hinausdrängt, wie er auch sich müht, sein Selbst zu
bewahren. Hier in diesem Drama schreitet der Mensch
nicht der sittlichen Vervollkommnung wegen empor —
eine Seele erleidet, mit Verzweiflung und Wut, die
unerbittliche Verdammnis, steigen zu müssen“.
Mit ihrem eigenen Tun und Lassen erfüllt diese Losung
des Opferbringens eine andere Holländerin, Frau
Henriette Roland Holst van der Schalk,
das vielleidit reichste lyrische Temperament unter
Europas gegenwärtigen Diditern. Sie hat der
Pflicht zur Sozialrevolutionären Tat, wegen deren
zwar nicht ihre künstlerischen Schaffenseigenschaften
schwädrere werden, zu deren Erfüllung sie aber ihre
„Zeit“, ihre Muse, ihre bürgerliche „Sicherheit“ opfert,
soeben ein neues Denkmal in der Form eines politischen
Romans geseßt, der den Titel führt: »De Held an
de Schaar« (Wereldbibliothek, Amsterdam) und der
sidi, unter engster Anschließung an die geschichtlichen
Vorgänge, als eine diditerische Gestaltung Garibaldis
und der italienischen Freiheitsbewegung darstellt. Es
ist ein Tendenzbuch in edelstem Sinne. „Idi verfolge
mit dem Werke die Absicht,“ bekennt die Verfasserin
im Vorworte, „den zukünftigen Streitern für das Heil
der Menschheit einen Spiegel vorzuhalten, daraus ihnen
der Geist unerschrockener revolutionärer Tatkraft,
unverbrüchlich verbunden mit dem Geiste großmütiger
Mensdilichkeit, herrlidi flammend entgegenstrahlt; das
nämlich ist der Geist, der allein den Kommunismus
zum Siege führen kann.“
Zu mindest für Holland bedeutet auch dieses Buch
eine mit nichts anderem vergfeidibare schriftstellerisdie
Leistung. Vergangenheit, dazu noch eine zeitlidi redit
naheliegende, wird mythologisiert, ohne daß die Mytho-
logie in verschönende, ach so begreiflidre Verfälschung
überginge. Chronik und Dichtung halten einander die
Wage. Die darstellerischen Gaben der Schreiberin
erweisen sidi ebenso groß wie ihre wissenschaftlidie
Befähigung, wie ihr politischer Tatsachensinn. Öfters
trocken wie eine völkerrechtliche Grundsaßerläuterung,
öfters verallgemeinert im Schriftstil eines aktuellen
Parteiprogramms, vereint sich die Mischung von
Journalismus, Werbewillen, Sehertum zu einem ungemein
eigenartigen Prosagebilde: Politik veranschaulicht sich
hier aus einer tiefsten und persönlichen Erfahrung.
Auf welcher Höhe sittlichen Empfindens bewegen sich
die Säße, die Henriette Roland Holst angesichts der
Fehlsdiläge und Fehlgriffe Garibaldis spricht, die zu
seinem Untergange führen: „Der Schar, seiner Berufung
getreu, voranschreitend, mußte sie der Held bis an
den Punkt führen, wo sie sich von ihm abwendete
und ihn aufgab, seine Macht derart in Ohnmacht
umkehrend. Und dies war das Allertragisdiste im
Schicksale Garibaldis gleich wie im Sdiicksale aller
Helden, nämlich aller großer, willenstätiger Träumer,
welche der Menschheit dienen durch die Tat, dies:
daß der Traum, den sie helfen zur Wahrheit zu machen,
den sie aus dem hohen Himmel der Idee in den Bereidi
des sozialen Lebens herabzusteigen zwingen, etwas von
seinem makellosen Glanz verliert und von seiner strah-
lenden Schönheit einbüßt, im Maße er sich verwirklicht.
Denn die Schar, die allein ihn verwirklichen kann, hält
die Spannkraft ihrer edelsten Vorläufer, ihrer erwählten
Anführer niemals lebendig. Dann wird der Gesdimack
des Lebens bitter wie Ruß in ihren Mündern; es dünkt
ihnen, sie besudelten selber ihr höchstes Ideal. Dies
zu fühlen und dodi nicht zu bereuen oder zu versagen,
das ist das leßte Opfer, das hödisfe“.
