so häufigen und beliebten Kunstreisen der bemittelten
Kreise in die Theaterstädte Karlsruhe und Mannheim
verbieten die teuren Eintrittspreise, die Schwierigkeiten
der Billettbesorgung, wie die Kosten und Umständlich-
keiten der Reise mehr und mehr. Die Gesamtgastspiele
hauptstädtischer Theatertruppen an kleineren Nachbar-
orten scheitern andrerseits ebenfalls vielfach an den
hohen Unkosten. Das ist ein Beispiel für viele. So
gedenken die Rheinpfalz wie das Saarland (dessen
einzige ständige Bühne in Saarbrücken allein natürlich
audi den Bedürfnissen nkhf genügen kann) zu dem
ehedem bewährten System der künstlerischen Wander-
bühne zurückzukehren, das im lohten Jahrzehnt schon
in mehreren deutsdren Provinzen von neuem erprobt
worden ist. Insgesamt wird der Theaterkulturverband
mit der Zeit über ganz Westdeutschland ein Neß
von (etwa sechs) Wanderbühnen legen, das sidr von der
französischen bis an die belgisch-holländische Grenze
erstrecken und die dramatische Dichtung der Klassiker
wie der Gegenwart — deutsche wie ausländische —
in sorgsamer Interpretation unter der Regie von jungen,
als Künstler wie als Volksbildner erprobten, ihrer Kultur-
aufgabe vollauf bewußten Bühnenleitern pflegen wird.
DR. ERNST LEOPOLD STAHL.
GEISTIGE UND KÖRPERLICHE ARBEITER.
Idi muh gleich zu Anfang eingesfehen, vielleicht mit
Bedauern eingestehen, daß die großen Erregungen
und Umwälzungen des öffentlichen Lebens an mir,
ohne Erregung hervorzurufen, vorübergehen. Es mag
das ein Fehler in meiner geistigen Organisation sein.
Sicher ist es ein verzweifelter Standpunkt, und auch
kein Standpunkt, der besonders glücklich macht, wenn
man überhaupt nicht imstande ist, in der ganzen
Weltgesdiidite irgend welchen sogenannten Fort-
sdiritt zu bemerken. Wenn es einem erscheinen will,
als seien die Menschen zu allen Zeiten die gleichen
gewesen und geblieben, hätten sich nur immer wie
auf einer Maskerade vermummt, wo plötzlich unter den
Masken die alten bekannten mehr oder minder lieben
Gesichter hervorsehen. Solche Anschauungen führen den
genialen Menschen vielleidif zum Wahnsinn und den
minder genialen zu einer gewissen Einsamkeit, die eine
Gesellsdraft künstlerischer Dinge und vielleicht noch
einiger Tiere der menschlichen Gesellsdraft und ihrer
pathetischen „Entwicklung“ vorzieht. Der Standpunkt
mag falsdi und ungesund sein, aber er besteht, und
durch seine Existenz hat er genau so viel Berechtigung
wie alles andere Existierende auch. Mitunter will es
mir scheinen, als sei alle Betrachtung unter großen
Gesidrtspunkten, als sei alles wirklich künstlerisdr
schöpferische Gefühl nur von dieser Einsamkeit aus,
und nicht wie immer behauptet wird, von der Anteil-
nahme her möglich. Gleichsam als ob Selbststeigerung
nur mit Verzicht auf die Mitmenschheit zu erreichen
wäre, die man gewissermaßen nur dadurch bereichern
kann, daß man sidr nicht durch sie verarmen läßt.
