Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 2.1920/​1921

DOI Heft:
Funken
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.41961#0556

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
enträt der sympathetisdien Kraft. Und diese aus Betradi t-
samkeif entstandene Unfruchtbarkeit—bei hödister Inten-
sität eigener Lebens- und Geistesenergie — wird ge-
steigert noch durch die Worturspriinglidikeit, die mehr
im Klang und der Melodie, also in sinnlicher Unver-
brauchtheit, und der Bildseltenheit, als in der Aufrührung
der seelischen Unterschicht liegt. Unsere jüngste Kunst,
die Gundolf nur unvollkommen begriffen und diarak-
ferisierf hat — denn sie ist mehr als „Abgrund",
„Sdirei" — hat seelische Unmittelbarkeit gerade im ein-
fachsten Wort auf gedeckt. Und sie hat längst die ihr
von Gundolf verargte Qualle des „guten Menschen"
und der „Menschheit" als Ideal abgestellt und geht
auf den „Menschen" sdiledifhin. Aber sie zeigt ihn
nicht auf: so ist er. Sie sagt: so wird er. Sie gibt
nicht die Lage der Leib- und der Geistebene deskriptiv,
wie George es tut; sie faßt den Durchstob zur oberen
Ebene als das grobe Erlebnis, das in die Ewigkeit
führt. Sie kennt nicht Georges „sdrönen Menschen"
als Gott. Ihr ist Gott Aktion und Wille. Sidier ist,
dab sie aus der Haltung prophetischer Verkündigung
herauskommt. Aus dem Schwall des Redens taucht das
Sein immer energisdier und zwingender auf. Aber das
Sein bleibt Vorgang, Erlebnis-Gang, oder, germanisch
gefaßt, Rhythmik. Und so mag das der Vorwurf sein,
den man Gundolf machen kann, dab er George nur
von ihm aus sieht und wertet, nicht auch von dem
lebendigen Bewußtsein der Werte, die ein neuer Geist,
ein neues Lebensethos in uns geweckt hat. Das Bild,
das er gestaltet hat, würde deshalb nicht anders werden;
aber es bekäme die menschliche Nähe und die wechselnde
Akzentuierung, die ihm jeht, als einem reinen Mythos,
fehlt.
Dodi diese Einschränkung ist geringfügig gegenüber
der ungeheuren positiven Leistung. Das Buch (bei
Georg Bondi, Berlin erschienen) wird' einer der stärksten
Versuche bleiben, eine Dichterpersönlichkeif in ihrer
geistigen Wesenhaftigkeit zu fassen.
DR. H. W. KEIM.
MYNONA: DIE BANK DER SPÖTTER. Ein
Unroman. Kurf Wolff Verlag. Ebenso wie Wilhelm
Meister ist dieser Roman kein Roman im landläufi-
gen Sinne, und ebenso wie jenes Werk ist das dem
oberflächlichen Beobadifer so locker scheinende Ge-
füge durch eine tiefsinnige Idee zusammengehalfen,
deren Wirkungen in immer neuen Spiegelungen vor-
geführt werden. „Ein humoristischer Roman darf die
Selbstaufhebung aller Möglichkeit von Romanen be-
deuten," heißt es Seife 81, und in der Tat ist hier
nicht die h rage nadi Roman und Nichtroman: Das
Ganze ist das lanzen des Geistes über allem, was
zwischen liefsinn und Frediheit liegt.

Verstanden werden kann dies Budi nur, wenn man
begriffen hat, daß alle Werke Mynonas ein Korrelat
zu denen S. Friedlaenders sind, daß sie die abstrak-
ten Deduktionen dieser konkret „illustrieren" sollen. So
ist denn auch dieser Unroman das empirische Gegen-
stück von dem philosophischen Hauptwerk Friedlaenders
über die »Schöpferische Indifferenz« (G. Müller
Verlag). Auch hier ist das Thema die Goffwerdung des
Subjekts. Die verschiedenen Personagen des Romans
sind im Grunde anafomisierte Bestandteile einer einzigen
Person, die sich, dieser ihrer Einheit anfangs nicht be-
wußt, zu diesem Bewußtsein hindurchdringf; sich aus
vereinzelnder Verzettelung zur zentrierten Vereinigung
aller Kräfte und Fähigkeiten hinaufläutert unter Aus-
schaltung alles dessen, was ihr nicht selbsteigen, was
ihr wesensfremde Vereinigung ist. So wird die viel-
köpfige „Bank der Spötter" emporgerissen durch
das Wunder des Entschlusses nadi Entfernung aller
ungeeigneten Mitglieder zu der allmächtigen Person,
die diese Verkündung aussprechen darf: „Wißt",
rief es, als ob es nicht außer, sondern in ihnen
lauf würde, „wie die Erde ein Ausläufer der
Sonne ist, so ist jedes einzelne menschlich-irdische
Bewußtsein nur ein Ausläuferdien des sonnigen. Wer
sich dessen auch nur leise zu erinnern beginnt, hört
auf, Mensch zu sein. Indem ihr mir auf diesem Wege
zur Entmenschung, ob auch erst halb im Sdierze,
folget, verstehe idi es, den halben Sdierz zum ganzen
zu machen. Idr lasse unser menschliches Bewußtsein
sich in seinen sonnigen Ursprung zurückziehen: Von
dorther aber wird es desto energischer übermenschlich
wieder aufflammen, und ihr werdet, auf der Sonne
residierend, die Erde beherrschen. Die Sonne lacht.
Wer inne wird, daß er zuerst und ursprünglich auf
der Sonne lebt und erst von dorther auf Planeten —
wer dieses deutlich und unvergeßlich inne wird, der
gelangt zu einer höheren planefarischen Existenz, indem
er wie die Sonne ladren lernt. Von jeht an sollen
Mensch und Erde an unserem Lachen verbrennen, bis sie
es aushalfen! Schwingt eudi in euer Sonnen-Idr und
durchglühf mit eurer strahlenden Heiterkeit die Erde!
Laßt dem erbärmlichen Mensdren nur noch die Wahl
zwischen Erfrieren oder Verbrennen!"
Die Stationen dieser Forfschreifung zur Göttlichkeit
werden an grotesken Einzelheiten erläutert, ein Kalei-
doskop, das in immer neuen Wendungen, von denen
ich vor allem die tiefsinnige Erzählung »Gar nidifs«
nennen will, dieselbe Idee darstellt. Die kanfische Ba-
sis, die praktischen Folgerungen aus jener Philosophie
werden hier dem Verstand der Unverständigen un-
erbittlicher und klarer als mit allen Philosophiebüchern
eingeimpft, vor allem die welthistorische Bedeutung

527
 
Annotationen