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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

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frühen Münchner Landschaftsmaler. Die Ausstellung
der fünfzehn, meist sehr kleinen Gemälde Wagen-
bauers (1774-1829), die alle Gliedern der Familie Walz
eignen, ist bedeutsam. Sie zeigt einen Künstler von sdiärf-
ster Naturbeobachtung und harmonischem Farbensinn,
einen Maler der Luft, der in seinen Tagen fast vereinzelt
in Deutschland stand. Den Kompositionen liegt stets
eine in leichtem Grau mit spitzem Pinsel ausgeführte
Umrißzeichnung zu gründe.
Wagenbauer hat viel von seinem Freunde Georg Wilhelm
Issel gelernt, von dessen in den Jahren 1813-1819
ausgeführten, immer staffagelosen Olskizzen die Städti-
sche Sammlung eine 61 Nummern umfassende Sonder-
ausstellung veranstaltet. Jeder würde vor diesen Arbeiten
beschwören, daß sie nur der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts angehören können. Aber die Beweise für
die frühe Entstehung sind unwiderleglich. Ihr Zeugnis
darf mit dem frohen Stolze erfüllen, daß die naturnahe
späte Landschaftsmalerei Deutschlands auch an ein-
heimische Überlieferung anknüpfen konnte.
DR. HANS HILDEBRANDT.


GIBT ES „DEMOKRATISCHE MUSIK“ ? Die
Notwendigkeit einer „Demokratisierung“ der Musik-
pflege ist eine Erkenntnis, die nidrt erst eine Frucht
der Umwälzung der lebten Jahre genannt werden darf.
Paul Bekkers schon vor dem Kriege erschienene Schrift,
die sidr mit den Problemen derMusik wie des Musik-
betriebes befaßte, ging von dem Leitsätze aus, die Musik
gehöre in engsten Zusammenhang mit der jeweiligen
Gesellschaft gestellt und leitete daraus sogar — nicht
unwidersprochen — Forderungen an die sdraffenden
Musiker jeder Zeit ab. Das von ihm in diesem Zusammen-
hang geprägte Schlagwort von der „ gesellschaftsbildenden
Kraft der Musik“ mag nodi so sehr zum Gegenstand
der heftigsten Kontroversen geworden sein, aus unsrer
Zeit ist es nidit mehr hinwegzudenken. Ausgiebiger als
Bekker beackerte Karl Blessinger, der junge Miindiener
Musikhistoriker, das Feld der praktischen Anwendung
jeder Musikpflege. Hermann von Walfershausen, der
ehemalige Straßburger Musikdramatiker, jebige Leiter
der Miindrener Musikakademie, wies in einem geist-
vollen Aufsab, der in der »Österreichischen Rundsdrau«
erschien, auf den Gegensaß von Musikdemokraten
und Musikproletariern hin. Seine Gedankengänge
berühren sich dabei mit soldren, denen Hans Pfibner
in der »Futurisfengefahr«, der »Ästhetik der musi-
kalischen Impotenz« und denen Thomas Mann in
seiner vornehm, aber deutlidr gehaltenen Streitsdirift

»Befradrfungen eines Unpolitisdren« nachgegangen
waren. Audr für den musikalischen Volksbildner
sind soldre zunädrsf als fheorefisdre oder gar polifisdre
Spekulationen erscheinende Erörterungen nidit ganz
ohne Belang. Denn es ist eine Frage, über deren
Lösung auch er ins Reine gekommen sein muß, ehe
er mit seiner Arbeit beginnen kann: ob es überhaupt
eine „demokrafisdie“ Musik geben könne und
zweitens: ob der Begriff des Demokratischen in sidi
denjenigen des Übernationalen, um nicht gleich zu
sagen, des Internationalen in sidi berge.
Paul Bekker verwahrt sidi ja bekannflidi in seiner
an Pfibner geridifefen Replik energisdi gegen das
Odium, als eine Art musikalisdier Radek zu gelten
und beruft sich am Schlüsse seiner Ausführungen auf
Beethoven-Sdiillers »Seid umsdilungen, Millionen«.
Danadi wäre es das kiinstlerisdie Weltbürgertum,
dem er den Weg zu bereifen sudit, nidit ein musik-
politischer Bolsdiewismus. Die Antwort darauf ist
ihm Pfibner bisher nodi schuldig geblieben, dagegen
finden wir sie in Thomas Manns Buch, das — wenn
audi zunächst nur vom Literarischen ausgehend —
dodi bei der ausgesprochenen und audi selbsfzuge-
sfandenen Neigung, weldie Mann mehr als jeden
anderen Sdiriftsteller unserer Zeit mit den Problemen
der Musik verbindet, ihn zu einem eigens dem Schaffen
Pfibners gewidmeten Absdiniff veranlaßt. Thomas
Mann bekämpft den von Romain Rolland und
von einem anderen „Mann“ gegen ihn erhobenen
Vorwurf, er madie sidi als Didifer abhängig von
engnafionalisfisdier Deufsdifünielei. Dabei sdieidet er
sdiarf den Begriff des „ Allerwelfsdemokrafen“ von
dem des „Weltbürgers“ im klassisdien, also audi von
Beethoven-Schiller gemeinten Sinne. Der ersfere
scheint ihm ein Produkt der französischen Revolution
mit ihrer Aufklärerfladiheit, die sidi darin gefalle, den
Typ des Boulevardbourgeois als den Idealtyp eines
„gebildeten und vorurteilslosen“ Menschen über die
ganze Erde hin exportieren zu wollen. Er zitiert bei
dieser Gelegenheit Nießsdies Wort, wonach die Fran-
zosen in dieser »Erfindung« nur die gefälligen Nachahmer
der Engländer mit ihrem, aus ganz anderen Verhältnissen
heraus entstandenen Urbild des freien Bürgers darsfellfen
und er verspricht sich von der — durdi pseudodeutsdie
„Revolutionsliferafen“ geförderten — Verbreitung eines
soldien Menschenfyps eine im schlimmsten Sinne „alle
Völker vereinigende“ allgemeine Verflachung und Nivel-
lierung. Schon die Verquickung der Menschenbildung mit
Politik widerspreche jeder Voraussetzung, in solcher
doch reingeisfiger Beziehung etwas Wertvolles leisten
zu können. Für ihn ist jede künstlerische Betätigung,
sei sie nun schaffender, nachsdiaffender oder endlidi
genießender Art, eine Etappe gesteigerter Individualität.

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