mann und Wagner, vor allem mit den Namen jener Naturforsdier, deren Wirken jeßt den Grund
legt zum Aufbau der neuen Zeit. Wieder schafft der Geist neue Formen, während der Staat als
formlose Masse brodelt.
IX.
Nur das autodidaktisdie Genie konnte die deutsche Verwirrung lösen. Der andere tritt auf von
den Beiden, die der Preußensfolz meint, wenn er Typen beschwört und Ausnahmen trifft. Als
Geist, vorschauend seiner Zeit, bleibt Bismarck hinter dem weiteren, tieferen Fricdridr weif zurück;
als Kraft, sein sdiarf umrissenes Problem anblickend, erscheint er stärker. Junker? Hat je
ein preußischer Junker so ausgesehn? Das Entsdreiclende trennt ihn von jenen: denn Junker
waren von jeher Leute, die nur auf Madit und zwar auf die ihre pochten, den Geist aber
verachteten. Bismarck dagegen hat das Wort vom fmponderablen als in der Politik Entsdieidenden
nicht bloß geprägt, auch dreißig Jahre lang gelebt. Elaben wir jeßf diesen Krieg geführt und
verloren, vornehmlich weil wir mit Ponderablem allein rechneten, mit Zahlen statt mit Größen, so
haben wir ihn im typisdien Junkergeisfe geführt und verloren. Bismarck war beinah nur
Psydiolog.
Sein problematischer Charakter: zwiespältig, zerrissen, durdiwühlt, nervös, ungeeinter selbst als
Goethes, dodi, wie dieser, 80 Jahre verbrauchend, um seines Dämons Herr zu werden und durch
diesen Seelenkampf sein Werk zu gewinnen. Dies erstaünlidie Schauspiel: daß die deutschen
Stämme, scheinbar seit 70, in Wahrheit seit 700 Jahren uneins, gesdiliditef werden sollten,
braudif zu seinem Protagonisten den Mann mit dem deutschen Zwiespalt der Seele. Nur ein
Problemafiker — und nur in einer Art von Rausch, in 8 kurzen Jahren, konnte er, alle deutschen
Tugenden, Gefahren, Sdiwädien in der Brust, das Werk vollenden.
Auf ihm lastet alles, alles wird schwer an ihm wie an seinem Volke, alles ist außer Gleidigewidif:
Leidenschaften, Hemmungen, Ideale. Nur der Mann des ungeheuren Gefühles, das sidi vereisen
kann wie beim Künstler, konnte diese antipolifische, einander zerreibende Nation zusammen-
fügen.
Banal, ihm heute Schuld zuzuschieben! Sein Werk besteht, weil es logisdr ist, und wird bestehen.
Bismardc wollte nur dies Reidi; es war seine Vision, seine Manie. Nikolsburg und Versailles
zeigen Bismarck auf den Höhepunkten seiner künsflerisdien Mäßigung, verfehmt als „Feind der
Armee“, Lothringen ablehnend, mit Osterreidi einen vorbildlichen „Völkerbunds-Frieden“ ohne
Annexion und ohne Geld, zu rasdier Freundsdiaft sdiließend. ,
Selbst den „Kaiser“ wollte er nicht, wollte nur den Präsidenten seines Bundes, spradi, 4 Tage
nadi Versailles, von „diesem Kaisersdierze“ — und trieb dann zwanzig Jahre anti-imperiale
Friedenspolitik, vermied zweimal den Krieg, baute an Bündnissen, warnte vor Flotte und Kolonien,
den beiden großen Symbolen jeder Weltmacht.
X.
Preußengeist, bis dahin unbesfedilich, arm, vermählt sich dem Kapital unter Wilhelm dem Zweiten,
Adler werden vergoldet, alles vom Tempo Pseudo-Amerikas mitgerissen. Bismarck wollte einen
vernünftigen, gesdilossenen, nidif sdiweifenden Bund deutscher Stämme, die Deutschen aber
hörten nur: Kaiserreich, Hauptstadt, Orden, Titel, Aufstieg, Flotte, Geld. Integer bis zum Tode
ehedem, lockert sidr jeßf die Moral der führenden Klassen, bis im Kriege Korruption in preußische
Reihen dringt, als ob sie balkanisdi wären: Signale des Verfalls, Eintritt in den fünften Akt.
Berlin, ehedem ein Zentrum der Kultur, sinkt zur Metropole des Handels herab. Dodi wozu
sdiildern, was wir alle fühlten!
