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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 40.1929

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Michel, Wilhelm: Der menschliche Widerstand
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https://doi.org/10.11588/diglit.10701#0184

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INNEN-DEKORATION

DER MENSCHLK

Eine merkwürdige Tatsache: im Außenbau des
modernen Wohnhauses hat sich die neue Bau-
weise rascher und entschiedener durchgesetzt als
im eigentlichen Innenraum. Sehen wir einen
Hauskörper sich rein als ein zweckmäßiges Gefüge
von Hohlräumen, Baikonen und Etagengärten ent-
falten, dem Licht und der Luft frei erschlossen,
das Ganze knapp und sachlich wie ein eleganter
Apparat — so ist uns das grenzenlos plausibel. Der
moderne Baukörper hat ohne weiteres die Zu-
stimmung unsres Auges, unsres ästhetischen Sinnes.

Wenn es nun aber auf der gleichen Linie zum
Wohnraum, zum Möbel weitergehen soll, dann
ereignet es sich, daß dieser neue Bau- und Wohn-
gedanke ein gewisses Zögern zeigt, daß er seinen
Schritt unmerklich verlangsamt. Je näher die neue
Form dem wirklichen, warmen Leben des Men-
schen kommt, desto mehr scheint ihre Selbstge-
wißheit sich zu dämpfen, desto mehr scheint sie
in ein neues Kraftfeld zu geraten, das ihr nicht
unbedingt günstig ist. Zwar gibt es schon sehr radi-
kale Lösungen auch in dieser menschennächsten
Sphäre. Aber sie haben nicht die fast uneinge-

-IE WIDERSTAND

schränkte Überzeugungskraft, die dem modernen
Baukörper eigen ist, und ihnen stehen eine Menge
von Versuchen zur Seite, die Frage der Wohnraum-
Gestaltung auf eine »mildere«, auf eine verbind-
lichere Weise zu lösen. . Das Merkwürdige dieses
Tatbestandes liegt dabei darin, daß die moderne
Bauweise grundsätzlich gar keine Trennung zwi-
schen Außen- und Innenbau anerkennt. Der Be-
griff des abgeschlossenen Raumes, den nach Ver-
abschiedung des Architekten nun der Möbelfach-
mann oder der Bewohner »möbliert«, ist ihr fremd.
Es ist ohne Frage ihr Streben, in einem Zuge vom
Außenbau bis zur menschennächsten Sachzone
durchzugehen. Und trotzdem fühlt sie, wenn sie
dieser Zone nahe kommt, einen geheimen »Wider-
stand« sich erheben. Sie sieht eine »Wertreihe«,
eine »Bedürfnisreihe« auftauchen, die sie stutzig
macht. . Es ist, wie wenn eine »Idee« unvermutet
auf die ihr zugehörige Wirklichkeit trifft. . .
Wird die Wirklichkeit sich der Idee beugen?
Wird die Idee sich von der Wirklichkeit, also
vom warmen, direkten Leben des Menschen modi-
fizieren lassen? Oder werden beide lernen, sich
ineinander zu fügen, sodaß sie beide verwandelt
 
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