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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 10
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Waetzoldt, Wilhelm: Der Begriff des "Barbarischen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0467

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DER BEGRIFF DES „BARBARISCHEN"

VON

WILHELM WAETZOLDT

i.

A ls der Krieg ausbrach, haben wir es wohl alle mit
±\. grenzenlosem Staunen erlebt, dass sich plötzlich
zwischen den Völkern Abgründe des Nichtver-
stehens und des Hasses zeigten, die uns durch
Handel und Verkehr, durch wissenschaftliche
und künstlerische Beziehungen ein für allemal
überbrückt zu sein schienen. Plötzlich standen
Rasse gegen Rasse, Nation gegen Nation in nackter
Unvereinbarkeit des Fühlens und Wollens. Gleich
überraschend kam uns aber zum Bewusstsein das
Gefühl der Gemeinsamkeit des Denkens und Glau-
bens, Liebens und Hassens im eigenen Volke. Wir
hatten es schon fast vergessen, dass es in Wahrheit
eine Volksseele giebt. Als dann aus dem feind-
lichen, ja auch aus dem neutralen Ausland, immer
vernehmlicher das Schmäh wort: „Barbaren!" zu uns
herüberscholl, nahmen wir es gelassen hin als ein
Anzeichen dafür, dass mit dem Erwachen uralter
Volksinstinkte auch eines der ältesten geschicht-
lichen Schlagwörter von neuem lebendig gewor-
den ist.*

* Bei der Zusammenstellung einiger Daten zur Geschichte
des Begriffes „barbarisch" konnte ich, schon aus äusseren Grün-

1.

Immer wieder ist dieses Wort aufgetaucht, wenn
die romanische Welt sich mit der germanischen im
Kampf der Geister oder der Waffen messen musste.
An dem Glauben, mit dem Begriff „barbarisch"
das Wesen des Deutschen zu treffen, haben Römer
und Römerenkel bis heute leidenschaftlich zäh fest-
gehalten. In den Stürmen der Völkerwanderungs-
zeit neu geboren, als gegebene und selbstverständ-
liche Bezeichnung von Gregor von Tours und der
lex salica auf deutsche Stämme angewendet, wird
der Begriff „barbarisch" ein Modewort doch erst
im humanistischen Italien. Wie einst die Griechen,
sahen die Italiener, im Hochgefühl, Schöpfer einer
neuen Weltbildung zu sein, mitleidig auf alle an-

den, keine Vollständigkeit anstreben. Ausser den Quellen-
schriften habe ich benutzt die Arbeiten von: Hans Liebmann,
Deutsches Land und Volk nach italienischen Berichterstattern
der Reformationszeit. Berlin 1910. Adolf Philippi, Der Be-
griff der Renaissance. Leipzig 1912. Jakob Burckhardt, Die
Kultur der Renaissance in Italien. 7. Aufl. Leipzig 1899.
L. Geiger, Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zur
Zeit des Humanismus. Ztschr. f. dtsche. Kulturgesch. 1875.
Georg Steinhausen, Die Deutschen im Urteile des Auslandes.
Deutsche Rundschau 1909/1910. Georg Voigt, Die Wiederbe-
lebung des klassischen Altertums, 2. Aufl. 1880/81. L. Ghi-
berti, Denkwürdigkeiten. Hrsg. J. v. Schlosser. Berlin 1913.

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