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legt zum Aufbau der neuen Zeit. Wieder schafft der Geist neue Formen, während der Staat als
formlose Masse brodelt.
IX.
Nur das autodidaktisdie Genie konnte die deutsche Verwirrung lösen. Der andere tritt auf von
den Beiden, die der Preußensfolz meint, wenn er Typen beschwört und Ausnahmen trifft. Als
Geist, vorschauend seiner Zeit, bleibt Bismarck hinter dem weiteren, tieferen Fricdridr weif zurück;
als Kraft, sein sdiarf umrissenes Problem anblickend, erscheint er stärker. Junker? Hat je
ein preußischer Junker so ausgesehn? Das Entsdreiclende trennt ihn von jenen: denn Junker
waren von jeher Leute, die nur auf Madit und zwar auf die ihre pochten, den Geist aber
verachteten. Bismarck dagegen hat das Wort vom fmponderablen als in der Politik Entsdieidenden
nicht bloß geprägt, auch dreißig Jahre lang gelebt. Elaben wir jeßf diesen Krieg geführt und
verloren, vornehmlich weil wir mit Ponderablem allein rechneten, mit Zahlen statt mit Größen, so
haben wir ihn im typisdien Junkergeisfe geführt und verloren. Bismarck war beinah nur
Psydiolog.
Sein problematischer Charakter: zwiespältig, zerrissen, durdiwühlt, nervös, ungeeinter selbst als
Goethes, dodi, wie dieser, 80 Jahre verbrauchend, um seines Dämons Herr zu werden und durch
diesen Seelenkampf sein Werk zu gewinnen. Dies erstaünlidie Schauspiel: daß die deutschen
Stämme, scheinbar seit 70, in Wahrheit seit 700 Jahren uneins, gesdiliditef werden sollten,
braudif zu seinem Protagonisten den Mann mit dem deutschen Zwiespalt der Seele. Nur ein
Problemafiker — und nur in einer Art von Rausch, in 8 kurzen Jahren, konnte er, alle deutschen
Tugenden, Gefahren, Sdiwädien in der Brust, das Werk vollenden.
Auf ihm lastet alles, alles wird schwer an ihm wie an seinem Volke, alles ist außer Gleidigewidif:
Leidenschaften, Hemmungen, Ideale. Nur der Mann des ungeheuren Gefühles, das sidi vereisen
kann wie beim Künstler, konnte diese antipolifische, einander zerreibende Nation zusammen-
fügen.
Banal, ihm heute Schuld zuzuschieben! Sein Werk besteht, weil es logisdr ist, und wird bestehen.
Bismardc wollte nur dies Reidi; es war seine Vision, seine Manie. Nikolsburg und Versailles
zeigen Bismarck auf den Höhepunkten seiner künsflerisdien Mäßigung, verfehmt als „Feind der
Armee“, Lothringen ablehnend, mit Osterreidi einen vorbildlichen „Völkerbunds-Frieden“ ohne
Annexion und ohne Geld, zu rasdier Freundsdiaft sdiließend. ,
Selbst den „Kaiser“ wollte er nicht, wollte nur den Präsidenten seines Bundes, spradi, 4 Tage
nadi Versailles, von „diesem Kaisersdierze“ — und trieb dann zwanzig Jahre anti-imperiale
Friedenspolitik, vermied zweimal den Krieg, baute an Bündnissen, warnte vor Flotte und Kolonien,
den beiden großen Symbolen jeder Weltmacht.
X.
Preußengeist, bis dahin unbesfedilich, arm, vermählt sich dem Kapital unter Wilhelm dem Zweiten,
Adler werden vergoldet, alles vom Tempo Pseudo-Amerikas mitgerissen. Bismarck wollte einen
vernünftigen, gesdilossenen, nidif sdiweifenden Bund deutscher Stämme, die Deutschen aber
hörten nur: Kaiserreich, Hauptstadt, Orden, Titel, Aufstieg, Flotte, Geld. Integer bis zum Tode
ehedem, lockert sidr jeßf die Moral der führenden Klassen, bis im Kriege Korruption in preußische
Reihen dringt, als ob sie balkanisdi wären: Signale des Verfalls, Eintritt in den fünften Akt.
Berlin, ehedem ein Zentrum der Kultur, sinkt zur Metropole des Handels herab. Dodi wozu
sdiildern, was wir alle fühlten!
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