1
KM,. 1!. LeMtt M.
Erstes Blatt.
Erscheint täglich, SonntagS auSgenomuien. PreiS mit Familienblättern monatlich 56 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt 46 Pfg. Durch die ip»ft
bezogen vierteljährlich 1,Sb Mk. auSschließlich Zustellgebühr.
»nzeigenpreis: 26 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile od« dere» Raum. Reklamezeile 46 Pfg. Für htefige GeschäftS- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die «ufnahme von Anzeig«
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Pla kattafeln der Heidelberger Zeitung Md den städtischen Anschlagstcllen. Fernsprecher 82.
1
Das Programm des neuen russischen
Ministers des Jnnern.
Der Berichterstatter des „Echo de Paris" hatte mit
dem neuermannten Minrster des Jnnern Fürsten S w i-
atopolk-Mirski eine Unterredung. worin der
Minister auf die Frage, ob fein Amtsantritt große Ver-
änderungen in der innern Politik bedeuten würde. er-
widerte. daß das nicht der 'Fall sein werde. Er werde
sich angelegen sein lasfen. das in dem Manifest Niko-
laus II. vom Februar 1902 gekennzeichnete Programm
zu verfolgen. Mit einem Hinweis auf die dort gekenn-
zeichneten Grundlagen ert'Iärte er. er wetde sich bemühen,
irn Sinne eines wahren und weitsinnigen
Liberalismus zu handeln, soweit dieser nicht ge-
eignet sei, die bdstehende Ordnung der Dinge zu stören.
Cr sei ein entschiedener Anhänger der Dezentra-
liiierung und meine, daß nicht alle Fragen in Pe-
tersburg entschieden werden könnten. Den Provinzial-
vnd Gemeindeversaminlungen müsse möglichste
Vo11macht gegeben werden, die sie angchenden Ange-
legenheiten der Schule, des Strahenlbaues, der Verpro-
viantierung u. a. s elbst M regeln. Unsere innere
Lage, sagte der Jürst, ist, ohne außergewöhnlich ernst zu
sein, doch verworren; weshälb sollte ich es leugnen? Aber
durch eine gute Einrichtung der Semstwos werden wir
die Schäden des Parlamentarismus vermeiden, die in
Frankreich so affen zutage liegen. Für den Parlamen--
tarismus ist Rußland nicht reif. Was die ReIigion
ongeht, so bin ich ein Feind der religiösen Verfolgungen
And Anhänger der größtmöglchen Gewissensfreiheit, aber
unter gewissen Vorbehalten. Jch werde, unsern besten
Fortschritten folgend, fortfahren, den verschiedenen Kon-
sessionen ein friedliches Nebeneinanderleben zu verbür-
äen. Jch Lin kein Feind der Iuden, aber wenn wir rhnen
dieselbe Freiheit geben wollten, wie den Orchodoren, wür-
den sie fchnell eine grohe Rolle spielen. Jch bin ent-
schlossen, ihnen gegenüber Wohlwolliend zu verfahren und
ihre Lage zu verbessern. Mit Güte werden wir zu den
dninschenswerten Ergebnissen gelangen. Der Fürst er-
Eiärte, daß ihw keineswegs ein besonderer Mut dazu zu
Sehören scheine, den Posten als Minister des Jnnern an-
Wnehmen. Je gefährlicher es sei, desto mehr reize es
chn, ihn- anzunehmen, um im Maße des Möglichen die
^ründe der Unzufriedenheit zu verringern, welche die be-
^onnten Verbrechen hervorgerNfen hätten. Wir find ge-
Swungen, fagte der Fürst, uns gegen die Terroristen zu
derteidigen, aber persönlich neige ich dozu, keine über-
Eriebene Strenge gegen die Jü-gend an den Tag zu legen,
deren Verwirrungen so häuftg die Reue folgt. Der Mi-
chster erklärte, dem Fortschritt dienen und nament-
uch iw Einverständnis mit dem Kultuswinifter die
^chulenvermehren zu wollen. Ueber den Krieg
uußerte der Fürst: es ist möglich, daß er nicht volkstüm-
^ch ist, aber die öfsentliche Meinung würde noch unzu-
fNedtzner sein, wenn man jetzt, wo der Becher eingeschenkt
w, ihn nicht bis zur Neige leeren würde. Wir müssen
nanldhaitxn.
Die Worte des Minifters klingen sehr vernünftig;
wenn ihnen die Taten entsprechen, dann kann Rußland
sich zu dem neuen Minister des Jnnern beglückwünschen.
Diese Taten wird man aber vorfichtigerweise doch ab-
warten müssen, ehe man sich weitergehenden Hoffnungen
hingibt, denn gerade in Rußland gehen Worte und Taten
oft sehr weit auseinander.
Deutsches Reich.
Baden.
