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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Krell, Max: Rückkehr: ein Kapitel
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0136

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und her. Da er sich wieder dicht gegen das Feuer bückt, sagt ein Fernerliegender:
„Du siehst aus wie der Teufebb
Auch Tobergte bemerkt es und lacht. „Wie einer der Traufenteufel von Notre
Dame!“ Alle sehen sich an und entdecken aneinander sonderbare Grimassen,
barocke Profile; sie ähneln vertrauten Figuren aus Holz oder Stein. Bäumen, Gefäßen,
Affen. Spielmann hat die wütende Frabe eines Ebers.
Zeller sagt: „Ihr seid in bösen Bewegungen hängen geblieben. Eure Gesichter
bringen das Häßliche zurück. Niemand wird euch erkennen!“ Keiner geht darauf
ein. Sie gedenken des lange abtrünnigen Lebens der Bequemlichkeit. Draußen
schnauben die Nüstern grasender Pferde. Zeller schlicht:
„Wie ihr euch auch seht — und natürlich kommt es auf den Vorstellungskreis
jedes einzelnen an —, ohne innere Wahrheit ist die Vision nicht!“
Sievers zieht Karten aus dem Ärmelaufschlag. Er mischt lange. Quandt wirft das
breite Hinterteil herum, gewöhnt sich an die Finsternis. Er denkt: wir liegen hier,
wie wir immer in diesen Jahren gelegen haben, zurückgestoljen in die Gewohnheit
der Tiere. Habe ich zum Beispiel einmal auf langzottigem Bärenfell vor einem
schönen Frauenbein gelegen? Oder wenigstens in feuchten Betten von kleinen
Hotels, in die man nach ewigen Wanderungen dennoch stürzte, die man mit
dampfender Eigenwärme trocknete?
Sie sind alle unterwegs in ihren Gedanken: sie spannen hohe Bogen: eine Brücke
wölbt sich, hindurch schient der lehmige Strom des eben vergangenen Grauens,
der schmäligen Lasten undVerzagtheiten. In bläulichem Horizont unter Sonne bleibt
das erstarrte Gebirge des Friedens ... Er fährt einige Male empor. Eine Granate
zischt, im Urwald der Todesgeräusche bellt tierischer Laut. Immerzu ist die Luft
sausend erfüllt, wie die Musdiel, ans Ohr gelegt, von Meeren unablässig rauscht.
Sdilaf zerbricht — dodi es war der Traum, der ihn zerbrach. Wirklichkeit heiht
Stille am Fub dumpf bebender Kiefern. Gewölk oben baut schnell zersprengte
Kerker und Minarette. Gelbe Sichel irrt durch das blaue Gef eh. Es ist nichts.
Spielmann wirft sich zurück in den Schlaf. Dort sind Rapsfelder, gelb, in Sonne.
Meiallbeschlag bliht. Es hallt ein Marsch zwischen Trommelschlag lang durch
zermalmte Gassen, mit Batterien, Regimentern, schlammschleuderndem Motor . . .
Und der Schlaf wirft ihn zurück in Wachsein, fort, zurück mit lähmendem Wechsel.
Kein Sdilaf hält stand. Zeller liegt platt auf dem Bauch; er betet; man hört nur
die Zischlaute.
Eine Stimme sagt: „Rußland“ — Es steckt schon ein Glaube in diesem Ion, eine
Gewißheit, wenn sie stochernd fortfährt: „Peinigung —Verrat— Würgen — Schän-
dung — Notzucht! Seine ganze Geschichte ein Verrecken und ein ewiges Peitschen-
knallen. Schliehlidi war es verseucht mit Niedrigkeit. Aber der Bauer spricht
liebend mit seinem Pferd. Diese kümmerliche Liebe mitten im Mord ist Aufgang
neuer Menschenliebe . . .“

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