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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 40.1929

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Ritter, Heinrich: Freundschaft zum Licht: über Fenster und Tüllgardinen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10701#0128

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INNEN-DEKO RATION

FREUNDSCHAFT ZUM LICHT

über fenster und tüllgardinen

Im Zusammenhang mit dem neuen Bauen ist auch
die Rolle des Fensters eine andere geworden
als früher. Das läßt sich schon von außen erkennen.
Der Baukörper war früher in erster Linie ein ge-
schlossener Körper, die umgebenden Mauern waren
in erster Linie konzipiert als schließende, um-
hüllende Wände, in denen nur, dem unabweisbaren
Bedürfnis nach Licht und Luft entsprechend,
Fensteröffnungen ausgespart waren. Die Mauer
war das wirkliche Positivum, die Fenster das echte
Negativum. .Heute? Schon der Außenbau gibt zu
erkennen, daß er im Grunde nichts anderes sein
möchte als ein dünngliedriges Gerüst für Fußböden
und Fenster. Früher kamen Fenster nur dahin, wo
sie nötig waren. Heute kommt geschlossene Mauer
nur dahin, wo sie nicht zu entbehren ist. Das Fenster
ist das Positive geworden, das Erste und zunächst
Wichtige. Der im engeren Sinne moderne Bau ruft
mit allen Stimmen aus, daß der Bewohner eigent-
li ch für das volle Leben im Draußen bestimmt sei,
für das Leben inmitten der vollen Beziehung, des
uferlosen Austausches aller Kräfte. Und nur inso-
weit übernimmt der moderne Bau die Funktion des
Einhüllens und Bergens, als diese Funktion durch-
aus nicht zu entbehren ist. Er grenzt den Menschen

nicht mehr grundsätzlich und primär vom Draußen
ab, sondern er läßt die kosmische Eingefügtheit
des Menschen so viel als möglich unangetastet. Das
Fenster ist im modernen Bau nicht mehr notge-
drungene Licht- und Luftquelle, sondern Ausdruck
des Nach-Außen-Wollens, Ausdruck der Freund-
schaft zum Licht, zur Sonne, zum beleben-
den Windhauch, der draußen die Wesen erfrischt.

Alter und moderner Hausbau gehen also von
ganz verschiedenen Grundgesinnungen aus. Der
alte Bau schließt prinzipiell ab und muß zu seinen
sparsamen Verbindungen mit der Außenwelt förm-
lich gedrängt werden. Der moderne Bau setzt den
Menschen prinzipiell in das freie, volle Naturleben
aus und muß umgekehrt zum Bergen, zum Schützen
und Umhüllen gedrängt werden. . Das alte Fen-
ster war das gleichsam widerwillige Eingeständnis,
daß der Mensch nicht ohne eine gewisse Verbin-
dung mit dem Draußen leben könne. . Das neue
F e n s t e r, oft in ganzen Reihen auftretend, um Haus-
ecken herumziehend, ist eine einzige, strahlende
Liebeserklärung an Sonne und Licht, die es auch
mit seiner inneren »Verkleidung« nicht abwehrt,
sondern freundlich mit schönen Linien und Formen
leichter Tüll-Gardinen spielen läßt. . kritter.
 
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