Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 40.1929
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Michel, Wilhelm: Die Wirklichkeit
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INNEN-DEKORATION
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zur Selbstbescheidung, und das
heißt: zur Einfügung in die
wirkliche (und als wirklich ge-
glaubte) Welt: zur Ernüchte-
rung; zur treuen Arbeit inner-
halb der ihm gesetzten Grenzen;
zur Anerkennung der Arbeits-
Teilung; zum Verzicht auf selbst-
ersonnene Synthese, auf jeden
Anspruch der Autonomie. . .
*
Die Architektur würde zum
leeren Spiel entarten, wenn
sie sich weigern würde, dieses
Schicksal des Geistes zu teilen.
In dieser Verbundenheit mit
dem Geist liegt ihre Würde und
ihr hoher Rang. Gerade daß
sie ein »Schicksal« haben kann,
d. h., gerade daß das Wort
der Zeit unzweideutig und un-
überhörbar auch an sie ergeht
und Gehorsam erzwingt, — ge-
rade das stellt sie am sichersten
in die Reihe der großen Men-
schendinge. . . . wilhelm michel.
adolf rad1no. sitzplatz in der diele. haus kriebel
hörten Ausdehnung des Lebensstoffes, immer
mehr »spezialisieren«. Sie muß sich heute I
mehr als je damit trösten, daß ihr die reale ^
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Teilhabe am Ganzen umso sicherer gewährlei- Ä^^V.
stet wird, je entschlossener sie auf die zur Zeit
unmögliche Synthese verzichtet, je williger
sie auf die gebotene Arbeits-Teilung eingeht. /,
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Es gibt eine »platte« Nüchternheit. Sie ent- wJf\ ft^B 1
steht da, wo aus der Nüchternheit ein »System« 1 M, ■
gemacht wird. Es gibt aber auch eine »heilige Jr Jkk
Nüchternheit« (man denke an Hölderlin). Sie Mr mKm fl
ist da gegeben, wo die Nüchternheit als ein JKL . g9
Wissen um die menschliche »Begrenzung« ein-
gebaut ist in einen großen Glauben, in einen .^^F^mk
Glauben an die Wirklichkeit. Der nüch- Jfß^
terne Mensch — das ist der gläubige Mensch. I ,J0^
Denn wenn er nicht glaubt — an eine wirk- sHBp^^U|
liehe, nicht von ihm verfaßte Welt — dann muß
er rauschhaft erglühen und aus eigener Kraft
ein Ganzes zu stiften versuchen. Aber wenn
er die Wirklichkeit glaubt, und wenn er sich <jm
selber darin als reales, begrenztes Wesen
glaubt, dann geht der irreführende Rausch aus
ihm fort und Nüchternheit wird möglich. . .
Das Architektur-Schicksal dieser Zeit deu-
tet in die gleiche Richtung wie das Geistes-
Schicksal dieser Zeit. An den Menschengeist
ergeht heute von überall her die Mahnung adolf radino. haus kriebel. Treppenaufgang in der diele
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zur Selbstbescheidung, und das
heißt: zur Einfügung in die
wirkliche (und als wirklich ge-
glaubte) Welt: zur Ernüchte-
rung; zur treuen Arbeit inner-
halb der ihm gesetzten Grenzen;
zur Anerkennung der Arbeits-
Teilung; zum Verzicht auf selbst-
ersonnene Synthese, auf jeden
Anspruch der Autonomie. . .
*
Die Architektur würde zum
leeren Spiel entarten, wenn
sie sich weigern würde, dieses
Schicksal des Geistes zu teilen.
In dieser Verbundenheit mit
dem Geist liegt ihre Würde und
ihr hoher Rang. Gerade daß
sie ein »Schicksal« haben kann,
d. h., gerade daß das Wort
der Zeit unzweideutig und un-
überhörbar auch an sie ergeht
und Gehorsam erzwingt, — ge-
rade das stellt sie am sichersten
in die Reihe der großen Men-
schendinge. . . . wilhelm michel.
adolf rad1no. sitzplatz in der diele. haus kriebel
hörten Ausdehnung des Lebensstoffes, immer
mehr »spezialisieren«. Sie muß sich heute I
mehr als je damit trösten, daß ihr die reale ^
^^^^
Teilhabe am Ganzen umso sicherer gewährlei- Ä^^V.
stet wird, je entschlossener sie auf die zur Zeit
unmögliche Synthese verzichtet, je williger
sie auf die gebotene Arbeits-Teilung eingeht. /,
s
* - Jf ^^^^ I
Es gibt eine »platte« Nüchternheit. Sie ent- wJf\ ft^B 1
steht da, wo aus der Nüchternheit ein »System« 1 M, ■
gemacht wird. Es gibt aber auch eine »heilige Jr Jkk
Nüchternheit« (man denke an Hölderlin). Sie Mr mKm fl
ist da gegeben, wo die Nüchternheit als ein JKL . g9
Wissen um die menschliche »Begrenzung« ein-
gebaut ist in einen großen Glauben, in einen .^^F^mk
Glauben an die Wirklichkeit. Der nüch- Jfß^
terne Mensch — das ist der gläubige Mensch. I ,J0^
Denn wenn er nicht glaubt — an eine wirk- sHBp^^U|
liehe, nicht von ihm verfaßte Welt — dann muß
er rauschhaft erglühen und aus eigener Kraft
ein Ganzes zu stiften versuchen. Aber wenn
er die Wirklichkeit glaubt, und wenn er sich <jm
selber darin als reales, begrenztes Wesen
glaubt, dann geht der irreführende Rausch aus
ihm fort und Nüchternheit wird möglich. . .
Das Architektur-Schicksal dieser Zeit deu-
tet in die gleiche Richtung wie das Geistes-
Schicksal dieser Zeit. An den Menschengeist
ergeht heute von überall her die Mahnung adolf radino. haus kriebel. Treppenaufgang in der diele