Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0237
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Heft 5
DOI Artikel:Eckstein, Hans: Josef Scharl
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JOSEF SCHARL, SCHLAFENDES KIND. 1930. PINSELZEICHNUNG
MIT ERLAUBNIS VON I. B. NEUMANN UND GÜNTHER FRANKE, MÜNCHEN
JOSEF SCHARL
HANS ECKSTEIN
Seiner Kunst, gegenwärtig im Graphischen Kabinett
J. B. Neumann & Günther Franke-München ausge-
stellt, war van Gogh der natürliche Wegebahner. Der junge
Tünchergeselle, auf dem das Erlebnis des Krieges lastete,
war dem Münchner Akademieprofessor Angelo Jank vorzeitig
aus der Schule gelaufen. Seinem Drang, sich mitzuteilen, tat
die stillebenhafte Indifferenz einer schönen peinture nicht
Genüge; die akadamischen Raffinements einer ästhetisieren-
den Koloristik widersprachen der Einfalt seiner Handwerks-
gesinnung. Scharl suchte in der Kunst ein Mittel zur Aus-
sprache seiner leidenschaftlichen Anteilnahme am Menschen,
seines starken Gefühls einer Lebensverbundenheit mit den
zerdrückten, dumpf leidenden proletarischen Existenzen. Es
erscheint fast selbstverständlich, daß Scharl in van Goghs
Malerei als dem stärksten Gegensatz zu aller mittelbaren
Bildungskunst, wie sie ihm in der Kunststadt München auf
Schritt und Tritt entgegentrat, eine Bestätigung seines Lebens-
blicks fand und auch in der Malweise von van Gogh aus-
ging. Diese Anknüpfung, Scharls damaliger Notlage durch-
aus gemäß, ist allerdings recht flüchtiger Art. Wesentlicheres
verbindet Scharl mit van Gogh: eine gewisse Gemeinsam-
keit der menschlichen Haltung, der Vincent verwandte see-
lische Urgrund, in dem Scharls Kunst wurzelt.
Scharl ist sowohl nach Abstammung, persönlichem Schick-
sal und Gegenstand seiner Kunst wie seiner Lebenseinsicht
und Gesinnung nach durchaus ein proletarischer Maler. Es
fehlt jedoch seiner Kunst das aufreizend Agitatorische, be-
wußt Tendenziöse oder aktivistisch Revolutionäre fast ganz.
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MIT ERLAUBNIS VON I. B. NEUMANN UND GÜNTHER FRANKE, MÜNCHEN
JOSEF SCHARL
HANS ECKSTEIN
Seiner Kunst, gegenwärtig im Graphischen Kabinett
J. B. Neumann & Günther Franke-München ausge-
stellt, war van Gogh der natürliche Wegebahner. Der junge
Tünchergeselle, auf dem das Erlebnis des Krieges lastete,
war dem Münchner Akademieprofessor Angelo Jank vorzeitig
aus der Schule gelaufen. Seinem Drang, sich mitzuteilen, tat
die stillebenhafte Indifferenz einer schönen peinture nicht
Genüge; die akadamischen Raffinements einer ästhetisieren-
den Koloristik widersprachen der Einfalt seiner Handwerks-
gesinnung. Scharl suchte in der Kunst ein Mittel zur Aus-
sprache seiner leidenschaftlichen Anteilnahme am Menschen,
seines starken Gefühls einer Lebensverbundenheit mit den
zerdrückten, dumpf leidenden proletarischen Existenzen. Es
erscheint fast selbstverständlich, daß Scharl in van Goghs
Malerei als dem stärksten Gegensatz zu aller mittelbaren
Bildungskunst, wie sie ihm in der Kunststadt München auf
Schritt und Tritt entgegentrat, eine Bestätigung seines Lebens-
blicks fand und auch in der Malweise von van Gogh aus-
ging. Diese Anknüpfung, Scharls damaliger Notlage durch-
aus gemäß, ist allerdings recht flüchtiger Art. Wesentlicheres
verbindet Scharl mit van Gogh: eine gewisse Gemeinsam-
keit der menschlichen Haltung, der Vincent verwandte see-
lische Urgrund, in dem Scharls Kunst wurzelt.
Scharl ist sowohl nach Abstammung, persönlichem Schick-
sal und Gegenstand seiner Kunst wie seiner Lebenseinsicht
und Gesinnung nach durchaus ein proletarischer Maler. Es
fehlt jedoch seiner Kunst das aufreizend Agitatorische, be-
wußt Tendenziöse oder aktivistisch Revolutionäre fast ganz.
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