— Zu den programmatischen Ausführungen, die in letz-
ter Zeit im „Heidelberger Tageblatt" erschienen sind, be-
merkt der klerik. „Beobachter" beifällig: Jm Grunde genom-
men ist das, was das „Heidelberger Tageblatt" von den
Nationalliberalen verlangt, die Politik des Zen-
trums. Daß sie zum Durchbruch kommt, dafür werden
wir sorgen.
Karlsruhe, 12. Sept. Das hewe ausgegebene
„Gesetzes- unö Verordnungsblatt" veröffentlicht drei
Gesetze: Den gewerblichen und kaufmännischen Fort-
bildungsunterricht betr.; die Abändernng des Polizei-
strafgesetzbuchs betr. (sog. Kurpfufchergesetz), ferner die
Sicheruug der Ansprüche der Gömeinden auf Grurtd des
Ortsstraßengesetzes Letreffeüd, feruer zwei Landes-
herrliche Verordnungen: den Vollzug des Reichs-
gefetzes über die Kaufmaunsgerichte betr.; den Vollzug
Ler Gewerbeordnung in deu Staatsbetrieben betr.
Karlsruhe, 12. Sept. Bei der Gratulations-
kour aufs der Mginau entbot Lanideskommissär Dr.
Krems dem hohen Geburtstagskind die Glllck- und
Segenswünfche, von denen heute jeder erfüllt ist. Jn vol-
lendeter Form- hob der Redner >dann die großen und
vielen Wohltaten hervor, welche der Großherzog in väter-
licher Milde dem VolLe in fo reichem Maße zukommen
lasse. Der wichtigften eine wurde deM in jüngster
Zeit zuteil: Die Gewährung des direkten
Wahlrechts, trotz der großen Bedenken, die
demfelben entgegenstanden. Der Großherzog bewies
damit aufs ueue das große Vertvauen, welches er zum
Volke habe, letzteres wetde sich dessen aber auch würdig
erweifen. Der Großherzog, der sich einer bewundenrs-
werten Frische erfreut, dankte laut „K. N." für die Uöber-
mittelung der Glückwünfche herzlichst und betonte, daß
er das, was er dem Volke gebe, als treue Pflichter -
füIlung seines Amtes auffasse. Sein Vertrauen
z u m V o lk e st e h e f e st und deshalb habe er ihm auch
die direkte Wahl gegeben. Er hoffe, daß alle staatserhal-
tenden Elemente fest zufammenstehen. Der Blick nach
Oben dürfe dabei nicht fehlen. (Zu den Anwesenden):
„Verbreiten Sie das iu Fhreu Kreifen!"
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit dcr Grotzherzog habcn
Lem Amtsgcrichtsdiencr Lcopold Hofheinz in Wiesloch die
kleinc goldenc Vcrdienstmedaille und dcm Hospianten Kornelius
Rübncr in Karlsruhe das Ritterkreuz 1. Klasse mit Eichen-
laub des Ordcns vom Zähringcr Löwen verliehen.
— Dcm Gewerbeschulkanüidaten Leopold Neu an üer Ge-
werbeschule iu Mannheim wurdc dic etatmähige Amtsstclle eines
Gcwerbelehrers an der Gewerbeschule in Offenburg übertragen.
— Der Vermessungsassistent Adolf Boos in Sinsheim
wurde zum Bezirksgeometer in Bruchfal versetzt.
— Die Vcrsetzung des Steuerkommissärs Jofef Gramlich
in Neckargemünd nach Karlsruhe zur Versehung einer Reviso-
renstelle bei dcr Katasterkontrolle wurde zurückgenommen unb
dem Steucrkommissär Karl Guckenhan in Staufen an Stelle
des Steuerkommissärdienstes Neckargemünd jener für den Be-
zirk Donaueschingen, sowie dem Stcuerkommissär Adam Hof -
mann in Donaueschingen der Steuerkommissärdienst Müllheim
übertragcn.
Kvrlsruhe, 12. Sept. Der Gvoßherzvg unb
bie Großherzogin von Sachfen haben nrit der Prinzessin
Reuß gestern früh Schloß Mainau verlafsen, um die
Heimreife anzutreten. MesÄben wurden von der Grotz-
herzogin und den Erbgroßherzoglichen Herrschaften mit
Wagen nach Konstanz geleitet und reisten dort um 9 Uhr
16 Minuten ab. Die Erbgroßherzogin reiste heute früh„
von dem Erbgroßherzog bis Konstanz. geleitet, nach Schloß.
Hohenburg zum Befuch Höchftihrer Eltern.
Ausland.
