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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 9
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Göpel, Erhard: Sammeln oder Spekulieren: die Lage des Graphikmarktes
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0400

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UKTIONS

SAMMELN ODER
SPEKULIEREN?

DIE LAGE DES GRAPHIKMARKTES

VON

ERHAR D GÖPEL

Die seit zehn Jahren unaufhaltsam scheinende Steige-
rung der Graphikpreise hat durch die Plötzlichkeit, mit
der ihr Ende sichtbar geworden ist, Zweifel an dem siche-
ren Anlagewert alter Graphik — die bisher als Wertpapier
angesehen wurde — erweckt. Erst jetzt, wo die Papiere
fallen, sieht man, wie berechtigt der Vergleich war. Die
Plötzlichkeit der Preisbewegung ist in der besonderen Kon-
struktion des Graphikmarktes in Deutschland begründet,
dessen Auktionen die Veränderungen eines halben Jahres
im Frühjahr und im Herbst in Anwesenheit eines inter-
nationalen Publikums sichtbar machen. Die Rekordpreise ver-
bargen einem größeren Kreis, daß die für Einzelstücke ge-
zahlten Summen nicht das gesamte breite Preisniveau zu
heben vermochten. Die Spanne zwischen den wenigen, zum
ersten Rang gezählten Blättern und denen einer mittleren
Stufe wurde immer größer. Nicht selten entsprach sie dem
zehn- bis zwanzigfachen des mittleren Preises.

Der Anlaß war das Eingreifen einiger amerikanischer
Sammler, die von sehr unterrichteten europäischen Händlern
— London, Schweiz, Leipzig —, teilweise auch von ameri-
kanischen Händlern, beraten wurden, und die darin überein-
stimmten, daß der Erwerb der wenigen durch Seltenheit, Er-
haltung und Druckschönheit ausgezeichneten Blätter der
großen Meister das um jeden Preis Erstrebenswerte sei.

Das amerikanische Gebot trat unter vielen Mänteln auf,
seine preissteigernde Wirkung stützte stimmungsmäßig auch
der nicht unmittelbar beteiligte Handel; die Allgemeinheit
verfolgte den Vorgang mit bedauernder Verwunderung; das
Staunen über die unerhörten Preise schwächte das Bedauern.

Unter den Amerikanern fiel am stärksten der Händler
Charles Sessler auf, von einem Warenhausbesitzer mit so
reichen Mitteln ausgestattet, daß er in kurzer Zeit die Preise
revolutionierend hochtreiben konnte. Als er begann, sich lang-
sam den Konventionen des Graphikhandels einzugliedern,
machte die amerikanische Krise seiner Rolle vorläufig ein
Ende. Den Rückgang der Preise mit dem Ausbleiben des
einen Sessler zu erklären, geht nicht an, da dessen Ge-
boten regelmäßig echte Gegengebote entsprachen, deren
Höhe kalte Überlegung voraussetzt. Amerika, namentlich
seine reichen Museen, deren Stiftungssegen sich auszuwirken
beginnt, kauft auch heute noch, aber der treibende Motor
der amerikanischen „prosperity", der als Vorspann für die
Preissteigerung wirkte, hat ausgesetzt. Seine Kraft lag in den
Spitzenpreisen für die besten Blätter, die heute ohne stei-
gernde Gegengebote nahe den Ausrufpreisen verkauft wer-
den. Diese Tatsache bestimmt das Marktbild, das in seinen
Einzelheiten die wirtschaftliche Lage der europäischen Länder
und innerhalb der Länder die unterschiedliche Lage der
Käuferschichten spiegelt.

Das Angebot alter Graphik in den Auktionen von C. G.
Boerner in Leipzig und Hollstein & Puppel in Berlin war
reichlich und mit wertvollen Stücken durchsetzt. Die Liste
der gezahlten größeren Preise entspricht den Ankäufen der
Handlung Colnaghi, London. Man war nicht sicher, ob de-
ren Leiter, ein erfahrener Kenner des Gebietes, für eigene
Rechnung oder wenigstens teilweise für die Vertreter ameri-
kanischer Museen kaufte, die während der Auktion in seiner
Nähe saßen. Leider enthalten die Käufe von Colnaghi unter
anderen die kostbaren Werke alter Graphik, die ein deut-
scher Fürst in die Versteigerung gab, so daß ihr Verlust für
Deutschland sicher ist. Colnaghi kaufte: Anonymer Floren-
tiner (fünfzehntes Jahrhundert), „TemplumPilati" 16000Mark;

NACHRICHTEN

Anonymer Florentiner (fünfzehntes Jahrhundert), „Das große
Abendmahl" 13000; Jacopo de Barbari, Mädchenkopf 8000;
Meister E. S., „Johannes Baptista" 20000; Meister E. S.,
Buchstabe „P" 14000; Meister E. S., Buchstabe „Y" 15000;
Prinz Ruprecht von der Pfalz, Henker mit dem Haupt des
Johannes 12000; Veit Stoß, Auferweckung des Lazarus
16000; und — in Berlin bei Hollstein & Puppel — Schon-
gauer, Engel der Verkündigung 3300. Erfreulich, daß der
Christopherus von Wechtlin, ein Clair-obscur-Holzschnitt von
großartiger Erfindung, für 7500 aus deutschem Besitz an das
Berliner Kabinett fiel.

