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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 3
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Göpel, Erhard: Graphikmarkt im Herbst
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Eisenstadt, M.: Berliner Auktionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0161

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der Verbreitung moderner Reproduktion ansehen zu müssen.
Der schlechte originale Druck wurde durch die sehr gute Re-
produktion entwertet. Aber das immer empfindlicher gewor-
dene Auge des Sammlers erkennt nun deutlicher als früher,
daß zwischen Reproduktion und Original ein letzter, untilg-
barer Abstand bleibt, der den hervorragenden originalen
Druck jeden Preis wert sein läßt.

BERLINER AUKTIONEN

In der zweiten Novemberhälfte kamen zwei Sammlungen
deutscher und französischer Gemälde, Zeichnungen und
Skulpturen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts
auf den Kunstmarkt: Paul Graupe versteigerte am ^.No-
vember Bestände der Berliner Sammlung Skaller und
der Breslauer Sammlung Levin, Paul Cassirer am 14. No-
vember die Hamburger Sammlung Simms. Es handelte sich
in beiden Fällen um Versteigerungen, die für den auslän-
dischen Käufer von geringer Anziehungskraft waren und da-
her deutschen Sammlern eine Ankaufsmöglichkeit boten. Das
Ergebnis beider Auktionen gibt keinen Anlaß zum Pessimis-
mus, falls man sich allmählich daran gewöhnt, Inflations- und
Modepreise nicht als maßgebend zu betrachten und den
materiellen Wert der „Kunstware" — besonders der deutschen,
deren Absatzmöglichkeit im Ausland äußerst beschränkt ist
— etwa auf den Vorkriegsindex zu berechnen.

Bei Graupe wurden die höchsten Preise für französische
Werke erzielt: 10 200 Mark bezahlte II. Simon für einen weib-
lichen Akt von Toulouse-Lautrec (34), 10000 Mark brachten
die „Zinerarien im Topf" von Vincent van Gogh (8), 1887
gemalr, also aus der frühen Pariser Zeit: ein merkwürdig
ruhig und objektiv gefügtes Bild. Bonnards Blumen, Flieder
und Rosen eines Straßenverkäufers auf dem „Boulevard"
(2, von Paul Cassirer für 3700 Mark gekauft) sind huschende,
weiche Gebilde aus Blau und Rot. Bonnards weiblicher Akt
(1), für den 3500 Mark gegeben wurden — das grünlich ein-
geschattete Fleisch vor tiefgrauer Wand, daneben ein Rock
aus rosa Seide mit blauen Reflexen —, ist ein kühles schönes
Atelierstück. Renoirs rotes Damenbildnis (27I brachte 5500
Mark, Pissarros konturleichte Bauernidylle (22) 1450 Mark.
Für ein typisches Mädchenbildnis von Couture (6) wurden
1500 Mark gegeben. — Von den beiden Utrillos wurde die
kleine, flächig gereihte Komposition des „Moulin de la Galette"
(57) für 1600 Mark erworben, indes die „Landschaft", von
strukturklarer Vielfair, zurückging. — Pascins „Mädchenbild-
nis" (20), der bekannre Typ mit dem Reiz einer schlaffen
Frische, in Farbtönen, deren heller glatter Zusammenklang
unlustig ist, wurde mit 1500 Mark versteigert; die Szene
„Im Restaurant" (20a) — zarte gedämpfte Farben, lüstern
verträumte und erstarrte Figuren vor streifig rieselnder Farb-
wand — mir 1000 Mark. Ein Früchtestilleben von Vlaminck
(40) kam auf 800 Mark. — Hohe Preise unter den Zeichnungen
und Aquarellen erzielte die dunkelblau lavierte Federzeich-
nung Gericaults „Römische Parkterrasse bei Nacht" (55),
nämlich 1000 Mark, und einige reizvolle Aquarelle von Guys,
von denen die „Staatskarosse eines Kardinals" (49) 610 Mark,
ein Ausritt des Prinzen Louis Napoleon mit Begleitung (53)
660 Mark, zwei Grisetten in Ballkleidern (54) 440 Mark, die