Fraukreich,
Paris, 12. Sept. Der letzte der durch die neue
Gefetzgeiung aufgelöften Mönchsorden, der
ber Barnabtten, der bisher burch Prozesse und allerhariL
Manöver den Be'hörden bei der Durchfühung bes Ge--
fetzes erfolgreichen Widerstanb entgegengesetzt hakte,
wurde heute Viorgen aus feinem Kloster in der Rue Le
Gendre a u s g e t r i e b e n, wobei die Polizei außevge-
wöhnliche Mtiel aufbieten mußte, um zum Ziele zu ge-
langen. Gegeu 5 Uhr morgens nahwen 150 Schutzleute,
20 Feuerwehrleme unb eine Abteilung Garbe äuf der
Stratze vor dem Kloster Aufftellung, da die Brüder sich
weigerten, der Nuffotöerung des Kommistars, das Klo-
ster zu räumen, Folge zu leisten und erklärten, nur der
Gewalt zu weicheu; da ferner fämtliche Türen und Fen--
fter des Gebäudes verrammelt waren, wurde nach drei-
Mal wiederholtem Ersuchen des Kommissars die Feftung
rsgelrecht gestürmt. Man legte Leitern an uttd drang
mst Gewalt ein. Die Brüder hatten fich nach der Krypta
t^r Kapelle geflüchtet. Nur einer, utngeben von Mitglie-
dern des katholtschen Jugendbundes und anderen kleri-
kalen Gönnern der Mönche, leistete der bAvaffneten Ge-
walt Widerftand nnd las den Schutzleuten eine gchar-
nischte Einsprnchsnote vor. Die Polizei durchfuchte das
Haus, wobei sie genötigt war, die verratnmelten Türen
zu spreugen und führte alle Barnvbiten. hinaus. Dort
versnchten die zahlrdich anwefenden Freunde der Ausge-
wiesenen abermals die Aufgabe der Polizei zu vereitel-n.,
Ein junger Mann, dev die Kette der Schutzleute lärinend-
zu 'durchbrechen suchte, um andere Mitglieder feines klevi-
kalen Vereins zur Uuterftützung 'herbeizuholen, wurde
vechaftet. Schließlich wuvde das Kloster polizeilich ge-
schlossen.
Zum Gustav-Adolf-Fest.
Aneidoten aus der Sammeltätigkeit dcs Gustav-Adolf-Bereins^
Heute plaudern wir ctwas von dcu Gaben, die der Vercirr
cmpfangen hat, von kleinen und von grotzen, und von viel An-
hänglichkeit, die aus ihnen spricht. Wir beginnen mit den
Caroline von Günderode.
Von Selma Wolff-Jaffe, Mannheim.
„So lernt erst lieben." Nietzsche.
„Das Jetzt nnd Ehemals, o meine
Freundc, das ist mein Unerträglich-
stes und ich wützte nicht zu leben,
wenn ich nicht ein Seher und Ver-
kündiger desscn wärc, was kornmen
q, , mntz." Nictzsche.
cin Jahrhundert ist verflossen, seitdem man dem
Utsfräulcin Caroline von Günderode an der Kirchhofs-
'^an Selbstmördcr begräbt, in Winkel am Rhein
Ruhe gönntc, die sic im Lcbcn vergeblich gesucht hattc.
in ^ Jahrc alt, hattc fie sich, wie eine Heldin, den Dvlch
m oas von Gram und Enttäuschung znckendc Herz gesenkt.
»iPegenwärtigt man sich die Veranlassung dieser heroischen
me das Schlutzkapitel eines Licbe- und Ehekonfliktes lnl-
so mutz man sich zugleich in eine Zeit hincinversctzen, in
dst w seelische Revolution dcr Frau bcgann. War cs doch
^^.-uomantik, welche in der Persönlichkeitsauffassung der Frau
Alltä fchuf, der sie weit über die beengende Sphäre der
crbob, sic zur geistigcn Gefährtin des Mannes
und ohne Rücksicht auf bestehende Verhältnstse emen
und schriftlichcn Vcrkehr der Geschlechter ver-
brät« 5' das geistige und politische Leben jencr Zeit re-
Gellm ^ Für die Fraucnbildung und das Verständnis der
Pbzueinander warcn schon lange vorher franzosstche
trct^ und Dichter, wie Rousseau und Moliere, emge-
Svwi auch aus ihrcn Bestrcbungen äfters cin lester
teit dic Uebertreibung des Vcrlangens nach Gelehrsam-
s°lgenden "^^^raus, so zeigten aber auch Fragcn wie die
zweü-i' °?utlich den Srnst, niit welchem man die Verbmdung
teriim/s "'chru durch die Ehc einer Kritik unterzog. Charak-
bei folgende Fragc MoliLrcs: „Wie mutz der Mann
^ugcm>^Ul sciner Frau zu Werke qehen? Darf Alter sich mit -
^irier Frau zu Werke gehen? Darf Alter sich mit
paaren? Darf Ernst und Griesgrämigkeit fich mit
Fröhlichkeit und Leichstinn verbinden?" Zum ersten Male wird
die Verpflichtung des Menschen, ehe er eine Ehe eingeht, genau
zu prüfen, allerdings nur als Vorrecht des Mrnnes, gefordert.
