNIS VON NEUMANN UND NIERENDORF, BERLIN
PLASTIKEN VON JOACHIM KARSCH
VON
HERBERT BAHLINGER
Das Erwachen eines neuen Kürpergefühls ist noch immer
die wichtigste Voraussetzung für die frische Bildung
plastischer Vorstellungen gewesen. Es führt zu klassizistischer
Leere, wenn man den menschlichen Körper nur unter dem
Gesichtspunkt der angeschauten reinen Proportion betrachtet,
nur die Harmonie seiner Teile erstrebt. Gewiß erscheint jeder
Körper als Eindruck und Bild, aber zunächst einmal lebt er
von sich selbst heraus als beseelter Raum, welcher sich
Grenzen setzt.
Kolbe überwand den klassischen Asthetizismus Hildebrands,
durch eine lebendigere Vitalität, einen heiteren Formentrieb,
der das lieblich Selbstverständliche des natürlichen Daseins
zu schildern unternahm. Die tänzerische Bewegung als letzte
Gelöstheit und Hingabe des Körpers wurde ihm das Sinnbild
des Lebens überhaupt.
Lehmbruck übersteigerte die Gebärden, die Masse, die
Formen, um Überdeutlichkeit des seelischen Gehaltes zu
erzielen.
Der Bildhauer Joachim Karsch (geb. 1897) teilt mit Kolbe
das Vegetative der Gestalten. Seine Figuren sind von einer
träumerischen Unbefangenheit, sie blühen in stiller Natur-
verbundenheit, sie atmen den Frieden, die Ruhe und Ge-
borgenheit, die ihnen die Xähe der Erde, des tragenden
Mutterbodens, verleiht.
Andrerseits schwingt in ihnen auch die Erregung jener
Jahre verzweifelten Suchens nach einem Glauben, den Lehm-
bruck zur leidenschaftlichen Apotheose der neuen Meuschen-
gestalt geführt hat.
Sieht man die Arbeiten im einzelnen durch, so tritt zunächst
eine schlichte Einfachheit in Aufbau und Umriß zutage, die
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