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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 2
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Worringer, Wilhelm: Die Kathedrale in Reims
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0100

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SKULPTUR VON DER. KATHEDRALE IN KEIMS

(aufgenommen auf dem werkplatz)

DIE KATHEDRALE IN REIMS

VON

WILHELM WORRINGER

Kein Wort darf heute von deutscher Seite über die
Schönheit der Reimser Kathedrale und über die
grosse deutsche Trauer wegen ihrer glücklicherweise
nur geringfügigen Beschädigungen ausgesprochen
werden, ehe nicht dies eine klargestellt ist: es giebt
kein fremdes oder eignes Kunstwerk, so gross und
erhaben es auch sein mag, dass wir heute nicht
schmerzerfüllt aber ohne Zögern dahingehen wür-
den, wenn seine Opferung der Einsatz wäre, der
gezahlt werden müsste, um das Leben auch nur
einer Handvoll deutscher Soldaten zu retten. Das
mag Barbarentum sein, aber dann ist es ein Stück
gesunden Barbarentums, dessen wir uns nimmer
schämen wollen. Mag ein hysterisches Wehgeschrei
von einem Ende der Welt bis zum andern losbrechen,

von den Pariser Boulevards bis zu den Buschmännern
und Hereros: wir bleiben fest in unserem heiligen
Michael Kohlhaas-Trotz, der keine Sentimentalitäten
mehr aufkommen lässt in dem Augenblick, wo er
sich — durch Jahrzehnte hindurch von der wohl-
feilen öffentlichen Weltmeinung herabgesetzt und
verleumdet — gegen dieses Komplott zu seiner
materiellen und moralischen Vernichtung mit allen
Mitteln einer so weise organisierten und zum Ver-
zweiflungskampf bis aufs letzte gerüsteten Gewalt
aufbäumt. Auch wir kämpfen um Kulturwerte;
um Kulturwerte, die uns teurer sind als alle Kathe-
dralen Frankreichs, nämlich um unsere nationalen
Kulturwerte, die, mögen wir sie in echt deutscher
Selbstkritik noch so viel benörgelt haben, nun

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