Schillers mahnende Worte: „Drum prüfe, lver fich ewig bindet,
ob fich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die
Rcu ist lang", klingcn fast wie eine in poetische Form gegoffene
Fortsetzung fcines französischen Vorgängers, doch bekunden die-
selben in ihrer allgemeinen Faffung schon die Anerkennung
eines Rcchtcs freicr Selbstbestimmung in der Liebe und Ehe
für Mann und Frau. Eine neue Welt des Fühlens und Ken-
kens brachte Goethes Auftreten in Deutschland, nicht nur in
die Literatur, sondern auch in den geselligen Ton desselben.
Seine Fordcrung, nach dcr cr auch seine Lebcnsführung ge-
staltetc „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst" begeisterte
hauptsächlich die Frauen, die bcgünftigt üurch eine Lebens-
weise, in welcher die praktische Tätigkeit kaum Raum fand, und
die als Herrscherin die Phantafic über den Verstand erhob, sie
oft in Vcrhältniffe hineinrih, die ihnen zum Verhängnis wer-
den muhten.
Ein Geist der Auflehnung gcgcn die Satzungen der konvcn-
tioncllen Moral, in den Angelegenheitcn !>er Liebe und Ehe
kam wie ein Rausch übcr die vornehmsten Vertreterinncn der
romantischen Periode, sie strcbten heraus aus der Abschliehung,
in der sie bis üahin gclebt und stürzten sich in ein Meer der
Empfindung und Empfindsamkeit, deffcn Wellen sie vcrschlingen
mutzten.
Caroline von Günderode zerschellte in diesem Kampfe einer
Epochc, die den Anfang einer Zeit bilden sollte, die die Menschen
vom ungewissen Jenseits auf die Eroberung dcs Diesseits hin-
weisen sollte; und an welche die moderncn Frauen in der Er-
kenntnis der lcbenden Wesen und ihrer auf naturwissenschaft-
licher Grundlagc sich aufbauenden Entwickelung anknüpfen und
als Aufgabe unserer Zeit die Stcigerung -es Gefühlslebcn und
als Gesctz „die Stimme der eigenen Brust" bctrachtend, ncue
-sittlichkcitsideale aufstellen.
Mit Karoline von Günderode ging nicht nur ein bcachtens-
wertes dichterisches Talent zugrunde, das Rouffeausche Natur-
religion als Mittcl durch die Seele allcs Schöne in der Schöp-
fung zu gcniehen in ihren lhrischen und dramatischen Werken
aussprach, ein reiches innerliches Frauenleben wurde grausam
zerstört, dessen Persönlichkeitsbewuhtsein mutig um cin pEr-
sönliches Glück rang. Als ältestc Tochtcr des 1186 verstor-
benen badischen Kammerherrn und Hofrats Freiherrn Wilhelm
von Günderode zu Karlsruhe wurde Caroline am 11. Februar
1780 geboren. Nach dem Tode ihres Vaters verlebte sie mit
ihrer "Mutter und fünf Geschwistcrn ihre erste Jugcndzeit in
Hanau. 18 Jahre alt, wurde sie in das evangclische Kapitel
von Kronstatt zu Frankfurt a. M. als Stiftsdame aufgenom-
men, wo ihre dichterischen Anlagen zu höherer Ausbildung ge-
langten. Sie schrieb Gedichte und Dramen unter dem Pseu-
donhm „Tian", doch gelangten die letzteren niemals zur Auf-
führung. Eincs ihrer fchönsten Gedichte, in welchem sie die
Bitte auf Anerkennung der Judividualität ausspricht und zu
dem Bewutztsein gelangt, datz der Mensch auch nur cin Teil dcs
Universums sei, das scheinbar immer dieselbe Form zeigt, aber
doch im ewigen Wechsel besteht, lautct:
„Drum laht mich, wie mich der Momcnt geborcn,
Die Sterne wandeln ihren festen Stand,
Der Bach enteilt der Ouelle, kehrt nicht wieder,
Der Strom des Lebcns woget auf und nieder
Und reihet mich in seinen Wirbeln fort;
Sieh alles Lebenl es ist kein Bestehen,
Es ist cin cwges Wandern, Kommcn, Gehen,
Lebend'ger Wandel, buntes reges Streben,
O Stroml in dich ergietzt sich all mein Leben
Dir stürz' ich zu, vergesfe Land und Port."
Jm Jahre 1804 sah Carolinc von Günderode zum ersten
Male Profeffor Crcuzcr auf dcm grohen Altan des Schloffes in
Heidelberg, wo sie fich zum Besuch aufhielt. Als Lehrer der
Kiuder des verstorbenen Profeffors Leskc hatte Creuzer deffen
Witwe, obgleich fie dreizehn Jahrc älter als er war, geheiratet.
