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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 1
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Schröder, Bruno: Griechische Originale im alten Museum zu Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0019

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MÄDCHEN VON EINEM GRABMAL. SECHSTES JAHRH. V. CHR.

wandelbaren Wert der Antiken gearbeitet, aber es
fehlte der Zusammenhang mit der lebendigen Gegen-
wart und die stärkende Wechselwirkung, unter der
die Wissenschaft von der Kunst der Alten einstmals
aufgewachsen war, zu einer Zeit, als die Antike das
Ideal war und Nachahmung der Antike die Pro-
duktion beherrschte. Wer trotzdem den Wunsch
hatte, in der alten Kunst Züge zu finden, die dem
Wollen der Gegenwart entsprachen, musste sie ein-
zeln aufspüren, denn der Naturalismus hat im Alter-
tum zwar zu keiner Zeit gefehlt, aber nie eine füh-
rende Rolle spielen können. So kam es wohl, dass
in den Museen die Antikensäle als Durchgangs-
hallen zu den beliebteren Abteilungen dienten und
niemand sich recht um die allzu schönen Götter
kümmern mochte. Nun hat ein neues künstle-
risches Wollen neues Licht verbreitet, und ein er-
wärmender Strahl hat auch die antike Kunst ge-
troffen. Ein plötzliches Interesse ist bereits, zumal
seit dem Funde der Amarnaskulpturen, der ägypti-

schen Kunst zuteil geworden. Die griechische Plastik
der vorphidiasischen Zeit wird in ihrer Verwandt-
schaft mit den Problemen unserer Zeit gewürdigt.*

So schöpft der Archäologe die Hoffnung, auch
die gesamte klassische Antike möchte die alte Gel-
tung wieder gewinnen mit dem, was in ihr wirk-
lich original und echt künstlerisch gefühlt ist, und
der Kultur unserer Zeit nicht bloss Steine histo-
rischen Wissens, sondern auch die nährenden Brote
desVerstehens und der Freude bieten kann. So ist es
wohl an der Zeit, einmal aufden Plan zu treten und zu
zeigen, was in unserer Hauptstadt stillschweigend
von wertvoller alter Kunst zusammengetragen ist.

Die Antikensammlung des Berliner Museums
kann sich mit älteren Galerien an Zahl und Grösse
der Gegenstände nicht messen; doch braucht sie
sich der Qualität ihrer Schätze nicht zu schämen.
Das Antiquarium besitzt von allen Gattungen alten
Kunstgewerbes erlesene Stücke und die Skulpturen-
sammlung — ganz zu schweigen von den perga-
menischen Ausgrabungen — eine Reihe wertvoller
griechischer Originale, vor allem die prächtige
Reihe von Reliefs, die denStolzderSammlungbilden.

Jedes Kunstmuseum ist heute ein kunstge-
schichtliches Museum. Auch die Antikensamm-
lungen sind jetzt zeitlich geordnet und der Be-
schauer kann den Entwicklungsgedanken, der der
Aufstellung zugrunde liegt, an den Werken ablesen.
Welch schnellen Aufstieg die griechische Kunst in
kurzer Zeit geleistet hat, merkt man an den alter-
tümlichen Werken, die, noch in den ersten Schwie-
rigkeiten befangen, doch den kraftvollen Willen zu
ihrer Bewältigung ahnen lassen. Das spartanische
Heroenrelief (Abb. S. 7) kann nicht naiv genug auf-
gefasst werden. Man denke an den Schilderer, der
für die Dorfkirche ein Epitaphium malen soll und
es treuherzig mit aller nötigen Pracht ausstattet.
Das Ahnenpaar, dem der Grabstein gilt, lebt schon
in einem besseren Dasein; es thront auf einem
prächtigen Sessel, der nach dem Modell mit grosser
Kunstfertigkeit ausgehauen ist; der grosse Becher
in der Hand des Mannes und der Granatapfel in
der Hand des Weibes zeigen den seligen Zustand
an. Wie eine Erinnerung an uralten Seelenglauben,
der sich die Seele in Schlangengestalt dachte, wirkt
die Schlange, die hinter dem Sessel aufsteigt; fromme
Opfergaben werden von den Hinterbliebenen herzu-
getragen, nach alter Sitte, einem Rest aus der Zeit,
da man sich die Seele im Grabe wohnend dachte und
sie mit Spenden zu erfreuen suchte. Die Darstellung
* E. Waldmann, Kunst und Künstler 1910, S. 41 und 154.
 
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