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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 3
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Beckmann, Max: Feldpostbriefe aus Ostpreussen: mit zehn Zeichnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0143

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SOLDATENGRAB

FELDPOSTBRIEFE AUS OSTPREUSSEN

MIT ZEHN ZEICHNUNGEN

VON

MAX BECKMANN
ZUSAMMENGESTELLT VON FRAU BECKMANN-TUBE

den 14. Sept. 1914.
Alea est jacta!

ich bin freiwilliger Krankenpfleger und bleibe hier.
Hoffe in circa vierzehn Tagen nach Russland mit zu
kommen. Der hiesige Chefarzt hat mich auf Fürsprache
der Gräfin in liebenswürdigster Form angestellt. Heute
Nachmittag haben wir bereits eine Autofahrt bis zu
dem zerstörten H. gemacht.

Ich hoffe noch viel zu erleben und bin froh.

Meine Reise mit den fünfeinhalb Zentner Gepäck
war durchaus nicht langweilig, mein Coupee überfüllt,
dickbäuchige rotbäckige Männer, Holzhändler, denen
ihr Wald abgebrannt war, und die sich nach ihrem
langweiligen Skat sehnten und dazwischen ein kleines
Fräulein, das seinen struppigen Köter ängstlich auf
dem Schoss hielt.

Viel war in dem kleinen Zug zusammengedrängt.
Flüchtige, bonbonessende Tilsiter, ein mutig netter
Ulan, viel Kleinkinderkrempel, im Speisewagen würde-
volle Männer usw.

In Thorn, Kampf um den Einlasspass in die
Grenzfestung — dann doch gleich weiter gefahren
mit Weibern und Kindern bei verlöschten Lichtem
und verhängten Fenstern in die Nacht hinein.

In 0. ein paar Stunden Schlaf und dann wei-
ter mit einem fajnosen alten Rittmeister mit dem
Kreuz von jo auf der Brust, bald durch die Anfänge
der Schlachtfelder von der Schlacht bei Tannenberg.
Sein Gut liegt mitten drin, nah bei M., und er hat
alles miterlebt, Einquartierung ohne Ende und von
seinem Berg aus der Schlacht zugesehen.

Er nahm mich auf seinem Wagen mit nach M.,
— M. hat selbst schwer gelitten.

Die Überraschung der Gräfin, dass ich so schnell
kam, kannst Du Dir denken, die Freude über die
Liebesgaben, speziell Sekt und Eingemachtes, war sehr
gross.

Heute nacht schlaf ich bei dem Rittmeister. Mor-
gen wo anders . . .

Schloss M., den 16. Sept. 14.
Ich schreibe hier auf der Bank vor der Schlosstür.
Es ist kurz vor Mittag. Die Stimmung ist ziemlich
düster. Links von mir an grossen alten Lebensbäumen
pflücken zwei Schwestern und die Frau eines Mannes,
der heute nacht starb, Zweige für sein Begräbnis.

Einen andern, auch heute nacht gestorbenen, habe
ich mit seziert. Er sah meinem Modell von der Bewei-
nung ähnlich, hatte ein grosses fahles Profil. Dann

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