Bald cntspann sich zwischen der „Pocsie", wie Creuzer die Gün-
derode nannte, und ihm ein leidenschaftlichcs Verhältnis, das,
als Caroline nach Frankfurt zurückgckehrt, in einem lebhaften
KM,. 1!. LeMtt M.
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an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Pla kattafeln der Heidelberger Zeitung Md den städtischen Anschlagstcllen. Fernsprecher 82.
1
Das Programm des neuen russischen
Ministers des Jnnern.
Der Berichterstatter des „Echo de Paris" hatte mit
dem neuermannten Minrster des Jnnern Fürsten S w i-
atopolk-Mirski eine Unterredung. worin der
Minister auf die Frage, ob fein Amtsantritt große Ver-
änderungen in der innern Politik bedeuten würde. er-
widerte. daß das nicht der 'Fall sein werde. Er werde
sich angelegen sein lasfen. das in dem Manifest Niko-
laus II. vom Februar 1902 gekennzeichnete Programm
zu verfolgen. Mit einem Hinweis auf die dort gekenn-
zeichneten Grundlagen ert'Iärte er. er wetde sich bemühen,
irn Sinne eines wahren und weitsinnigen
Liberalismus zu handeln, soweit dieser nicht ge-
eignet sei, die bdstehende Ordnung der Dinge zu stören.
Cr sei ein entschiedener Anhänger der Dezentra-
liiierung und meine, daß nicht alle Fragen in Pe-
tersburg entschieden werden könnten. Den Provinzial-
vnd Gemeindeversaminlungen müsse möglichste
Vo11macht gegeben werden, die sie angchenden Ange-
legenheiten der Schule, des Strahenlbaues, der Verpro-
viantierung u. a. s elbst M regeln. Unsere innere
Lage, sagte der Jürst, ist, ohne außergewöhnlich ernst zu
sein, doch verworren; weshälb sollte ich es leugnen? Aber
durch eine gute Einrichtung der Semstwos werden wir
die Schäden des Parlamentarismus vermeiden, die in
Frankreich so affen zutage liegen. Für den Parlamen--
tarismus ist Rußland nicht reif. Was die ReIigion
ongeht, so bin ich ein Feind der religiösen Verfolgungen
And Anhänger der größtmöglchen Gewissensfreiheit, aber
unter gewissen Vorbehalten. Jch werde, unsern besten
Fortschritten folgend, fortfahren, den verschiedenen Kon-
sessionen ein friedliches Nebeneinanderleben zu verbür-
äen. Jch Lin kein Feind der Iuden, aber wenn wir rhnen
dieselbe Freiheit geben wollten, wie den Orchodoren, wür-
den sie fchnell eine grohe Rolle spielen. Jch bin ent-
schlossen, ihnen gegenüber Wohlwolliend zu verfahren und
ihre Lage zu verbessern. Mit Güte werden wir zu den
dninschenswerten Ergebnissen gelangen. Der Fürst er-
Eiärte, daß ihw keineswegs ein besonderer Mut dazu zu
Sehören scheine, den Posten als Minister des Jnnern an-
Wnehmen. Je gefährlicher es sei, desto mehr reize es
chn, ihn- anzunehmen, um im Maße des Möglichen die
^ründe der Unzufriedenheit zu verringern, welche die be-
^onnten Verbrechen hervorgerNfen hätten. Wir find ge-
Swungen, fagte der Fürst, uns gegen die Terroristen zu
derteidigen, aber persönlich neige ich dozu, keine über-
Eriebene Strenge gegen die Jü-gend an den Tag zu legen,
deren Verwirrungen so häuftg die Reue folgt. Der Mi-
chster erklärte, dem Fortschritt dienen und nament-
uch iw Einverständnis mit dem Kultuswinifter die
^chulenvermehren zu wollen. Ueber den Krieg
uußerte der Fürst: es ist möglich, daß er nicht volkstüm-
^ch ist, aber die öfsentliche Meinung würde noch unzu-
fNedtzner sein, wenn man jetzt, wo der Becher eingeschenkt
w, ihn nicht bis zur Neige leeren würde. Wir müssen
nanldhaitxn.
Die Worte des Minifters klingen sehr vernünftig;
wenn ihnen die Taten entsprechen, dann kann Rußland
sich zu dem neuen Minister des Jnnern beglückwünschen.
Diese Taten wird man aber vorfichtigerweise doch ab-
warten müssen, ehe man sich weitergehenden Hoffnungen
hingibt, denn gerade in Rußland gehen Worte und Taten
oft sehr weit auseinander.
Deutsches Reich.
Baden.
— Zu den programmatischen Ausführungen, die in letz-
ter Zeit im „Heidelberger Tageblatt" erschienen sind, be-
merkt der klerik. „Beobachter" beifällig: Jm Grunde genom-
men ist das, was das „Heidelberger Tageblatt" von den
Nationalliberalen verlangt, die Politik des Zen-
trums. Daß sie zum Durchbruch kommt, dafür werden
wir sorgen.
