sein Leben beherrscht war nicht vonZwecken der bewußten und durchdachtenÄnderung
der menschlidien Einrichtungen, sondern allein von vitaler Geistigkeit und geistiger
Vitalität. Trohdem war Goethe Staatsmann, aber als solcher Vertreter einer politi-
sdienWeltanschauung, die im Grunde nicht Politik, sondern Weisheit ist* Wie Geist
und Natur, so ist ihm auch der Staat ein organisches Wesen. Aus dieser Auffassung
heraus gelangen ihm geschiditliche Erkenntnisse, wesentlicher und tiefergreifender
als jene von Politikern und Historikern, die mit bestimmten Zwecken oder fest-
gelegten Ideen Vergangenheit und Zukunft betrachten. Goethes bekanntes Wort
vor der Schlacht von Valrny: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der
Weltgeschichte aus, und Ihr könnt sagen, Ihr seid dabei gewesen“ zeigt eine geschieht-
lidre Auffassung, die im lebten Grade dieselbe ist wie seine Naturauffassung:
der Glaube an das organische Wachstum in allen Gebieten des Lebens.
So spricht Goethe häufig von der „lebendigen Natur“, die er in allen Bezirken
atmen, wachsen, werden sieht. Leben ist ihm Vorbedingung jeder geistigen und
natürlichen Wirksamkeit und nodi mehr: alle Offenbarung geistiger Kräfte kann
sich nur in lebendiger Wirkung vollziehen. Aus einem Gespräch mit Eckermann
vom 13. Februar 1829: „Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im
Toten, sie ist im Werdenden und sich Wandelnden, aber nicht im Gewordenen
und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen
es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Gewordenen,
Erstarrten, dab er es nubeA
Mit alledem ward Goethe Vertreter eines neuen Dichter- und Geistestypus, bei
dem Kunst und Denken nicht mehr Auswirkung von Neigungen und Talenten
ist, sondern Lebensangelegenheit, Schöpfertum aus eigener Mitte heraus. Diese
Einheit der Lebenselemente in ihm ist das Geheimnis seines wirkenden Universalis-
mus, und die innige Durchdringung seines Lebens mit Kunst, Natur, Gesellschaft,
Staat und Menschen nichts anderes als Abspiegelung jenes synthetischen Wollens,
das kosmisdr ist und deshalb Kosmos begreift. Dieser Zusammenhang von
Goethes Lebens-und Kunstauffassung, den also auch wir keineswegs psychologisch
erklären wollen, sondern als transzendentale Ableitung seines Wirkens brauchen,
bedeutet eine solche Gipfelung menschlichen Schöpfertums, dab kein Zeitwandel
ihr etwas anhaben mag, auch wenn Einzelinhalte verblassen mögen.
Es ist bezeichnend, dab Goethes Absicht stets war, die gleiche einheitliche Grund-
lage, wie er sie besab, auch in den Werken anderer zu suchen. Die Hingabe an
Herder, der ihm an den wesentlichsten Stationen seines Lebens immer Genosse
war, ist lebten Endes daraus zu erklären, dab er auch in ihm dieses lebendige
Wirken sah, diese Entfaltung eines allseitigen Kräftereichs: „So fühle ich auch
in all Deinem Wesen nicht die Sdiaal und Hülle, daraus Deine Gastors und Harle-
kins herausschlüpfen, sondern den ewig gleichen Bruder, Mensch, Gott, Wurm
und Narren“.
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der menschlidien Einrichtungen, sondern allein von vitaler Geistigkeit und geistiger
Vitalität. Trohdem war Goethe Staatsmann, aber als solcher Vertreter einer politi-
sdienWeltanschauung, die im Grunde nicht Politik, sondern Weisheit ist* Wie Geist
und Natur, so ist ihm auch der Staat ein organisches Wesen. Aus dieser Auffassung
heraus gelangen ihm geschiditliche Erkenntnisse, wesentlicher und tiefergreifender
als jene von Politikern und Historikern, die mit bestimmten Zwecken oder fest-
gelegten Ideen Vergangenheit und Zukunft betrachten. Goethes bekanntes Wort
vor der Schlacht von Valrny: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der
Weltgeschichte aus, und Ihr könnt sagen, Ihr seid dabei gewesen“ zeigt eine geschieht-
lidre Auffassung, die im lebten Grade dieselbe ist wie seine Naturauffassung:
der Glaube an das organische Wachstum in allen Gebieten des Lebens.
So spricht Goethe häufig von der „lebendigen Natur“, die er in allen Bezirken
atmen, wachsen, werden sieht. Leben ist ihm Vorbedingung jeder geistigen und
natürlichen Wirksamkeit und nodi mehr: alle Offenbarung geistiger Kräfte kann
sich nur in lebendiger Wirkung vollziehen. Aus einem Gespräch mit Eckermann
vom 13. Februar 1829: „Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im
Toten, sie ist im Werdenden und sich Wandelnden, aber nicht im Gewordenen
und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen
es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu tun, der Verstand mit dem Gewordenen,
Erstarrten, dab er es nubeA
Mit alledem ward Goethe Vertreter eines neuen Dichter- und Geistestypus, bei
dem Kunst und Denken nicht mehr Auswirkung von Neigungen und Talenten
ist, sondern Lebensangelegenheit, Schöpfertum aus eigener Mitte heraus. Diese
Einheit der Lebenselemente in ihm ist das Geheimnis seines wirkenden Universalis-
mus, und die innige Durchdringung seines Lebens mit Kunst, Natur, Gesellschaft,
Staat und Menschen nichts anderes als Abspiegelung jenes synthetischen Wollens,
das kosmisdr ist und deshalb Kosmos begreift. Dieser Zusammenhang von
Goethes Lebens-und Kunstauffassung, den also auch wir keineswegs psychologisch
erklären wollen, sondern als transzendentale Ableitung seines Wirkens brauchen,
bedeutet eine solche Gipfelung menschlichen Schöpfertums, dab kein Zeitwandel
ihr etwas anhaben mag, auch wenn Einzelinhalte verblassen mögen.
Es ist bezeichnend, dab Goethes Absicht stets war, die gleiche einheitliche Grund-
lage, wie er sie besab, auch in den Werken anderer zu suchen. Die Hingabe an
Herder, der ihm an den wesentlichsten Stationen seines Lebens immer Genosse
war, ist lebten Endes daraus zu erklären, dab er auch in ihm dieses lebendige
Wirken sah, diese Entfaltung eines allseitigen Kräftereichs: „So fühle ich auch
in all Deinem Wesen nicht die Sdiaal und Hülle, daraus Deine Gastors und Harle-
kins herausschlüpfen, sondern den ewig gleichen Bruder, Mensch, Gott, Wurm
und Narren“.
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