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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Redslob, Edwin: Parteigeist oder schöpferische Kraft: eine Ausstellungsbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0237

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Diese ethisch gegründete Brücke zur Kunst sinkt aber in Trümmer, wo dasVerhältnis
zum Werke selbst nicht positiv gestaltend, sondern kritisch und zersetzend eingestellt
ist. Der berufene Kritiker — und es gibt deren gerade in unserer Zeit — kann
von der Kritik an der Kritik, die hier geübt wird, nicht berührt werden. Er ist
Mittler, ist erster Verarbeiter und Verkünder der neuen Werke, ist Erhalter und
Zerstörer, je nachdem es die Wegbereitung seiner Arbeit verlangt.
Was gebrandmarkt werden soll, das ist die krittelnde Selbstgefälligkeit des Herrn
Jedermann, welche das Motto: Augen zu, Mund auf, über die Portale unserer Aus-
stellungen geheftet hat. Die Grundgefahr unserer jüngsten Vergangenheit, ihre
verneinend sondierende Art, erscheint hier in Reinkultur.
Das geistige Leben des Mittelalters war eingestellt auf Frömmigkeit, auf Einheit
der Gemeinschaft. Dann kam — nicht parteiisch, sondern menschlich gedacht! —
die Lehre vom allgemeinen Priestertum. Daraus aber hat die jüngste Vergangenheit
das Evangelium des allgemeinen Kritikertums gemacht. Und dagegen lehnen sidi
die Kräfte der Gegenwart auf. Denn jede gesunde öffentliche Kunstpflege wird
durch die Souveränüäfserklärung des Privafgeschmackes und durch die Möglich-
keit seines unbehinderten Austobens vergiftet.
Auch wenn wir hier nur mit dem Beispiel der Kunstausstellungen arbeiten, können
wir genug lernen, um endlidi abzurücken von der Auffassung, als sei die Kunst
Angeklagter vor den Millionen, die Kläger und Richter in einem sein wollen.
Was auf den Kunstausstellungen erscheint, das ist — und bleibt es auch noch so
vereinzelt inmitten des Gestrüppes von Mitläufertum und Nachäfferei — der
schöpferische Genius des Volkes. Die Offenbarung der schöpferischen Kraft ist
das, was die Religion als Menschwerdung der Gottheit begreift. Wir aber haben
— statt zu warten und zu suchen — unsere Ausstellungen gewandelt in ein Gol-
gatha. Schweigend hängen hier die Bilder — aber nicht zur Schau gestellt in Blüten-
fülle des Lebens — sondern gekreuzigt, ausgeliefert dem Willen zur Kritik, der
täglich vor ihnen seine Orgien feiert.
Es ist noch niemals vorgekommen, dab ein niedriger Mensch, dab ein schwaches
Werk Geifer und Wut erregt hat.
Wo immer die Menschen von magischer Macht festgehalten werden, um mit Spott
und Hohn, mit Verleumdung und selbstgefälliger Krittelei anzurennen gegen Tat
und Arbeit: da hängt Gottes Sohn am Kreuz.
Wir aber wollen so nicht länger leben. Wir können nicht dauernd Mißbrauch treiben
mit schöpferischer Kraft — denn unser Vaterland ist arm und hat nur sie als
Ausweg und Rettung. Wir dürfen den Genius nicht zermürben und zermalmen
zwischen Parteigeist und Besserwisserei. Wir müssen beginnen, die Menschen,
die innerer Drang vor die Kunstwerke treibt, diejenigen, die zum Isenheimer
Altar gewallfahrtet sind und vor ihm standen in kultischem Schweigen, diejenigen,
die schöpferisch rege Ahnung vor Kirchner und Nolde gebannt hält, zu heiligen

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