Gegen das Selbstbehagen, das in Holland wie über-
all sogar das Gesdilechts - Leben verbürgerlicht
und damit entsittlicht hat, wendet sich mit schönem
Pathos Dr. H. W. Ph. E. van den Bergh
van Eysinga. Sein Budi von Liebe und Ge-
schlecht, »Eros« (A. W. Sythoff, Leiden), das aus
dem Nadilaß herausgegeben wurde — van den Bergh
van Eysinga, reformierter Pfarrer in Zufphen, starb
vor wenigen Monaten — bedeutet für Holland
durch den Freimut, mit dem die erotischen Probleme
aus ihrem Versteck geholt werden, eine Tat von
edit revolutionärer Kühnheit. Keines der zahlreichen
philosophischen und gottesdienstlichen Bücher dieses
Denkers ging unbeachtet in Holland vorüber; die Zahl
seiner Anhänger, seiner Gegner ist groß. Am ein-
greifendsten jedodr befaßt sidr mit der holländischen
Wirklidikeit eben dieses leßte Budi und das diesem
vorhergehende, betitelt: »Revolutionäre Kultur«.
Van den Bergh van Eysinga, der überzeugter Kommunist
ist, sucht in der »Revolutionären Kultur« geistig-sittliche
Forderungen aus den Forschungsergebnissen des
Marxismus, im zweiten aus dem Forsdiungsergebnisse
der Freudsdien Psychoanalyse abzuleiten. Sein Idealismus
läßt nie das Tatsachenmaterial außer Acht; seine Be-
redsamkeit berauscht sich nicht lediglich an der abstrakten
Vorschrift, die er gibt, sondern fließt über von Winken
und brauchbaren Lebensanleitungen. Grimmig befehdet
er den erotisdien Nüßlichkeitssinn, das kleine profitliche
Verlangen.
Vier holländische Bücherveröffentlichungen sind es, auf
die hier hingewiesen wird, nur vier Neuerscheinungen
der leßtvergangenen Zeit. Sollten sie nicht den aus-
ländischen Leser dazu antreiben, noch nadi den vielen
anderen Erzeugnissen des ihm verborgenen geistigen
Hollands zu fragen? Sein Wunsch könnte erfüllt und
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bewahren. Hier in diesem Drama schreitet der Mensch
nicht der sittlichen Vervollkommnung wegen empor —
eine Seele erleidet, mit Verzweiflung und Wut, die
unerbittliche Verdammnis, steigen zu müssen“.
Mit ihrem eigenen Tun und Lassen erfüllt diese Losung
des Opferbringens eine andere Holländerin, Frau
Henriette Roland Holst van der Schalk,
das vielleidit reichste lyrische Temperament unter
Europas gegenwärtigen Diditern. Sie hat der
Pflicht zur Sozialrevolutionären Tat, wegen deren
zwar nicht ihre künstlerischen Schaffenseigenschaften
schwädrere werden, zu deren Erfüllung sie aber ihre
„Zeit“, ihre Muse, ihre bürgerliche „Sicherheit“ opfert,
soeben ein neues Denkmal in der Form eines politischen
Romans geseßt, der den Titel führt: »De Held an
de Schaar« (Wereldbibliothek, Amsterdam) und der
sidi, unter engster Anschließung an die geschichtlichen
Vorgänge, als eine diditerische Gestaltung Garibaldis
und der italienischen Freiheitsbewegung darstellt. Es
ist ein Tendenzbuch in edelstem Sinne. „Idi verfolge
mit dem Werke die Absicht,“ bekennt die Verfasserin
im Vorworte, „den zukünftigen Streitern für das Heil
der Menschheit einen Spiegel vorzuhalten, daraus ihnen
der Geist unerschrockener revolutionärer Tatkraft,
unverbrüchlich verbunden mit dem Geiste großmütiger
Mensdilichkeit, herrlidi flammend entgegenstrahlt; das
nämlich ist der Geist, der allein den Kommunismus
zum Siege führen kann.“
Zu mindest für Holland bedeutet auch dieses Buch
eine mit nichts anderem vergfeidibare schriftstellerisdie
Leistung. Vergangenheit, dazu noch eine zeitlidi redit
naheliegende, wird mythologisiert, ohne daß die Mytho-
logie in verschönende, ach so begreiflidre Verfälschung
überginge. Chronik und Dichtung halten einander die
Wage. Die darstellerischen Gaben der Schreiberin
erweisen sidi ebenso groß wie ihre wissenschaftlidie
Befähigung, wie ihr politischer Tatsachensinn. Öfters
trocken wie eine völkerrechtliche Grundsaßerläuterung,
öfters verallgemeinert im Schriftstil eines aktuellen
Parteiprogramms, vereint sich die Mischung von
Journalismus, Werbewillen, Sehertum zu einem ungemein
eigenartigen Prosagebilde: Politik veranschaulicht sich
hier aus einer tiefsten und persönlichen Erfahrung.
