Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931
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Heft 5
DOI Artikel:Scheffler, Karl: Kokoschkas Landschaften
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OSKAR KOKOSCHKA, KÜSTE BEI DOVER. 1926. 76,5:127 cm
MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN
KOKOSCHKAS LANDSCHAFTEN
VON
KARL SCHEFFLER
Seit Mitte Januar sind viele Bilder Kokoschkas
in der Mannheimer Kunsthalle ausgestellt; im
März soll dieselbe Kollektion bei Georges Petit
in Paris gezeigt werden. Auf den Erfolg in Paris
darf man neugierig sein. Die letzte Kokoschka-
Ausstellung in Berlin war im Jahre 1926 bei Paul
Cassirer. Schon damals zeigte es sich, was sich
inzwischen bestätigt hat: daß dieser Maler von
allen seinen Generationsgenossen am besten durch-
gehalten hat. Er hat sich nicht nur immer neue
Aufgaben gestellt, sondern ist auch beständig besser
geworden. Noch die Dresdener Bilder waren recht
gobelinartig; ihre dekorativen Werte erinnerten
irgendwie an die Wiener Werkstätten. Ganz hat
sich das Wienerische in Kokoschkas Malerei ja
nie verflüchtigt; doch ist es dann mehr und mehr
in den Dienst einer temperamentvollen Natur-
ergründung gestellt worden. Und noch eine andere
wichtige Wandlung ist vor sich gegangen: der
Menschenmaler wurde mehr und mehr zum Land-
schafter. Vor fünf Jahren noch entstanden Bild-
nisse, Gruppenbilder und merkwürdige Tierbilder.
Dann ist der Maler auf Reisen gegangen und
hat in ganz Europa Landschaften gemalt. Uber-
blickt man das Werk des jetzt Vierundvierzigjäh-
rigen, der zuerst ein Zeichner und als solcher ent-
fernt mit Klimt verwandt war, dann im Sinne
Münchs einem seelischen Impressionismus huldigte
und sich zugleich dem Wiener Barock hingab,
sodann — wie Fritz Stahl es damals drastisch aus-
drückte — Nolde und einige andere Expressio-
nisten „auffraß", und in den letzten Jahren ein
Reisemaler eigener Art geworden ist, so hat man
den Eindruck einer unablässigen inneren und
äußeren Bewegung, einer stetigen Ausweitung,
einer nervösen Gestaltungsenergie, eines vielfältig
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MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN
KOKOSCHKAS LANDSCHAFTEN
VON
KARL SCHEFFLER
Seit Mitte Januar sind viele Bilder Kokoschkas
in der Mannheimer Kunsthalle ausgestellt; im
März soll dieselbe Kollektion bei Georges Petit
in Paris gezeigt werden. Auf den Erfolg in Paris
darf man neugierig sein. Die letzte Kokoschka-
Ausstellung in Berlin war im Jahre 1926 bei Paul
Cassirer. Schon damals zeigte es sich, was sich
inzwischen bestätigt hat: daß dieser Maler von
allen seinen Generationsgenossen am besten durch-
gehalten hat. Er hat sich nicht nur immer neue
Aufgaben gestellt, sondern ist auch beständig besser
geworden. Noch die Dresdener Bilder waren recht
gobelinartig; ihre dekorativen Werte erinnerten
irgendwie an die Wiener Werkstätten. Ganz hat
sich das Wienerische in Kokoschkas Malerei ja
nie verflüchtigt; doch ist es dann mehr und mehr
in den Dienst einer temperamentvollen Natur-
ergründung gestellt worden. Und noch eine andere
wichtige Wandlung ist vor sich gegangen: der
Menschenmaler wurde mehr und mehr zum Land-
schafter. Vor fünf Jahren noch entstanden Bild-
nisse, Gruppenbilder und merkwürdige Tierbilder.
Dann ist der Maler auf Reisen gegangen und
hat in ganz Europa Landschaften gemalt. Uber-
blickt man das Werk des jetzt Vierundvierzigjäh-
rigen, der zuerst ein Zeichner und als solcher ent-
fernt mit Klimt verwandt war, dann im Sinne
Münchs einem seelischen Impressionismus huldigte
und sich zugleich dem Wiener Barock hingab,
sodann — wie Fritz Stahl es damals drastisch aus-
drückte — Nolde und einige andere Expressio-
nisten „auffraß", und in den letzten Jahren ein
Reisemaler eigener Art geworden ist, so hat man
den Eindruck einer unablässigen inneren und
äußeren Bewegung, einer stetigen Ausweitung,
einer nervösen Gestaltungsenergie, eines vielfältig
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