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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 7
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Scheffler, Karl: Expertisenkrieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0321

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M. VERBURGH, FLUSSLANDSCHAFT

AUSGESTELLT IN DER MARIE STERNEN GALLERY, NEW YORK

EXPERTISENKRIEG

VO N

KARL SCHEFFLER

eine

i

Vor etwa fünfundzwanzig Jahren wurde in Berlin, im
Lessing-Theater, ein Stück aufgeführt — es war, glauhe
ich, von einem Rechtsanwalt Greiling aus Frankfurt a. M. —,
das „Das Bild des Signorelli" hieß. Darin wurde gezeigt,
wie ein berühmter Kunstgelehrter wahnsinnig wird, weil er
einem reichen Kunsthändler eine falsche Expertise gegeben
hat, um seinen Sohn, einen Offizier, aus Wucherhänden
befreien und vor dem Selbstmord, sogenannter Ehrenschul-
den wegen, bewahren zu können. Das Stück war schlecht;
der Konllikt aber wurde von den Zuschauern und von der
Kritik als dramatisch begründet anerkannt. Das heißt: die
Öffentlichkeit war damals der Meinung, ein Kunstgelehrter
hätte Ursache, wahnsinnig zu werden, wenn er allzu weit-
herzig oder gar wider besseres Wissen eine falsche Ex-
pertise gegeben hätte- Diese Auffassung von der Wahrheits-
pflicht des Gelehrten konnte die öffentliche Meinung aber
natürlich nur von der Kunstwissenschaft selbst haben.

Will man sich den Wandel der Zeit vergegenwärtigen, so
braucht man sich nur vorzustellen, eine Tragödie mit der-
selben Tendenz wäre in den lezten Jahren aufgeführt worden.
Ein Heiterkeitserfolg wäre ihr sicher gewesen. Wenigstens
im Parkett, wo die Wissenden sitzen. Heute kann dieser
Stoff nur als Lustspiel behandelt werden. Denn jeder Ein-
geweihte könnte bekannte „Kenner" nennen, die Kunst-
werke diesem oder jenem Künstler sehr willkürlich zu- oder

aberkennen und die sich für den Gewinn aus dieser Tätig-
keit keinen Revolver gekauft haben, sondern ein Auto und
wenn es reichte, auch eine Villa.

WTas die Verführung, die in einer zu engen Verbindung
von Kunstwissenschaft und Kunsthandel liegt — vor allem
seit dem Vermögensverfall und dem Zwang, die Beamten-
gehälter zu kürzen —, die Wissenschaft und auch den Handel
schon gekostet hat, das ist hier seit Jahren laut gesagt
worden. Aus unserer zuerst gegebenen Anregung ist inzwi-
schen eine ganze Bewegung entstanden, die sich gegen das
Expertisen-Unwesen richtet. Führende Vertreter der Kunst-
wissenschaft haben sich auf die Standesehre besonnen und
beginnen gegen die Leichtfertigkeit der Experten Front
zu machen. Es zeigt sich, daß diese nun doch zu weit
gegangen sind, daß sie ihr Handwerk zu unvorsichtig aus-
geübt haben. Der Krug ist wieder einmal so lange zu
Wasser gegangen, bis er brach. Augenblicklich ist es so,
daß sich die Tugend zu Tich setzt und das Laster sich
erbricht.

Es wäre aber verfehlt zu glauben, es handle sich um
schwarze Bösewichte und nach ihrer Entlarvung wäre alles
gur. Die Männer, die jetzt entrüstet bekämpft werden, sind
eigentlich nur schwach gegen schnelle Verdienstmöglich-
keiten gewesen, sie sind hineingeglitten, sie wissen selbst
kaum wie, es ist wieder einmal, wie stets im Leben, alles

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