Auf welcher Höhe sittlichen Empfindens bewegen sich
die Säße, die Henriette Roland Holst angesichts der
Fehlsdiläge und Fehlgriffe Garibaldis spricht, die zu
seinem Untergange führen: „Der Schar, seiner Berufung
getreu, voranschreitend, mußte sie der Held bis an
den Punkt führen, wo sie sich von ihm abwendete
und ihn aufgab, seine Macht derart in Ohnmacht
umkehrend. Und dies war das Allertragisdiste im
Schicksale Garibaldis gleich wie im Sdiicksale aller
Helden, nämlich aller großer, willenstätiger Träumer,
welche der Menschheit dienen durch die Tat, dies:
daß der Traum, den sie helfen zur Wahrheit zu machen,
den sie aus dem hohen Himmel der Idee in den Bereidi
des sozialen Lebens herabzusteigen zwingen, etwas von
seinem makellosen Glanz verliert und von seiner strah-
lenden Schönheit einbüßt, im Maße er sich verwirklicht.
Denn die Schar, die allein ihn verwirklichen kann, hält
die Spannkraft ihrer edelsten Vorläufer, ihrer erwählten
Anführer niemals lebendig. Dann wird der Gesdimack
des Lebens bitter wie Ruß in ihren Mündern; es dünkt
ihnen, sie besudelten selber ihr höchstes Ideal. Dies
zu fühlen und dodi nicht zu bereuen oder zu versagen,
das ist das leßte Opfer, das hödisfe“.
Gegen das Selbstbehagen, das in Holland wie über-
all sogar das Gesdilechts - Leben verbürgerlicht
und damit entsittlicht hat, wendet sich mit schönem
Pathos Dr. H. W. Ph. E. van den Bergh
van Eysinga. Sein Budi von Liebe und Ge-
schlecht, »Eros« (A. W. Sythoff, Leiden), das aus
dem Nadilaß herausgegeben wurde — van den Bergh
van Eysinga, reformierter Pfarrer in Zufphen, starb
vor wenigen Monaten — bedeutet für Holland
durch den Freimut, mit dem die erotischen Probleme
aus ihrem Versteck geholt werden, eine Tat von
edit revolutionärer Kühnheit. Keines der zahlreichen
philosophischen und gottesdienstlichen Bücher dieses
Denkers ging unbeachtet in Holland vorüber; die Zahl
seiner Anhänger, seiner Gegner ist groß. Am ein-
greifendsten jedodr befaßt sidr mit der holländischen
Wirklidikeit eben dieses leßte Budi und das diesem
vorhergehende, betitelt: »Revolutionäre Kultur«.
Van den Bergh van Eysinga, der überzeugter Kommunist
ist, sucht in der »Revolutionären Kultur« geistig-sittliche
Forderungen aus den Forschungsergebnissen des
Marxismus, im zweiten aus dem Forsdiungsergebnisse
der Freudsdien Psychoanalyse abzuleiten. Sein Idealismus
läßt nie das Tatsachenmaterial außer Acht; seine Be-
redsamkeit berauscht sich nicht lediglich an der abstrakten
Vorschrift, die er gibt, sondern fließt über von Winken
und brauchbaren Lebensanleitungen. Grimmig befehdet
er den erotisdien Nüßlichkeitssinn, das kleine profitliche
Verlangen.
Vier holländische Bücherveröffentlichungen sind es, auf
die hier hingewiesen wird, nur vier Neuerscheinungen
der leßtvergangenen Zeit. Sollten sie nicht den aus-
ländischen Leser dazu antreiben, noch nadi den vielen
anderen Erzeugnissen des ihm verborgenen geistigen
Hollands zu fragen? Sein Wunsch könnte erfüllt und
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