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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 10
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Scheffler, Karl: Das Ehrenmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0429

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DAS EHRENMAL

KARL SCHEFFLER

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fir Li

Der Gedanke, Schinkels Neue Wache Zu einem preußi-
schen Ehrenmal für die im Krieg Gefallenen auszuge-
stalren, war gut. Nachdem er einmal ausgesprochen war, kam
ein anderer Vorschlag kaum noch in Frage. Wie Heinrich
Tessenow den Gedanken architektonisch gestaltet hat, wie
seine Gedenkhalle sich der Architektur Schinkels einfügt
und doch ganz ein Gebilde unserer Zeit ist, wie er seinen
schlichten Formen Symbolkraft zu geben verstanden hat:
das ist meisterhaft. Das fertige Werk beschämt nun alle,
die gelegentlich des für Tessenow günstigen engeren Wett-
bewerbs, gegen seinen Entwurf mit Mitteln gekämpft haben,
die über alle Grenzen der guten Sitten weit hinausgingen.
Soweit diese Leute überhaupt die Scham kennen. Denn der
Entwurf wird von dem ausgeführten Werk noch übertrofFen.
Jetzt erst spricht der Raum und das Material; zudem ist
der Künstler im Laufe der Arbeit seinen Vorstellungen im-
mer näher gekommen.

Die Neue Wache hat äußerlich gewonnen, nachdem das
Gitter gefallen, die Pflasterung einheitlich durchgeführt und
der Vorplatz — wie Tessenow es in seinem Bauprogramm
nannte — „in Ordnung gebracht" worden ist. Es ist ein schöner
Anblick, wie die Menschen im Vorbeigehen die Stufen zur
Säulenhalle Schinkels hinaufsteigen, in die Gedenkhalle blicken
und sich dann ernst wieder entfernen, wie ein stetes Kommen
und Gehen von der Anziehungskraft dieser Gedächtnisstätte
im Herzen des alten Berlin zeugt. Im Äußeren ist Schinkels
Bau unverändert geblieben. Drei schmiedeeiserne Türen führen
zur Gedenkhalle; über dem mittleren Eingang ist das Eiserne
Kreuz, das bekanntlich von Schinkel gezeichnet worden ist, in
die Mauer eingelassen. Hinter den Tü-
ren führen zwei Stufen hinab (dieses
leise Hinabsteigen ist psychologisch
„richtig") in einen großen, wohltätig
wirkenden Raum, der durch Beseitigung
aller Zwischenwände gewonnen ist.
Durch ornamentale Architekturformen
ist er nicht gegliedert; er wirkt allein
durch die aus Quadern von Muschel-
kalkstein gebildeten glatten Wände,
durch die Fläche des mit dunkel-
grauen Basaltsteinen gepflasterten Fuß-
bodens, durch die ungeschmückte, von
einem schönen offenen, in einen mäch-
tigen Bronzering gefaßten Rund, das
Sonne, Regen und Schnee hereinläßt,

durchbrochenen Decke, durch den, unter dieser Öffnung auf-
gestellten schweren Granitblock, auf dem ein großer silber-
golden glänzender Eichenkranz ruht, durch zwei schlanke
schwarze Kandelaber, in denen Tag und Nacht Kerzenlicht
flackert und, alles in allem, durch das Leben der Verhält-
nisse. Die eindrucksvolle Einheit des Raumes läßt sich zu-
reichend aber nicht erklären; sie ist das Ergebnis eines
Kunstgefühls, das nur vom Gefühl wieder begriffen und
gewürdigt wird. Man kann in der Simplizität der Form,
im Schlichten, im „Weglassen" nicht produktiver sein, als
Tessenow es hier ist. Sein Takt mutet schöpferisch an, seine
Kühnheit ist still, sein Vermitteln zwischen sich und Schinkel
ist in der zurückhaltendsten Weise originell; sein reines
Menschentum hat sich dem Werk mitgeteilt, hat das Werk
damit geadelt und verleiht ihm eine eigene phrasenlose
Weihe. Es darf gesagt werden: besser kann eine solche
Aufgabe heute nicht gelöst werden.

Der von Tessenow gewollte Eichenkranz ist von dem Bild-
hauer Ludwig Gies ausgeführt. Dieser hat damit eine gefähr-
liche Aufgabe übernommen, da der von oben beleuchtete Kranz
in jeder Weise im Blickpunkt liegt, wie eine Krone, die
allen Gefallenen dargebracht wird. Gies hat sich mit der
Arbeit vortrefflich abgefunden, die Gesamtwirkung, haupt-
sächlich von weitem, das stille Aufblinken von der Straße,
vom Gitter her, ist ausgezeichnet; in der Nähe nur stört hier
und da eine leise Kunstgewerblichkeit der Detailbehandlung.

Tessenow hat mit dieser Arbeit einen endgültigen Sieg
errungen, allen Neidern zum Trotz. Und der Bauherr — das
ist im engeren Sinne die Bauabteilung des Preußischen
Finanzministeriums — hat sich Ruhm
erworben, indem er den Künstler ge-
währen ließ und förderte. Jetzt bleibt
die Wirkung auf das Volk abzuwarten.
Denn es handelt sich um ein Werk,
das nicht nur ästhetisch beurteilt wer-
den kann, weil es dem Volke — dem
ganzen — ein Gleichnis werden soll.
Es wird von hohem Interesse sein, zu
beobachten, in welcher Weise die Deut-
schen mit diesem Symbol leben wer-
den, in welcher Weise es an das Herz
des Volkes rühren wird. Das können
uns die Zeitungen nicht künden; es
wird erst im Laufe der Jahre offenbar
werden.

WILH. ORTH, MÄDCHENKOPF

AUSGESTELLT BEI DEN JURYFREIEN IN MÜNCHEN

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