Karlsruhe, 12. Sept. Das hewe ausgegebene
„Gesetzes- unö Verordnungsblatt" veröffentlicht drei
Gesetze: Den gewerblichen und kaufmännischen Fort-
bildungsunterricht betr.; die Abändernng des Polizei-
strafgesetzbuchs betr. (sog. Kurpfufchergesetz), ferner die
Sicheruug der Ansprüche der Gömeinden auf Grurtd des
Ortsstraßengesetzes Letreffeüd, feruer zwei Landes-
herrliche Verordnungen: den Vollzug des Reichs-
gefetzes über die Kaufmaunsgerichte betr.; den Vollzug
Ler Gewerbeordnung in deu Staatsbetrieben betr.
Karlsruhe, 12. Sept. Bei der Gratulations-
kour aufs der Mginau entbot Lanideskommissär Dr.
Krems dem hohen Geburtstagskind die Glllck- und
Segenswünfche, von denen heute jeder erfüllt ist. Jn vol-
lendeter Form- hob der Redner >dann die großen und
vielen Wohltaten hervor, welche der Großherzog in väter-
licher Milde dem VolLe in fo reichem Maße zukommen
lasse. Der wichtigften eine wurde deM in jüngster
Zeit zuteil: Die Gewährung des direkten
Wahlrechts, trotz der großen Bedenken, die
demfelben entgegenstanden. Der Großherzog bewies
damit aufs ueue das große Vertvauen, welches er zum
Volke habe, letzteres wetde sich dessen aber auch würdig
erweifen. Der Großherzog, der sich einer bewundenrs-
werten Frische erfreut, dankte laut „K. N." für die Uöber-
mittelung der Glückwünfche herzlichst und betonte, daß
er das, was er dem Volke gebe, als treue Pflichter -
füIlung seines Amtes auffasse. Sein Vertrauen
z u m V o lk e st e h e f e st und deshalb habe er ihm auch
die direkte Wahl gegeben. Er hoffe, daß alle staatserhal-
tenden Elemente fest zufammenstehen. Der Blick nach
Oben dürfe dabei nicht fehlen. (Zu den Anwesenden):
„Verbreiten Sie das iu Fhreu Kreifen!"
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit dcr Grotzherzog habcn
Lem Amtsgcrichtsdiencr Lcopold Hofheinz in Wiesloch die
kleinc goldenc Vcrdienstmedaille und dcm Hospianten Kornelius
Rübncr in Karlsruhe das Ritterkreuz 1. Klasse mit Eichen-
laub des Ordcns vom Zähringcr Löwen verliehen.
— Dcm Gewerbeschulkanüidaten Leopold Neu an üer Ge-
werbeschule iu Mannheim wurdc dic etatmähige Amtsstclle eines
Gcwerbelehrers an der Gewerbeschule in Offenburg übertragen.
— Der Vermessungsassistent Adolf Boos in Sinsheim
wurde zum Bezirksgeometer in Bruchfal versetzt.
— Die Vcrsetzung des Steuerkommissärs Jofef Gramlich
in Neckargemünd nach Karlsruhe zur Versehung einer Reviso-
renstelle bei dcr Katasterkontrolle wurde zurückgenommen unb
dem Steucrkommissär Karl Guckenhan in Staufen an Stelle
des Steuerkommissärdienstes Neckargemünd jener für den Be-
zirk Donaueschingen, sowie dem Stcuerkommissär Adam Hof -
mann in Donaueschingen der Steuerkommissärdienst Müllheim
übertragcn.
Kvrlsruhe, 12. Sept. Der Gvoßherzvg unb
bie Großherzogin von Sachfen haben nrit der Prinzessin
Reuß gestern früh Schloß Mainau verlafsen, um die
Heimreife anzutreten. MesÄben wurden von der Grotz-
herzogin und den Erbgroßherzoglichen Herrschaften mit
Wagen nach Konstanz geleitet und reisten dort um 9 Uhr
16 Minuten ab. Die Erbgroßherzogin reiste heute früh„
von dem Erbgroßherzog bis Konstanz. geleitet, nach Schloß.
Hohenburg zum Befuch Höchftihrer Eltern.
Ausland.