Das Dürerangebot des Frühjahrs war sehr umfangreich.
Die immer wieder auf den Markt kommende Menge alter
Drucke ist durch Dürers Erfolg erklärlich, den er selbst
noch zu Lebzeiten durch hohe Auflagen ausnützte. Die
Sammlung Hausmann, die Boerner versteigerte, enthielt die
besten Drucke, die glatt verkauft wurden: „Adam und Eva"
— der Wirkung des prachtvollen Druckes tat der fehlende
Rand keinen Abbruch — 9500; „Geburt Christi", Abdruck
von großer Klarheit, 10400; die Madonnendarstellungen
kosteten: 3100(Verzeichnis von Bartsch30); 2000 (Bartsch31);
3000 (Bartsch 33); 5500 (Bartsch 42); die „Kriegsleute"
2200. Die Holzschnitte der Sammlung Bärwald fanden eben-
falls ihren Käufer: Die große Passion (12 Blatt, 16000), das
„Marienleben" 21000, die „Heilige Familie mit dem Hasen"
(3900), die großen Blätter des Triumphwagen Kaiser Maxi-
milians (5500) wurden Colnaghi zugeschlagen. Die zweite
Dürer-Reihe bei Boerner, ungleichmäßiger im Material,
wurde zu niedrigeren Preisen nur zögernd aufgenommen.
Als dann in Berlin bei Hollstein die Dürer zum Ausruf
kamen, versagte die Aufnahmefähigkeit des Marktes.

Für das niederländische siebzehnte Jahrhundert haben
Holland und Belgien einen eigenen Markt aufgebaut, dessen
hoher Preisstand für kleinere Werte sich auf den deustchen
Auktionen, z. B. bei den SchifFsdarstellungen nach Breughel
(100—250), auswirkte. Die internationalen Werte dieses
Kreises, Lucas von Leyden und Rembrandt, waren in diesem
Frühjahr ungünstig vertreten.

Überrascht war man von dem guten Verkauf des acht-
zehnten Jahrhunderts sowohl auf der Versteigerung in Ber-
lin wie in Leipzig, wo wieder sehr frische Drucke aus russi-
schem Staatsbesitz ausgeboten wurden: Debucourt, „Deux
Baisers" 8000; Janinet, zwei fliegende Putten als „L'amour"
und „La Folie" 7200; John R. Smith nach Hoppner „Sophia
Western" 7000; die Gegenstücke „der verliebte und der
ausruhende Jäger" 6800. Außer diesen Hauptstücken fand
das ganze übrige Angebot seine Abnehmer, was in der noch
starken Kaufkraft der Franzosen und in dem dekorativen
Charakter der Blätter begründet ist.

Als Wandbild haben die Städteansichten und Landschafts-
blätter einen ähnlich breiten Käuferkreis, der die bei Holl-
stein & Puppel ausgerufenen Blätter leicht aufnahm. Alte
Graphik als Wandbild einzubürgern versucht ein Berliner
Warenhaus seit Jahren. Den höchst umfangreichen Käufen
von Convoluten und billigen Blättern nach zu schließen,
mit gutem Erfolg. Die deutsche Graphik des neunzehnten
Jahrhunderts hat ihre Liebhaber, die sich, sobald die Blätter
preismäßig erreichbar werden, in Käufer verwandeln
(Chodowiecki, „Damen im Zimmer" 320; „Cabinet d'un
peintre" 115; Menzel, „Verfolgung auf der Wendeltreppe"
720). Meist sind die Sammler dieses Gebietes Käufer von
Zeichnungen der gleichen Zeit, die vor dem Kriege schon
einmal höher bewertet wurden und heute regelmäßig ihre
Abnehmer finden.

Zeichnungen trefFen heute auf ein allgemein verstärktes
Sammelinteresse. Die bedeutenden Werke französischer
Kunst, die Rußland durch Boerner versteigern ließ, fanden
doppelte Resonanz, da der Hauptabnehmer Frankreich wirt-
schaftlich noch am kräftigsten ist. Der Verkaufserfolg ist nicht

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