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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 9
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Federmann, Arnold: Johann Heinrich Füssli und Edgar Allan Poe
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Haberfeld, Hugo: Ein Selbstbildnis Leibls
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0388

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Stimmungen auszudrücken. Man braucht nur an das Bild
„Der Nachtmahr" (1781)* zu denken, das Füßlis Namen mit
einem Schlage über alle Länder trug. Leider ist es von Europa
aus unmöglich neue Nachforschungen anzustellen, ob nicht
noch weitere Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitte oder
gar Malereien Poes sich erhalten haben. Wir hoffen, daß

* Eine Abbildung befindet sich in A. Federmann: Joh. Heinr. Füßli,
Dichter und Maler; Zürich 11)16.

seine Verehrer in den U. S. A. sich nun der Mühe weiteren
Nachsuchens unterziehen, denn solche Mühe dürfte sich loh-
nen. Gleichviel welche Resultate eine soche Nachforschung
aber auch ergibt, die Erkenntnis ist heute schon gewonnen,
daß in Poe, neben dem genialen Dichter, nicht nur ein in-
teressanter Musiker, sondern auch ein begabter Zeichner
steckte, und daß der Zeichner wie der Dichter Poe tiefe Ein-
drücke empfangen hat von Füßli.

EIN SELBSTBILDNIS LEIBLS

VON

HUGO HABERFELD

In seinem Buch über Wilhelm Leibis Leben und Schaffen
erzählt Julius Mayr gelegentlich der Schilderung der
Aiblinger Jahre: „Ganz besonders zuwider waren ihm auch
Besuche von Kunstschriftstellern und über den Aufsatz, den
Ludwig Speidel in die »Neue Freie Presse« schrieb, war er
wegen der darin enthaltenen persönlichen Schilderungen
und Bemerkungen nicht sonderlich erfreut .... Im übrigen
hatte er die Generosität, Herrn Speidel eine Federzeichnung
(Selbstporträr) zu verehren."

August 1883 kam Speidel nach Aibling. Ein Jahr zuvor
harte er ein schönes Bekenntnis zu Leibi abgelegt, als das
eben vollendete Bild „In der Kirche" in Wien ausgestellt
worden war.

Auch der von Mayr erwähnte Aufsatz „In Aibling", der
den Untertitel „Ein künstlerisches Idyll" trägt, zeigt Schritt
für Schritt das Verständnis des Schreibers für die Wesenheit
Leibischer Kunst und für ihre tragische Isoliertheit im da-
maligen Deutschland. Bleiben also die „persönlichen Schilde-
rungen und Bemerkungen", von denen hier ein kurzer Zu-
sammenhang mitgeteilt sei, nicht um ihre Rücksichtnahme auf
mögliche Empfindlichkeiten zu prüfen, sondern um ihren leben-
digen Reiz nachkosten zu lassen: .....Als wir, eine Wiener

Virginia rauchend, über dem schwarzen Kaffee saßen, trat Leibi
mit schwerem Schritte zur Türe herein. Er begrüßte uns freund-
lich, nur hielt es schwer, seinen reckenhaften Händedruck
ebenbürtig zu erwidern. Er setzte sich zu uns an den Tisch,
schaute hinter seinem Bierkrüglein etwas verwildert drein
und sprach nach Art einsamer Menschen nur wenig, ja er
erschien noch schweigsamer, weil er aus Höflichkeit zu
reden trachtete. Leibi trug eine graue Joppe und einen
spitzen, lichten Strohhut mit grünem Durchschuß. Schulter
und Brust sind mächtig gebaut an diesem Manne, doch die
Beine haben gegen den athletischen Rumpf nicht die ver-
hältnismäßige Länge. Der Kopf sitzt eng und fest auf. Über
der breiten, hellen Stirne kurz gehaltenes, dunkles Haar,
die Nase lang und kräftig mit leisem Bug, die Wangen
voll und gebräunt, dichter, dunkelbrauner Vollbart, durch
welchen der Fuchs brennt. Das dunkelblaue Auge ist ziem-
lich groß und zeigt neben weicher Empfänglichkeit eine
ungewöhnliche Energie. Die schweren, fleischigen Hände, die
einst Schmiedearbeit verrichtet, sind nicht ohne einen Zug

von Feinheit und anschmiegsamer Gefühligkeit. Der ganze
Mann (ein hoher Dreißiger) atmet Ktaft und Gesundheit
und wenn er sich in Gang setzt, gemahnt er bei dem Über-
gewichte des Oberleibes an einen Eber. Seltsam überraschte
er uns durch seine Mundart. Leibi, dieser gedrängte Name
mit dem verschluckten „e", ließ uns auf einen Altbayern raten,
und der dicke, gedrungene Körperbau widersprach keines-
wegs dieser Annahme. Wie erstaunten wir, als wir aus
seinem Munde die lispelnden, verschliffenen und verschlisse-
nen Laute des Kölner Dialekts vernahmen, dieses dem
Süddeutschen so wildfremd klingenden niederdeutschen
Dialekts, der sich nach dem Vlämischen zu sehnen scheint ..."

Vielleicht hat die darauffolgende Schilderung eines Sym-
posions mit den Aiblinger Ortsgrößen und die Wiedergabe
persönlicher Ausfälle und literarischer Urteile Leibis den
Meister „nicht sonderlich gefreut". Wie immer, der Groll
verrauchte, und acht Jahre später schickte Leibi sein ge-
zeichnetes Selbstporträt an Ludwig Speidel nach Wien. Der
aber schwieg. Seine stadtbekannt gewesene (}ual des Schrei-
benmüssens galt für Artikel und Korrespondenz in gleicher
Weise, so daß sich Leibi neuerlich mit einem Briefe mel-
dete, den man im Nachlaß Speidels fand. Er ist ohne Orts-
angabe und Datum und lautet:

Hochverehrter Herr Doctor!

Vor längerer Zeit schrieb ich einmal einen Brief an Sie
u. erlaubte mir einige Wochen darauf eine Federzeichnung
(Selbstportrait), welche ich Ihnen schon lange versprochen
hatte, durch das Vergoldergeschäft von Barth & Comp, in
München, an Ihre Adresse absenden zu lassen. Wollten Sie
nun nicht die Güte haben u. mich durch ein paar Zeilen
wissen lassen, ob Sie in den Besitz besagter Zeichnung
gelangt sind. Es hat mir außerordentlich leid gethan, daß
ich Sie bei Ihrer Anwesenheit in München nicht aufsuchen
konnte, weil ich in Tyrol war. Es grüßt Sie herzlichst

Ihr ergbst. W. Leibi

Die hier zum erstenmal veröffentlichte Federzeichnung
(18,9 cmXi5,8 cm) ist W. Leibi 91 signiert und stellt den
47 jährigen Künstler dar. W7as sie sonst noch von ihm
ausdrücken will und wie sie es tut, spricht den Betrachter
überzeugender an, als jedes nachhinkende Wort.

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