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Heidelberger Zeitung (46) — 1904 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 203 (1. August 1904 - 31. August 1904)
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Erstes Blatt.

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Areitig, kö. Avß 1M.

Die „verächtlichste aller Parteien".

Dc Nun wissen die Na t i o n a I l i b e r a I e n doch,
ivas sie sind. Bebel Hat's ihnen in Amstebdam gesagt:
E>ie v e r ä ch t l i ch st e a 'ller Parteie n. Wie schreck-
iich für sie! Dä wird der nationalliberalen Partei wvhl
»ichts übrig bleiben, als sich hinzulegen und zu sterben,
^nn mit der Verachtung eines Bebel bshastet Zu leben,
'it unmbglich.

Doch Scherz bei Seite! Was aus der klotzigen Aeu-
^erung des sozialdemokratischen Papstes spricht, ist nichts
^nderes als die Wneigung, der Hatz des Kritikers
Und unfruchtbaren Raisonneurs gegen posi-
tive Ar'beit. Auch die Umstände, unter denen sie
liel, sind dafür bezeichnend. Bebel gebrauchte sie in der
^aktik-Debatte im, Kampf gegen die Revistonisten. Es
^ar sein höchster Trumpf in diesem Spiel, als er ihnen
^Nrief: Jhr werdet dvch nicht wetden, wie die National-
überalen!

Ja, ein schreckliches Schicksal droht der Sozial-
femokratie! Jmmer stärker bricht trotz Dresden und Am-
Iterdam der Wille in ihr durch, sich aus dem Wolken-
Euckucksheim der Phantasie auf die wirkliche Welt her°
dieder zu lassen, ihre Arbeit an die tatsächlichen Ver-
i>ältnisss anzuknüpfen und zunächst einmal mitzunehmen,
tvos erreichbar ist. Das ist ja ein AufgsbeN unseres
^riuzips, das ist ja der Bruch mit unseven heiligsten
tleberlieferungen, das ist ja verächtlich nastonalliberal!
ttift Bebel und der Chor der Uumündigeir aus den Hin-
terländern der Kultur, aus Serbien, Rumänien und
ivnstigen interessanten Staaten echot: Verächtlich, na-
tionwllrberal!

Wer, was hilft es! Mag auch die widersinnige Art

W'stimmung, die jeder Nation, ob klein ob groß, ob
tveik entwickelt, oder im ersten Entwicklungsstädium, die
Äeiche Stimmenzähl zugesteht, einen äußerlichen Sieg
Zebels bringen; das verdammte KomPromis -
! eIn mit der Wirklichkeit, ist damit nicht t o t-
TeschIag e n. Die Revistonisten sind vergnügt heim-
2ezogen und Hre Jdsen mit ihnen, und 'durch den sozial-
^mokratrschen Blätterwald, auch den deutschen, rauscht
i>eute vernehmlicher als je der Revisionswind.

Ja, wenn die 'Welt aus Wachs' wäre, daun tieße sie
!sch nach dem Wunsche des Herrn Bebsl kneten, allein sie
ih aus härterem Material, uNd der feurige Qdem des
ieidenschaftlichen Sozialistenführers vermag nicht, sie zu
ichmelzen. Herr Bebel bläst und bläst nun schon seit
Ehrzehnten; drei Millionen Wähler haben sich nach nnd
j>ach hinter ihn gsfftellt und helfm mit, allein der Er-
i°Ig? „Als ohnmächttg habt Jhr Euch erwiesen," sagt der
Ervnzösische 'Genosse Jaurbs, der idas heiße Bemühen von
lvnseits der Grenze beobachtet. Ein böser Schlag für die
i>euttche Sozial'demokratie, denn er traf ihren Kopf.

Herr Bebel, der so verächtlich! von den illationallibe-
^alen spricht, mag sich nicht täuschen: seine Partei ist auf
vem Wege zur nationalliberalen Taktik, die in WirkKch-
:stt die Taktik auch der an'dern Parteien ist, und er wird
iie nicht aufzuhalten im Stande sein. Die Kompromißchen
^erden sich einstellen, eines nach dem andem. Einige

Das religiöse Leben Heidelbergs von den

ersten Nachrichten bis zur GegenwarL.

Von Stadtvikar Dle. R. Wielandt.

