Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

DOI Heft:
Heft 7
DOI Artikel:
Neumann, Max: Kriegserlebnisse eines Berliner Malers: mit zwei im Felde angefertigten Radierungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0350

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MAX NEUMANN, SCHÜTZENGRABEN. RADIERUNG

KRIEGSERLEBNISSE EINES BERLINER MALERS

MIT ZWEI IM FELDE ANGEFERTIGTEN RADIERUNGEN

VON

MAX NEUMANN

Kaum hatten wir in den ersten Augusttagen
die belgische Grenze mit lautem Hurra! über-
schritten, als wir auf die ersten Opfer schon stiessen:
herrliche, uralte Rüstern waren gefällt um uns auf-
zuhalten, die Chaussee in regelmässigen Abständen
aufgerissen. Die Strasse steigt an, staubig und
sonnenhell; ein Priester, schmal und schwarz,
kommt uns entgegen, er grüsst tief und demütig,
mit falschem Blick. Henri-Chapelle, die Strassen
mit belgischen und deutschen Fahnen geschmückt,
tiefer Friede. Ein paar Stunden später heftiges Ge-
wehrfeuer, wir nähern uns Schrecklichem: Herve —
ZertrümmerteWagen, tote Pferde — marsch, marsch!
Vom Patronenwagen wird rechts und links noch
Munition verteilt, jeder errafft im Lauf soviel er
fassen kann. Die ersten Häuser, schwarzer Rauch,
Flammen, ran an die dichten Hecken, wild, planlos
geschossen, Paroxismus des ersten Feuers.

Seltsam berührt der Anblick des ersten toten
Zivilisten, mitten auf der Strasse liegt er, noch
sickert Blut aus dem Kopf — alles weicht aus.

Rauch, Flammen, zusammenstürzende Häuser, —
einer hat den Arm voll Flaschen: her damit! im
Gehen, Spähen, Laufen werden die Hälse abge-
schlagen, der rote Wein fliesst über Gesicht und
Hand. Gewehrläufe aus Kellern und Fenstern, mit
dem Kolben die Thüren eingeschlagen und heraus-
. geholt wer eine Flinte trägt! Gegen meinen Neben-
mann stürmt ein Weib mit erhobenem Kruzifix —
ein Knall, was war's? vorbei. Ein kleines Kloster,
zum Lazarett umgewandelt; ein junger Arzt, blut-
besudelt, stürzt heraus und bittet flehentlich um
Bedeckung: die Einwohner hätten schon einmal
sein Lazarett angegriffen; im Hofe einige blasse
Nonnen mit gefalteten Händen. Der Bahnhof, die
angrenzenden Strassen ein Flammenmeer, wir müssen
durch; brennende, verkohlte Leichen von seltsamer
Farbe; Hitze, Rauch, Asche machen uns taumeln.
Endlich freie Luft, grüne Wiesen. Langsam löst
sich aus den Trümmern der Stadt ein dunkler Trupp
Männer und Frauen: Franktireurs. Mit erhobenen
Händen schwanken sie zur nahen Richtstätte. Nie

li6
 
Annotationen