Unter den Schlagworten, die mich mit meiner Welt-
anschauung in diesen Zeiten am meisten aufreizten,
war das häufigste Sdrlagwort dasjenige von dem Zu-
sammengehen der geistigen Arbeiter mit den körper-
lichen Arbeitern. Es tönte einem nicht nur von den
Parteien her entgegen, die die geistigen Arbeiter
lockend zu sich riefen, sondern fast nodr mehr von
geistigen Arbeitern selbst, die sich in Gruppen mit
dem laut verkündeten Entschluß zusammentaten, an
dem wirklidren Leben ihrer Zeit entscheidenden
Anteil zu nehmen. Wohnte man aber solchen aus
beiden Parteien gemischten Versammlungen bei, so
gewann die objektive Betrachtung nicht den Eindrude,
daß sie sich verstanden, sondern vielmehr den, daß
sie aneinander vorbeiredeten. Das bestätigte mir ein
in mir von je lebendiges Gefühl, als ob es gar keinen
grundsäßlidreren Unterschied überhaupt in der Welt
zu geben vermag, als den zwischen geistiger und
körperlicher Arbeit. Es erschien mir immer unmöglich,
den Begriff Arbeit gewissermaßen als eine immer
gleidie Größe zu seßen, als einen Nenner, von dem
Geist und Körper einfadi addierbare Zähler seien.
Und ich darf wohl sagen, daß dieses Gefühl bei mir
nicht etwa geistigem Hochmut entsprang, dem idr
immer bis zur Scham fremd gewesen bin, fremder wohl
als die meisten, die heute die Brüderschaft geistiger
und körperlidrer Arbeit proklamieren. Ich habe den
körperlichen Arbeiter oft beneidet, um vieles beneidet,
während ich die geistige Artung leicht für Entartung
und krankhaft zu werten geneigt bin, aber ich habe
nie ein Gefühl der Verwandtschaft empfunden. Ich
habe auch nie an die Möglidikoit einer geistigen
Führerschaft gegenüber dem Volke geglaubt, empfand
vielmehr stets scharf eine völlige, jedes wirklidie
gegenseitige Verständnis gänzlkh ausschließende Ver-
schiedenheit.
Ein wichtiger Punkt ist mir vor allem immer aufgefallen:
je mehr die körperliche Arbeit ihren Arbeiter in Ansprudr
nimmt, desto mehr strebt er nadr Freiheit von ihr;
wenigstens ist mir der körperliche Arbeiter noch nicht
begegnet, der im Banne seiner Arbeit gestanden und
diese für das für ihn Höchste in der Welt geachtet
hätte. Je fähiger der Arbeiter war, desto gründlicher
mißachtete er eigentlich seine Arbeit, desto mehr wollte
er von ihr fort zu dem, was er „Bildung“ oder
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Kreise in die Theaterstädte Karlsruhe und Mannheim
verbieten die teuren Eintrittspreise, die Schwierigkeiten
der Billettbesorgung, wie die Kosten und Umständlich-
keiten der Reise mehr und mehr. Die Gesamtgastspiele
hauptstädtischer Theatertruppen an kleineren Nachbar-
orten scheitern andrerseits ebenfalls vielfach an den
hohen Unkosten. Das ist ein Beispiel für viele. So
gedenken die Rheinpfalz wie das Saarland (dessen
einzige ständige Bühne in Saarbrücken allein natürlich
audi den Bedürfnissen nkhf genügen kann) zu dem
ehedem bewährten System der künstlerischen Wander-
bühne zurückzukehren, das im lohten Jahrzehnt schon
in mehreren deutsdren Provinzen von neuem erprobt
worden ist. Insgesamt wird der Theaterkulturverband
mit der Zeit über ganz Westdeutschland ein Neß
von (etwa sechs) Wanderbühnen legen, das sidr von der
französischen bis an die belgisch-holländische Grenze
erstrecken und die dramatische Dichtung der Klassiker
wie der Gegenwart — deutsche wie ausländische —
in sorgsamer Interpretation unter der Regie von jungen,
als Künstler wie als Volksbildner erprobten, ihrer Kultur-
aufgabe vollauf bewußten Bühnenleitern pflegen wird.
DR. ERNST LEOPOLD STAHL.
GEISTIGE UND KÖRPERLICHE ARBEITER.
Idi muh gleich zu Anfang eingesfehen, vielleicht mit
Bedauern eingestehen, daß die großen Erregungen
und Umwälzungen des öffentlichen Lebens an mir,
ohne Erregung hervorzurufen, vorübergehen. Es mag
das ein Fehler in meiner geistigen Organisation sein.
