Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 40.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.10701#0036
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Gropius, Walter: Der geistige Generalnenner
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INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT FRITZ GROSS-WIEN HERRENGARDEROBE-SCHRANK.iGEÖFFNET
DER GEISTIGE GENERALNENNER
Ein lebendiger Baugeist, der im ganzen Leben
eines Volkes wurzelt, umschließt alle Gebiete
menschlicher Gestaltung, alle »Künste« und Tech-
niken in seinem Bereich. Da Bauen kollektive Ar-
beit ist, hängt sein Gedeihen auch nicht vom Ein-
zelnen, sondern vom Interesse der Gesamtheit ab.
Anstelle der bisherigen Ich-Gebundenheit und
Nation-Gebundenheit tritt ein zentrales Lebens-
gefühl, das aus einer alles umfassenden Einheit
heraus die menschlichen Erzeugnisse im Sinne der
Natur organisch entwickeln will. Voraussetzung
für ein solches Schaffen ist eine neue Gesellschaft,
nach deren Plan sich alles Leben und Gestalten
orientiert. Die vergangene Zeit mit ihren »ismen«
und historischen Imitationen war vielleicht nur ein
Spiegel des unbewußten Verlangens, die ganze
sichtbare Welt zu durchdringen und zu erfassen,
ein Wunsch, wieder das Totale an Stelle des Spe-
ziellen zu setzen. . Es war also sowohl falsch,
»historisch« zu imitieren, als auch rein »individu-
ell« vorzugehen. Das Ziel vielmehr ist, einen »gei-
stigen Generalnenner« zu finden, der für die
sichtbare Welt gestaltungsbestimmend wird. Die
neue Ordnung will also über die frühere weit
hinaus; um die beiden konzentrischen Kreise des
Ichs und der Nation schließt sich ein größerer der
gesamten Erde. Die Abhängigkeit des einen vom
andern ist notwendige Folge des wachsenden Ver-
kehrs. Die gleichen Mittel, die die Menschen
mit- und nebeneinander ausdenken, haben ver-
wandte Merkmale der Gestalt zur Folge.....
Der Begriff der »Tradition« — von lateinisch
»tradere« = weitergeben, überliefern — ist durch-
aus nicht ein Gegensatz zum Begriff des »Radi-
kalen«, d. h. von der Wurzel Ausgehenden. Es
ist sehr wohl möglich, daß ein Mensch gleichzeitig
radikal und traditionell handelt. Der richtige Sinn
für die Tradition wird nicht das Mutwillige, Eigen-
brödlerische wollen, sondern das Gemeinsame,
den »Standard«, der viele zu befriedigen in der
Lage ist, am meisten Inhalt, am meisten Qualität
besitzt. Eine solche Gedrängtheit an Inhalt läßt
sich nur dann erreichen, wenn die neuesten und
stärksten technischen Mittel angewendet werden,
deren Aufwand sich erst in der Vervielfältigung
lohnen kann. Die Ausarbeitung des Typus braucht
die stärkste und radikalste Arbeit, wenn er sich
bewähren und erhalten soll. . . . walter gropius.
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT FRITZ GROSS-WIEN HERRENGARDEROBE-SCHRANK.iGEÖFFNET
DER GEISTIGE GENERALNENNER
Ein lebendiger Baugeist, der im ganzen Leben
eines Volkes wurzelt, umschließt alle Gebiete
menschlicher Gestaltung, alle »Künste« und Tech-
niken in seinem Bereich. Da Bauen kollektive Ar-
beit ist, hängt sein Gedeihen auch nicht vom Ein-
zelnen, sondern vom Interesse der Gesamtheit ab.
Anstelle der bisherigen Ich-Gebundenheit und
Nation-Gebundenheit tritt ein zentrales Lebens-
gefühl, das aus einer alles umfassenden Einheit
heraus die menschlichen Erzeugnisse im Sinne der
Natur organisch entwickeln will. Voraussetzung
für ein solches Schaffen ist eine neue Gesellschaft,
nach deren Plan sich alles Leben und Gestalten
orientiert. Die vergangene Zeit mit ihren »ismen«
und historischen Imitationen war vielleicht nur ein
Spiegel des unbewußten Verlangens, die ganze
sichtbare Welt zu durchdringen und zu erfassen,
ein Wunsch, wieder das Totale an Stelle des Spe-
ziellen zu setzen. . Es war also sowohl falsch,
»historisch« zu imitieren, als auch rein »individu-
ell« vorzugehen. Das Ziel vielmehr ist, einen »gei-
stigen Generalnenner« zu finden, der für die
sichtbare Welt gestaltungsbestimmend wird. Die
neue Ordnung will also über die frühere weit
hinaus; um die beiden konzentrischen Kreise des
Ichs und der Nation schließt sich ein größerer der
gesamten Erde. Die Abhängigkeit des einen vom
andern ist notwendige Folge des wachsenden Ver-
kehrs. Die gleichen Mittel, die die Menschen
mit- und nebeneinander ausdenken, haben ver-
wandte Merkmale der Gestalt zur Folge.....
Der Begriff der »Tradition« — von lateinisch
»tradere« = weitergeben, überliefern — ist durch-
aus nicht ein Gegensatz zum Begriff des »Radi-
kalen«, d. h. von der Wurzel Ausgehenden. Es
ist sehr wohl möglich, daß ein Mensch gleichzeitig
radikal und traditionell handelt. Der richtige Sinn
für die Tradition wird nicht das Mutwillige, Eigen-
brödlerische wollen, sondern das Gemeinsame,
den »Standard«, der viele zu befriedigen in der
Lage ist, am meisten Inhalt, am meisten Qualität
besitzt. Eine solche Gedrängtheit an Inhalt läßt
sich nur dann erreichen, wenn die neuesten und
stärksten technischen Mittel angewendet werden,
deren Aufwand sich erst in der Vervielfältigung
lohnen kann. Die Ausarbeitung des Typus braucht
die stärkste und radikalste Arbeit, wenn er sich
bewähren und erhalten soll. . . . walter gropius.