4. Kurfürst Friedrich III.

Friedrich III. (1559—1576), ist üie charaktervollste
dersönttchkeit unter den evangelischen Fürsten der Pfalz.
^icht äie Streittgkeiten, die jüngst unter üen Cvangeli-
ichen setbst in Heidetberg ausgebrochen waren, machten
iim die Wahrheit besorgt, sondetn diese zu erkennen,
^ar shm eigenes heiligftes Bestreben. Unter anöerem be-
^egte auch ihn aufs lebhafteste die Frage, die damals
!>icht allein die Theolo-gen, sondern alle Gebildeten be-
ichäftigte, die Lehre, ob Ehristtrs leiblich, oder nur geisttg
Abendmahl gegenwärtig sei, die alte «treitfrage schon
Z^ischen Luther und den Schweizem. Friedrich war so
^iorgt um die rechte Lehre, !daß er eigens seinen Geheim-
Areiber Stephan Zirler nach Wittenberg schickte, um
^elanchthons Urteil darüber zu vernchmen.

Melanchthon gab eine vorsichtige Antwort. Der Kur-
^>rst freilich legte sie in reformierter Weise aus und
^Midte sich dänn vou nun an mit Entschiedenheit der
'^ichttmg Zwinglis und Calvins zu. Er veranstaltete
eiNe mehrtägige Disputation in einem philosophischen
'Zärsaal über die Wendmahlsstage. Dann mtschied er, daß
Frage nun genugsam untersucht sei uNd machte be-
s^unt, baß jeder Pfälzische Geistliche das Gutachten Me-
^chthons durch seine Unterschrist zu billigen habe. Wer
^ uicksi annahm, erhielt seine Entlassung. Diese harte
^oßrsgel traf cmch- vier Prediger Heidelbergs. Ferner

sind ja schon Vovausgegangen, so z. B. bei der Annahme
der Caprivi'schen Handelsverträge, die einen Zoll auf
Brotgetreide von 3.50 Mk. sestsetzten. Je mehr die so-
zialdemokratische Partei in die praktische Arbeit herein-
komrnen wird, je >mehr sie lernen wird, mit den tatjäch-
lichen Verhältnissen zu rechnen, desto öfter wird sie sich
vor die Frage gestellt sehen: „Etwas oder Garnichts" und
desto öster wird sie das Etwas dsm Garnichts vorziehen.
Es gibt nur zweierlei sür die Sozialdemokratie: Ent-
weder sie begnügt sich mit der Rolle des Trauer-
chors, der mit seinen ohnmächtigen Klagen die Vor-
gänge im Staatsleben begleitet — darauf läust Bebels
Taktik hinaus — oder, sie entschließt sich, selbst unter die
handelnden Perfonen zu treten, um frisch uud h e r z-
h a ft zuzugreifeu; dann mutz sie sich eben dahin
stellen, wo auch die übrigen Parteien stehen, einschließlich
der „verächtlichsten von allen", di-e es sich nur znr Ehre
anrechnen därf, von Bebel beschimpst zu werdm.

Em klerikaler Notschrei aus Oberschlesten.

Jn die Hymnen, mit denen sich nach der steten Ge-
wohnheit der Ka t h o l i k e n ta -g e die Herrschaften auf
dem Regeusburger Kongresse gegenseittg ansingen, klingt,
wie man der „Allg. Ztg." schreibt, schrill einNotschrei
aus Oberschlesien Herein, der die Ohnmacht des
Klerus gegenüber der Sozialdemokra-
t i e bekennt und damit 'der bis Zum Ueberdrusse gehörten
Behauptung, Zentrum und katholische Geistlichkeit seien
der sicherste Damm ge-gen die Sogialdemo-kratie, wider-
spricht. Diesev in der „Schlesischeu Volkszeitung" er-
schienene Notruf eines katholischen Geistlichen knüpfte an
eine in Waldenburg äbgehaltene Vevsamm-lung katho-
lischer Arbeiter an. Dort griff nach einem Vortrage des
katholischen Arbeitersekretärs Müller der sozialdemokra-
tische Abgeordnete Sachse in d'ie Diskussion ein, und als
Müller wiederum dem Sachs-e antwortete, wubde von den
jungen Leuten gejo'hlt und gepfifsen. Zu disssm Vor-
gang b-emerkt der Gewährsmann 'der „Schlesis-chen Volks-
zeitung" u. a.:

„So Ivcit urid noch schlimmer ist es ohne Zweifel in Ober-
schlesien, von dem man noch so gern sagt, es sei gut katholisch.
Die Sozialdemokraten haben im katholischen Oberschlesien schon
festen Futz gefatzt und einen ziemlichen Einflutz gewonnen . . .
Nun hat auch eine cncrgische Agitation seitens der polnischen
sozialistischen Partei unter dcn polnischen Arbeitern begonnen,
und sie arbeitet mit Cifer und Erfolg und macht sichtbare Fort-
schritte."