Sicher ist es ein verzweifelter Standpunkt, und auch
kein Standpunkt, der besonders glücklich macht, wenn
man überhaupt nicht imstande ist, in der ganzen
Weltgesdiidite irgend welchen sogenannten Fort-
sdiritt zu bemerken. Wenn es einem erscheinen will,
als seien die Menschen zu allen Zeiten die gleichen
gewesen und geblieben, hätten sich nur immer wie
auf einer Maskerade vermummt, wo plötzlich unter den
Masken die alten bekannten mehr oder minder lieben
Gesichter hervorsehen. Solche Anschauungen führen den
genialen Menschen vielleidif zum Wahnsinn und den
minder genialen zu einer gewissen Einsamkeit, die eine
Gesellsdraft künstlerischer Dinge und vielleicht noch
einiger Tiere der menschlichen Gesellsdraft und ihrer
pathetischen „Entwicklung“ vorzieht. Der Standpunkt
mag falsdi und ungesund sein, aber er besteht, und
durch seine Existenz hat er genau so viel Berechtigung
wie alles andere Existierende auch. Mitunter will es
mir scheinen, als sei alle Betrachtung unter großen
Gesidrtspunkten, als sei alles wirklich künstlerisdr
schöpferische Gefühl nur von dieser Einsamkeit aus,
und nicht wie immer behauptet wird, von der Anteil-
nahme her möglich. Gleichsam als ob Selbststeigerung
nur mit Verzicht auf die Mitmenschheit zu erreichen
wäre, die man gewissermaßen nur dadurch bereichern
kann, daß man sidr nicht durch sie verarmen läßt.
Unter den Schlagworten, die mich mit meiner Welt-
anschauung in diesen Zeiten am meisten aufreizten,
war das häufigste Sdrlagwort dasjenige von dem Zu-
sammengehen der geistigen Arbeiter mit den körper-
lichen Arbeitern. Es tönte einem nicht nur von den
Parteien her entgegen, die die geistigen Arbeiter
lockend zu sich riefen, sondern fast nodr mehr von
geistigen Arbeitern selbst, die sich in Gruppen mit
dem laut verkündeten Entschluß zusammentaten, an
dem wirklidren Leben ihrer Zeit entscheidenden
Anteil zu nehmen. Wohnte man aber solchen aus
beiden Parteien gemischten Versammlungen bei, so
gewann die objektive Betrachtung nicht den Eindrude,
daß sie sich verstanden, sondern vielmehr den, daß
sie aneinander vorbeiredeten. Das bestätigte mir ein
in mir von je lebendiges Gefühl, als ob es gar keinen
grundsäßlidreren Unterschied überhaupt in der Welt
zu geben vermag, als den zwischen geistiger und
körperlicher Arbeit. Es erschien mir immer unmöglich,
den Begriff Arbeit gewissermaßen als eine immer
gleidie Größe zu seßen, als einen Nenner, von dem
Geist und Körper einfadi addierbare Zähler seien.
Und ich darf wohl sagen, daß dieses Gefühl bei mir
nicht etwa geistigem Hochmut entsprang, dem idr
immer bis zur Scham fremd gewesen bin, fremder wohl
als die meisten, die heute die Brüderschaft geistiger
und körperlidrer Arbeit proklamieren. Ich habe den
körperlichen Arbeiter oft beneidet, um vieles beneidet,
während ich die geistige Artung leicht für Entartung
und krankhaft zu werten geneigt bin, aber ich habe
nie ein Gefühl der Verwandtschaft empfunden. Ich
habe auch nie an die Möglidikoit einer geistigen
Führerschaft gegenüber dem Volke geglaubt, empfand
vielmehr stets scharf eine völlige, jedes wirklidie
gegenseitige Verständnis gänzlkh ausschließende Ver-
schiedenheit.
Ein wichtiger Punkt ist mir vor allem immer aufgefallen:
je mehr die körperliche Arbeit ihren Arbeiter in Ansprudr
nimmt, desto mehr strebt er nadr Freiheit von ihr;
wenigstens ist mir der körperliche Arbeiter noch nicht
begegnet, der im Banne seiner Arbeit gestanden und
diese für das für ihn Höchste in der Welt geachtet
hätte. Je fähiger der Arbeiter war, desto gründlicher
mißachtete er eigentlich seine Arbeit, desto mehr wollte
er von ihr fort zu dem, was er „Bildung“ oder
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