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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

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Heft 5
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Tietze, Hans: Die Wiener Architekten sind sechzig Jahre alt
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https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0246

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die unüberschreitbare Scheidewand Zwischen den Welten
des vom Gebrauchszweck bestimmten Handwerks und der
von der Phantasie des genialen Individuums hervorgebrachten
Kunst und Hoffmann macht aus ästhetischem Drang Tapete
und Aschenschale, Trinkglas und Wohnhaus zum Kunstwerk.
Daß dies für unsere Zeit ein Widersinn ist, macht Loos
unwidersprechbar, mehr noch als durch seine Bauten durch
die glänzenden Plädoyers seiner Aufsätze, die er in zwei
Essay-Bänden — „Ins Leere gesprochen" und „Trotzdem" —
gesammelt hat; aber auch Hoffmann darf dieses „Trotzdem"
für sich beanspruchen, darauf pochen, daß in aller Lebendig-
keit Widetsinn so wichtig und unentbehrlich ist wie Sinn.
Jedes vollkommene System, wie das Loossche es ist, läßt
als unverarbeitbaren Bodensatz Gegenkräfte zurück, die dem
Leben seine natürlichen Spannungen verleihen; was den Reiz
der Loosschen Arbeiten ausmacht, ist zum Teil dieser unsicht-
bare Beisatz, der Umstand, daß sie nicht reine Illustrationen
seiner Theorien sind. Wie umgekehrt die Iloffmanns daraus
Kraft und Haltung gewinnen, daß seinem instinktiven Tun

mehr Svstem und Denken innewohnt, als er worthaben
möchte.

Beide stehen heute am Abend ihres Lebens. Was sie vor
dreißig Jahren als Beispiele aufgestellt haben, ist heute Ge-
meingut geworden; aber sie selbst haben nicht das leisten
können, was sie erwarten ließen; die Ungunst ihres Heimat-
bodens und Schwächen ihrer persönlichen Veranlagung haben
beiden die Entfaltung behindert. Der eine hat sich in einer
Berieselung des Wiener Luxusgewerbes vergeudet, der an-
dere einen guten Teil seiner erstaunlichen Energie in der
Bekämpfung dieser verhaßten Afterkunst verausgabt; zu einer
großzügigen Bautätigkeit hat Wien keinem von beiden die
Möglichkeit geboten. Von dem einen bleibt eine Fülle von
Anregung zurück, die er, sich stets verjüngend, in immer
wieder veraltende Gegenstände geschüttet hat; der andere
hat einiges weniges gebaut, das dem Veralten entrückt ist,
und darüber hinaus seine Gedanken über Bauen und Leben
durch unaufhörliche Wiederholung zu einem Stück des all-
gemeinen Zeitbewußtseins gemacht. Hans Tietze

CAMILLE COROT, DAS WIRTSHAUS IN MONTIGNY LES CORMEILLES

F ARESWORTH MUSEUM, WELLESLEY, U.S.A. AUSGESTELLT IM MUSEUM OF MODERN ART

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