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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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Friedlaender, Salomo: Der Antichrist
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https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0395

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selbst mit etwas Äußerem verkennenden und verwechselnden Wahns verführerisch nahelegt?
Verführerisch nahe liegt Demjenigen, der sich zu innerst vom göttlichen Geist erfüllt weih, die
Verwedislung mit dem Apparate seiner Äußerungen, mit dem Instrumente seiner Wirkung in
die Welt, dem leiblich äußerlichen Menschen. Meine Sdireibfeder ist nur mein Instrument; idr
unterscheide hier kinderleicht den Gebrauchenden vom Gebrauchsgegenstand und müßte sdion sehr
toll sein, um gelegentlidi einmal die Ehren des Nobelpreises für meine Schreibfeder in Anspruch
zu nehmen. Wohl aber halte idr ebenso kinderleidrt dafür, daß der leiblidre Mensdr, der die
Schreibfeder benutzt, bereits ich selber sei: und hierin irre idr midi: hier besticht mich ein Sdrein
der Identität, den bloß die präziseste Selbstbesinnung durdrsdraun und entfernen kann: mein
leiblicher Mensdr ist audr nur eine Art Schreibfeder. Aber nodr mehr! Idr erfasse mein Subjekt
überhaupt nicht, idr kann niemals mich selbst fassen : alles, was idr irgend berühre, auch Gedanken,
Gefühle, Taten, ist dadurdr, daß ich es berühre, bereits zu meinem Gegenstand geworden; ich bin
es gewiß, der sich äußert; aber ich erfasse mich bloß in meinen Äußerungen. An die Stelle der
plumpen Vertraulidrkeit, in der idr nridr illusorisch mit mir selbst gewähnt hatte, tritt eine alles
Äußerliche tödlidr vernichtende Erhabenheit über alles Äußerliche, die den norm alles Äußerlidre als
ihre Äußerung anerkennt und von sidr abhängig weiß. Daß die Welt ein göttlidres Cadret habe, ist
eine alte Sadre; und sogar, daß dieses Cadret bloß inr Innern zu suchen sei, uralte Weisheit. Sobald
man nun versuchte, dieses Innere außen, als objektiv göttlich zu konstatieren, standen Gottes-
leugner auf, die ebensoviel Recht zur Verneinung, wie jene äußerlidren Theisten zur Bejahung
hatten. Es ist eine Neuerung, als beginne jeßt erst die Welt, daß endlich, nadr so vielen und
sdrrecklidren Irrtünrern, es das ganz und gar göttliche Innere ist, welches nichts Besseres erreichen
will als diese Welt seiner Äußerung, die natürlich jeßt erst klar erscheinen kann. Wenn das
eigne innerste Mysterium einen Mensdren rein ergreift, wird aus der Wahrheit der Größe ge-
fährlich leicht Wahn: sei es nun, daß man (wie im Falle Kant) das Innere allzu mensdilich in
Schranken halte; sei es, daß man die Schranken der Äußerung von innen her gar zu gewaltsam
sprenge. Aber bei aller Explosivität der Äußerung Nießsches, so, daß er sidi selbst als Dynamit
empfindet, bleibt er überall dodr ihr Herr; und schließlidi ist garnicht er selbst, seinem editen
Wesen nadi, gestürzt, sondern sein Träger,' sein leibeigner Sklave, ein gewisser Herr Nießsche
aus Naumburg, das bevorzugte Instrument seiner Äußerungen: die verhängnisvolle und verheißungs-
volle Situation besteht weiter fort.
Nießsdie hat die christliche Seele mit aller Gewalt zur Welt herumgedreht; es ist dies eine Revolution
sondergleichen. Denn diese Seele ist hier nicht etwa, wie flacher oder böswilliger Mißverstand
glauben machen möchte, in ihrer Erhabenheit gekränkt worden: sondern sie wird gezwungen, mit
ihr die Welt und nicht mehr einen erflunkerten Himmel zu verklären. Ihr Wille zur Madit ist nicht
etwa parteilidi brutal, sondern göttlich universal: z. B. würde er die europäischen Nationen ver-
einigen, und man soll hoffen und dahin wirken, daß dieses Ziel troß allem erreicht werde. Audi
Nießsdie also ist so gütig und liebend wie nur je ein Jude oder Christ: er ist es aber nicht um
Gottes oder Himmels, sondern um der Welt willen. Er ist der weltlidie Heiland, und natürlich
muß er, mit dem diristlidien verglichen, Teufel sdieinen und nimmt diesen Schein lachend auf
sich, weil er weiß, daß vielmehr jede Weltfludit der kranke Teufel des gesunden Lebens ist.
Aber vergessen wir nicht, daß, so kräftig auch das Ziel Nießsdies die Welt ist, sein Aus-
gangspunkt eben nicht der ordinäre menschliche Interessen-Egoismus, sondern das geheimnisvoll
göttlich-künstlerische Innere ist, so daß er wie ein selig eriauditer Geist über diese Welt sdiöpfcrisch
verfügt und sie mit seinem herrlichen Innern durch und durch verklärt, wie z. B. den Geschlechtstrieb,
den der Heide naiv, der Jude und Christ nach dem Sündenfall, der Katholik nur duldsam, der
Protestant rigoros gelten läßt. Welche Unsumme von Unlust und Heuchelei verschwindet sdion
hierdurdr allein aus der Welt, daß nidit nur alles Weltliche wieder zu göttlichen Ehren kommt; sondern


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