Fraukreich,
Paris, 12. Sept. Der letzte der durch die neue
Gefetzgeiung aufgelöften Mönchsorden, der
ber Barnabtten, der bisher burch Prozesse und allerhariL
Manöver den Be'hörden bei der Durchfühung bes Ge--
fetzes erfolgreichen Widerstanb entgegengesetzt hakte,
wurde heute Viorgen aus feinem Kloster in der Rue Le
Gendre a u s g e t r i e b e n, wobei die Polizei außevge-
wöhnliche Mtiel aufbieten mußte, um zum Ziele zu ge-
langen. Gegeu 5 Uhr morgens nahwen 150 Schutzleute,
20 Feuerwehrleme unb eine Abteilung Garbe äuf der
Stratze vor dem Kloster Aufftellung, da die Brüder sich
weigerten, der Nuffotöerung des Kommistars, das Klo-
ster zu räumen, Folge zu leisten und erklärten, nur der
Gewalt zu weicheu; da ferner fämtliche Türen und Fen--
fter des Gebäudes verrammelt waren, wurde nach drei-
Mal wiederholtem Ersuchen des Kommissars die Feftung
rsgelrecht gestürmt. Man legte Leitern an uttd drang
mst Gewalt ein. Die Brüder hatten fich nach der Krypta
t^r Kapelle geflüchtet. Nur einer, utngeben von Mitglie-
dern des katholtschen Jugendbundes und anderen kleri-
kalen Gönnern der Mönche, leistete der bAvaffneten Ge-
walt Widerftand nnd las den Schutzleuten eine gchar-
nischte Einsprnchsnote vor. Die Polizei durchfuchte das
Haus, wobei sie genötigt war, die verratnmelten Türen
zu spreugen und führte alle Barnvbiten. hinaus. Dort
versnchten die zahlrdich anwefenden Freunde der Ausge-
wiesenen abermals die Aufgabe der Polizei zu vereitel-n.,
Ein junger Mann, dev die Kette der Schutzleute lärinend-
zu 'durchbrechen suchte, um andere Mitglieder feines klevi-
kalen Vereins zur Uuterftützung 'herbeizuholen, wurde
vechaftet. Schließlich wuvde das Kloster polizeilich ge-
schlossen.
Zum Gustav-Adolf-Fest.
Aneidoten aus der Sammeltätigkeit dcs Gustav-Adolf-Bereins^
Heute plaudern wir ctwas von dcu Gaben, die der Vercirr
cmpfangen hat, von kleinen und von grotzen, und von viel An-
hänglichkeit, die aus ihnen spricht. Wir beginnen mit den
Caroline von Günderode.
Von Selma Wolff-Jaffe, Mannheim.
„So lernt erst lieben." Nietzsche.
„Das Jetzt nnd Ehemals, o meine
Freundc, das ist mein Unerträglich-
stes und ich wützte nicht zu leben,
wenn ich nicht ein Seher und Ver-
kündiger desscn wärc, was kornmen
q, , mntz." Nictzsche.
cin Jahrhundert ist verflossen, seitdem man dem
Utsfräulcin Caroline von Günderode an der Kirchhofs-
'^an Selbstmördcr begräbt, in Winkel am Rhein
Ruhe gönntc, die sic im Lcbcn vergeblich gesucht hattc.
in ^ Jahrc alt, hattc fie sich, wie eine Heldin, den Dvlch
m oas von Gram und Enttäuschung znckendc Herz gesenkt.
»iPegenwärtigt man sich die Veranlassung dieser heroischen
me das Schlutzkapitel eines Licbe- und Ehekonfliktes lnl-
so mutz man sich zugleich in eine Zeit hincinversctzen, in
dst w seelische Revolution dcr Frau bcgann. War cs doch
^^.-uomantik, welche in der Persönlichkeitsauffassung der Frau
Alltä fchuf, der sie weit über die beengende Sphäre der
crbob, sic zur geistigcn Gefährtin des Mannes
und ohne Rücksicht auf bestehende Verhältnstse emen
und schriftlichcn Vcrkehr der Geschlechter ver-
brät« 5' das geistige und politische Leben jencr Zeit re-
Gellm ^ Für die Fraucnbildung und das Verständnis der
Pbzueinander warcn schon lange vorher franzosstche
trct^ und Dichter, wie Rousseau und Moliere, emge-
Svwi auch aus ihrcn Bestrcbungen äfters cin lester
teit dic Uebertreibung des Vcrlangens nach Gelehrsam-
s°lgenden "^^^raus, so zeigten aber auch Fragcn wie die
zweü-i' °?utlich den Srnst, niit welchem man die Verbmdung
teriim/s "'chru durch die Ehc einer Kritik unterzog. Charak-
bei folgende Fragc MoliLrcs: „Wie mutz der Mann
^ugcm>^Ul sciner Frau zu Werke qehen? Darf Alter sich mit -
^irier Frau zu Werke gehen? Darf Alter sich mit
paaren? Darf Ernst und Griesgrämigkeit fich mit
Fröhlichkeit und Leichstinn verbinden?" Zum ersten Male wird
die Verpflichtung des Menschen, ehe er eine Ehe eingeht, genau
zu prüfen, allerdings nur als Vorrecht des Mrnnes, gefordert.