Des weiteren klagt der Einsender über die Mißachtung
der Geist'lichkeit und über die mangelnden Erfol-ge der
U'in die Gazeta Katolicka sich -gruppierenden Zentrrims-
po'Ien' bei den polnischen oberschlesischen Arbeitern.

Deutsches Reich.

Altengrabow, 25. August. Der K a i s e r, in
der Uniform der Leibhus-aren, stieg heute srüh 7 Uhr zu
Pferde und begrüßte Äe hier versammelten zehn Ka -
v a l l e r i e - R eg i me n t e r. Die Regimenter führten
zunächst, in zwei Teile geteilt, Angriffe gegeneinander
aus. Sodann übernahm der Kaiser das Kommando Wer

sorgte der Kurfürfft nun dafür, daß die ganze cheologische
Fakultät mit Anhängern -Calvins b-esetzt wurde, was ihm
freilich hier wie im Predigerstand nur durch ausschließliche
Berusung aus dem Auslande gelan-g. Ju streng refor-
mierter Art wurden voll-ends' alle Bilder aus d-en Kirchen
sortgeschafst. Di-e Wandgemälde mußten mit weißem
Kalk übertüncht werden. Jn 'der Heili'ggeistkirche stand
eine Bitdsäule am Grabmal des tapferen Philipp:
Sie wurde mit einem schwarzen Tuche überdeckt. Ja so-
-gar di-s Orgeln mußten vor diesem puritanischen Eifer
verstummen: Sie haben in der psälzischen Kirche bis zum
Jahre 1657 geschwiegen. Jn Sinsheim an der Elsen-z
erschien der Kuvfürst in eigener Person und ließ die Altär^
und Kirchengeräte der so prächtigen ehemaligen Benedik-
tinerabtei vernichten. Jm Abendmahl wurde statt der
Hosiienoblate das Brot, statt des Kelches ein gewöhnlicher
Beckier, statt des Altars der Ti-sch- -eingeführt und der
Taufftein entfernt: So einfach und dem ersten biblischen
Christentum so ähnlich wie möglich sollte das evan-
gelische Volk nach Friedrichs Willen von nun an Göttes-
dienst halten. Der Kursürst befestigte sein Werk weiter
durch eiu hochbedeutsames Büchlein, das er 1563 ausgab.
Er hatte es durch den Heidelbevger Professor Za-charias
Ursmus und seinen Hofprediger Caspar Olevianus. aus-
arbeiten lassen. Es war dev „Heidelberger Katechismus".
jenes Michlein, au Umfang kaum grötzer als der kleine
Katechismus' Luthers, mit 129 Fragen, das nachmals in
allen deutschen resormierten Kirchen, in Holland- un-d den
von hier ausgegangenen amerikamschen Kirchen öffentlich
angenommen, in den anderen reforntterten Gebieten

die ganze Kavallerie-Dchision und kommandierte einen
zweimaligen Angriff gegen einen markchrten Feiüd,
welchen der Generaladjutant Generalleutnant v. Scholl
befehligte. Dabei wurde die Kavallerie-Divffion von den
reitenden Wteilungen des ersten und dritten Garde-
Feldarttllerie-Regiments und d-er Gavde-Maschinen-
gewehrabteilung begleitet. Der Kaiser nahm nach be-
endeter Uebung den Vorbeimars-ch der Regimenter ab und
nahm dann am- Frühstück im Osfiziers'kasino teil.

Baden.

— Nach Erknndigungen bei einer Stelle, die für
unterrichtet gchalten wird, ist die „Bad. Presse" in der
Lage, mitzuteilen, daß die gestrige Nachricht von einem
b e v o rst e h e n d e n Wechsel im Staatsmini-
sterium nicht zutreffend ist.

Hcffen.