lavierte Federzeichnung eines Römischen Cafe (47) 620 Mark
brachten. Eine Blei- und Aquarellstudie von Pascin (Junge Frau
im weißen Kleid, 72) kostete 560 Mark. Eine zierliche Aqua-
rellstudie des Tänzers Nijinski von Marc Chagall (44) erwarb
Paul Cassirer für 130 Mark. Eine Reihe von Menzelzeich-
nungen, bei deren Zuschlag zumeist Aufträge genannt wur-
den, erzielte Preise, die durchschnittlich um 500 Mark herum-
lagen (die billigste Studie kostete 300 Mark), für zwei Köpfe
in bunten Kreiden (59, 60) notierten je 1000 Mark, die
Bleistudie einer Wendeltreppe 800 Mark.

Wenn man einen pastos gemalten weiblichen Akt von
Corinth (4) mit 2300 Mark nennt, ein Selbstbildnis von Ko-
koschka (zwischen einer Staffelei und einer weiblichen Ge-
stalt) mit 4200 Mark (12), eine Porträtstudie von Menzel (5)
mit 1000 Mark, vier Genrebilder von Rayski, von denen drei
je 1500 Mark brachten, so sind die wichtigsten deutschen
Bilder aufgezählt. Hervorzuheben sind noch illustrative Sie-
vogt-Zeichnungen, von denen die teuerste mit 300 Mark, die
billigste mit 40 Mark zugeschlagen wurde.

Die Plastik war durch drei Porzellane von Barlach vertre-
ten, die auf 100, 160 und 250 Mark kamen und durch eine
Bronze von Gaul (Löwin mit spielenden Jungen), die für
1200 Mark gekauft wurde.

Viele der bei Cassirer ausgestellten Gemälde der Hambur-
ger Sammlung Simms beunruhigten durch gespenstische Ge-
genwartsferne; fremdartige Zeugen jener versunkenen, zeit-
lich so nahen Welt von 1914. Da sich darunter große Namen
der Vorkriegskunst befanden und die kaufkräftigsten Schich-
ten selten von der jungen Generation gebildet werden, war
der mutmaßliche Verlauf, den diese Auktion nehmen würde,
ein spannendes Problem, das für die Geschmacksevolution
„des" Sammlers von 1930 ebenso bedeutsames Material lie-
fern mußte wie für die Preisgestaltung der deutschen Im-
pressionisten und verwandter Gruppen. Soweit man aus den
Erfahrungen einer einzigen, durch ihre olfensichtliche Nei-
gung für „repräsentative Stücke" nicht gerade Richtung
weisenden Sammlung urteilen darf—hinzu kam noch eine
Reihe intimerer Bilder aus Berliner und Breslauer Privat-
besitz —, ist man wohl berechtigt zu sagen, daß die geistige
und materielle Aufnahmefähigkeit für das malstofflich „schöne"
Bild der Vorkriegszeit nicht gering ist. Das zentnerschwere
und monumentalformatige „aperc.u" des Corinthschen „Mäd-
chens mit dem Stier" (19, von Emil Heilbut in seinem Se-
cessionsbericht für „Kunst und Künstler" 1903 als „das meist-
besprochene Bild" der Ausstellung bezeichnet) wurde mit
5500 Mark akzeptiert; die malerisch viel reichere Darstellung
des „Perseus und Andromeda" (17) — ein mürbfleischiger
Frauenakt, hineingestellt in eine seltsam metallische Welt:
mit guillochiertem, grauem Himmel, stählerner Rüstung, rot-
gefüttertem, bronzeschimmerndem Mantel auf dem grünen
Patinasockel des Drachens — wurde auf 10000 Mark gestei-
gert. Das kleine schönste Stilleben Corinths (18), vielleicht
die küstlichste Malerei der Ausstellung, eine dunkelrot ent-
faltete Blüte in einem Wasserglas, war mit 3300 Mark nicht
zu teuer bezahlt; die beiden großen Blumenstücke mit Bronze-
figuren (27/8) brachten 8900 und 9700 Mark. Das Bildnis
Ruederer ging mit 2900 Mark weg, der Scheinwerferzauber
der stehenden Geigerin (16, Frau Gerbart Hauptmann) mit
1150 Mark. Die Pinselvehemenz der „Matinee" (21) wurde

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