Schillers mahnende Worte: „Drum prüfe, lver fich ewig bindet,
ob fich das Herz zum Herzen findet, der Wahn ist kurz, die
Rcu ist lang", klingcn fast wie eine in poetische Form gegoffene
Fortsetzung fcines französischen Vorgängers, doch bekunden die-
selben in ihrer allgemeinen Faffung schon die Anerkennung
eines Rcchtcs freicr Selbstbestimmung in der Liebe und Ehe
für Mann und Frau. Eine neue Welt des Fühlens und Ken-
kens brachte Goethes Auftreten in Deutschland, nicht nur in
die Literatur, sondern auch in den geselligen Ton desselben.
Seine Fordcrung, nach dcr cr auch seine Lebcnsführung ge-
staltetc „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst" begeisterte
hauptsächlich die Frauen, die bcgünftigt üurch eine Lebens-
weise, in welcher die praktische Tätigkeit kaum Raum fand, und
die als Herrscherin die Phantafic über den Verstand erhob, sie
oft in Vcrhältniffe hineinrih, die ihnen zum Verhängnis wer-
den muhten.
Ein Geist der Auflehnung gcgcn die Satzungen der konvcn-
tioncllen Moral, in den Angelegenheitcn !>er Liebe und Ehe
kam wie ein Rausch übcr die vornehmsten Vertreterinncn der
romantischen Periode, sie strcbten heraus aus der Abschliehung,
in der sie bis üahin gclebt und stürzten sich in ein Meer der
Empfindung und Empfindsamkeit, deffcn Wellen sie vcrschlingen
mutzten.
Caroline von Günderode zerschellte in diesem Kampfe einer
Epochc, die den Anfang einer Zeit bilden sollte, die die Menschen
vom ungewissen Jenseits auf die Eroberung dcs Diesseits hin-
weisen sollte; und an welche die moderncn Frauen in der Er-
kenntnis der lcbenden Wesen und ihrer auf naturwissenschaft-
licher Grundlagc sich aufbauenden Entwickelung anknüpfen und
als Aufgabe unserer Zeit die Stcigerung -es Gefühlslebcn und
als Gesctz „die Stimme der eigenen Brust" bctrachtend, ncue
-sittlichkcitsideale aufstellen.
Mit Karoline von Günderode ging nicht nur ein bcachtens-
wertes dichterisches Talent zugrunde, das Rouffeausche Natur-
religion als Mittcl durch die Seele allcs Schöne in der Schöp-
fung zu gcniehen in ihren lhrischen und dramatischen Werken
aussprach, ein reiches innerliches Frauenleben wurde grausam
zerstört, dessen Persönlichkeitsbewuhtsein mutig um cin pEr-
sönliches Glück rang. Als ältestc Tochtcr des 1186 verstor-
benen badischen Kammerherrn und Hofrats Freiherrn Wilhelm
von Günderode zu Karlsruhe wurde Caroline am 11. Februar
1780 geboren. Nach dem Tode ihres Vaters verlebte sie mit
ihrer "Mutter und fünf Geschwistcrn ihre erste Jugcndzeit in
Hanau. 18 Jahre alt, wurde sie in das evangclische Kapitel
von Kronstatt zu Frankfurt a. M. als Stiftsdame aufgenom-
men, wo ihre dichterischen Anlagen zu höherer Ausbildung ge-
langten. Sie schrieb Gedichte und Dramen unter dem Pseu-
donhm „Tian", doch gelangten die letzteren niemals zur Auf-
führung. Eincs ihrer fchönsten Gedichte, in welchem sie die
Bitte auf Anerkennung der Judividualität ausspricht und zu
dem Bewutztsein gelangt, datz der Mensch auch nur cin Teil dcs
Universums sei, das scheinbar immer dieselbe Form zeigt, aber
doch im ewigen Wechsel besteht, lautct:
„Drum laht mich, wie mich der Momcnt geborcn,
Die Sterne wandeln ihren festen Stand,
Der Bach enteilt der Ouelle, kehrt nicht wieder,
Der Strom des Lebcns woget auf und nieder
Und reihet mich in seinen Wirbeln fort;
Sieh alles Lebenl es ist kein Bestehen,
Es ist cin cwges Wandern, Kommcn, Gehen,
Lebend'ger Wandel, buntes reges Streben,
O Stroml in dich ergietzt sich all mein Leben
Dir stürz' ich zu, vergesfe Land und Port."
Jm Jahre 1804 sah Carolinc von Günderode zum ersten
Male Profeffor Crcuzcr auf dcm grohen Altan des Schloffes in
Heidelberg, wo sie fich zum Besuch aufhielt. Als Lehrer der
Kiuder des verstorbenen Profeffors Leskc hatte Creuzer deffen
Witwe, obgleich fie dreizehn Jahrc älter als er war, geheiratet.
Bald cntspann sich zwischen der „Pocsie", wie Creuzer die Gün-
derode nannte, und ihm ein leidenschaftlichcs Verhältnis, das,
als Caroline nach Frankfurt zurückgckehrt, in einem lebhaften