Offenbach, 25. August. Gestern traf hier eine
Versügung des Grohherzoglichen Ministeriums ein, die
dem Reichstagsabgeordneten Engelbert Perners-
torsfer aus Wien üntersagt, in der anf nächsten
Sonntag in den Saalbau in Ofsenbach ein-berufenen
Versammlung zu sprechen, oder aiuch nur zu erscheinen.
Begründet wird das Verbot einmal mit dem demonstra-
tiveü Austreten in der Versamnttung in Frankfurt, wo er
trotz des p-oliz-eilichen Verbots das Wort ergriff, dann
mit dem Hinweis auf den „offenen Brief an den Reichs-
kanzler", der als Verhöhnnng aufzufassen sei.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog habew
dem Grotzh. Bezirksarzt Dr. Georg Eberle in Eberbach die
Bczirksarztstelle II in Karlsruhe (Karlsruhc-Land) über-
tragen.

— Buchhalter Hans Horchler bei der Evang. Pflege
Schönau in Heidelberg wurde behufs einstweiler Vcrsehung
einer Revidentenstelle zur Rebision des Evang. Oberkirchenrats
und Buchhalter Friedrich Hummel bei der Evang. Stift-
schaffnei Mosbach in glcicher Eigenschaft zur Evang. Pflege
Schönau in Heidclberg versetzt.

Aus Stadt und Land.

Heidelberg, 26. August.

Zur Schloßbaufrage. Was die grohe Hitzc der vergangenerr
Wochen in manchen Köpfen nicht erreicht hat, das scheint unscre
Schlohbaufrage fertig gebracht zu haben. Durch die Blätter
geht mit entsprechcnden Fragezeichen folgende Notiz: Bei den
Festlichkeiten in Kiel soll sich der Kaiser an einen süddeutschcn
Gelehrten mit den Worten gewandt haben: „Na, das Heidel-
berger Schloh wird also gebaut?" — „Weih nichts davon,
Majestätl" — „Na, cs kommt aberl" Und ging plaudernd
weiter.

— Ermittelung. Am 17. Juli d. I., abends zwischen 10 und-
11 Uhr, wurde einem bis jetzt noch unbekannten Manne im
Eisenbahnzuge zwischen Jagstfeld und Rcckarclz der Mittelfinger
von einem unbekannten Täter durchgebissen; der Verletzte ist
auf der Station Heidelbcrg ausgestiegen. Es ergeht an ihn
sowie an etwaige andere Beteiligte, die zweckdienliche Angaben
machen können, dic Aufforderung, sich auf dem Bureau der
Kriminalpolizei Heidelberg einzusinden, um dort nähere An-
gaben über den Vorfall zu machen.

-p Kaminbrand. Einer Köchin in der Leopoldstratze stürzte
gestcrn auf dem Herd einc Pfanne mit Fett um, dieses geriet
in Brand und die hoch emporlodernden Flammen verursachten

wenigftens außeror-dentlich viel -gebvaucht worden ist unü
das in retner, schöner und srommer, wenn auch etwas
theolo-gischer Form die Anschauun-gj der reformierten
Ktr-che treulich wiedergtbt. Schon im gteichen Jahr 1563.
wurde er dreimal neu aiffgelegt.

So bekam unsere Pfalz ein bestimmt reformierteK
Gepräge.

Schwerlich wären dem Kurfürsten alle diese Aende-
rungen, die er von sich aus verordnete, gelungen, wäre
er nicht um seiner Persönlichen- Eigenschaften willen so
hoch geachtet und beliebt gewesen. Aber so selbständi-g, so
rücksichtslos, ja -gewaltsam selbst gegenüber pischtsan-
sprüchen und Verträgen er verfuhr, so scharf und verletzenid
z. B. auch die 80. Frage (über dte Messe) war, die au-f
ausdrücklichen Befehl Friedrichs' in den Katechismüs
aufgenommen wurde, (die Messe sei eine VerleugnunT des
einigen Opfers und Leidens Jesn Christi und eine ver-
maledeite Wgötterei), so achtun-gswert erschien seinen
llntertanen wie den anderen Fürsten seine persönliche
Frömmigkeit un'd das Verantwortungsgefühl, das ihn
beseelte. Frisdrich hielt die Einführunig einer rechteu
Reli'gionsunterweisung für eins „'der vornchmsten Stücke
seines Regiments." Er selbst schrieb eine Vorrede zu
seinem Katechismus und än-derte an ihm 'bei jsder neuen
Auflage. Mit Herzo-g -Christoph' von Württemberg
hatte er einmal im Äpril 1564 ein langes Religious-
gespräch in Maulbronn. Am dritten Tage waren sie noch
ebenso weit von einander wie am Anfange. Wer Fried-
rich sagte: „Mich schläsert dennoch nicht dabei; denn ich
bin darnm 'hier, daß ich wolle lernen, und will Isrnen
 
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