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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 4
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Heymel, Alfred Walter: Der Tag von Charleroi
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Schnaase, Carl: Brügge und Ypern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0189

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und für heute haben wir Luft, wir können im
Freien die Nacht verbringen.

Und dann ist unser Reiterregiment getrennt
von den anderen Truppen, und wir haben unsere
Biwakplätze, wir haben Stroh für uns und Heu
für die Pferde gefunden, und jeder legt sich gerade
da hin, wo er eben steht, an die Böschung eines
Strassengrabens oder in die Furchen eines Kartoffel-
feldes. Keiner kann einschlafen und starrt ungläubig
glücklich in den gestirnten Himmel hinein, den
wiederzusehen er oft den einen langen Tag zweifeln
musste. Essen sah ich keinen.

Seht, ihr Lieben, das war ein langer und ein
grauenhafter Tag, und ich möchte keinen zweiten

der Art wieder erleben; aber es war ein Kriegstag,
wie er sich lehrreicher und abhärtender nicht
denken lässt. Die Ausdauer unserer Truppen, die
Klugheit unserer Führer, die im gegebenen Augen-
blick einen vorgefassten Plan glücklich abzuändern
imstande ist, was unsern Widersachern so schwer
fällt, die Gnade des höchsten Führers der himmlischen
Heerscharen hatten diesen langen Tag zu einem
sieg- und erfolgreichen, im Verhältnis zu dem
Erreichten nicht einmal allzu verlustreichen gestaltet,
während noch am Morgen unsere Feinde geglaubt
hatten, uns so vollständig vernichten zu können,
dass auch nicht einer der ganzen Division die Trauer-
kunde den anderen Truppen überbringen sollte.

BRÜGGE UND YPERN

VON

KARL SCHNAASE

BRÜGGE

Welch ein Unterschied gegen Gent! Dort über-
all Thätigkeit, Auf- und Abladen der Wagen,
Hin- und Hertragen der Ballen, dampfende Schorn-
steine hinter den neuen Fabrikgebäuden, eilende
Kommis und dichte Scharen elender Arbeiter; da-
neben elegante Kaufläden, moderner Luxus und die
wenigen Überreste altflandrischer Zeit vernachlässigt
und vergessen. Hier dagegen stehnan denbreiten hei-
tern Strassen wohlerhaltene Giebelhäuser, teils im
älteren Stil, mit einfachen Streifen, teils reicher mit
Heiligenbildern oder mit mythologischen und alle-
gorischen Gestalten verziert. Nicht selten wechseln
damit erhaltene Kirchen oder vormalige, zu Woh-
nungen umgewandelte Kapellen, dann grössere
öffentliche Gebäude, dann wieder Gartenmauern,
über welche die Bäume freundlich herübersehn.
Und in diesen Strassen sieht man keine unruhig
eilenden geräuschvollen Gestalten, sondern einzelne
Frauen, schwarz gekleidet und mit einem weissen
Tuche verschleiert, stets wie zum Kirchgange, leise

Anmerkung der Redaktion: Wir geben die kurze aber
schöne Beschreibung des Stadtbildes von Brügge und eine Notiz
über die Hallen in Ypern, die der heute nicht mehr genügend
geschätzte Karl Schnaase im Jahre 1830 aufgezeichnet und in
seinen „Niederländischen Briefen" veröffentlicht hat. Wie
Brügge vor 85 Jahren dem kunstphilosophisch interessierten
Juristen erschien, so erscheint es noch jetzt. Darum haben
die Worte Schnaases denselben aktuellen Wert wie eine Be-
schreibung, die heute von diesen beiden in den Mittelpunkt
des Kriegsschauplatzes verlegten altflandrischen Städten gegeben
werden könnte.

auftretend, als wollten sie die Grashalme nicht be-
schädigen, die an einzelnen Stellen keimen, oder
Reisende, die in aufmerksamer Betrachtung der
Umgebung zögern. So hat, wer von Gent nach
Brügge kommt, den Gegensatz des Geräusches und
der Stille, des gegenwärtigen täglichen Lebens und
der Vergangenheit fast wie bei Neapel und Rom.
Bei dieser Altertümlichkeit ist aber nirgends Verfall,
nirgends Mangel und Vernachlässigung; alles Alte
wird erhalten, reinlich und mit Liebe gepflegt. Es
ist, als ob, seitdem im sechzehnten Jahrhundert der
Welthandel sich von hier fortzog und in andere
Häfen überging, der Gang der Zeit für Brügge ge-
stockt hätte. Das Alte scheint, wie in einem
Pompeji des Mittelalters, verschüttet und geschützt
und jetzt erst wieder aufgedeckt zu sein. Auch der
ersten Anlage nach ist hier nichts finster und enge,
der Raum ist nicht ängstlich benutzt wie in südli-
chen Gegenden oder in den alten Handelsstädten
Deutschlands. Geräumige Strassen wechseln mit
grossen und kleinen Plätzen; Baumreihen stehen
neben den Kirchen oder an den breiten, klaren
Kanälen, und in den Nebenstrassen unterbrechen
Gärten die Häuser. Es ist daher nicht das Maler-
ische der Ruinen oder der Enge, sondern ein hei-
teres, fröhliches Bild, das wieder nicht selten an
die toskanischen Städte der Ebene, an Pistoja und
Prato erinnert.

Der Grosse Platz, ziemlich regelmässig und auch

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