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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 1
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0057

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CHRONIK

UberKunstausstellungen wird in diesen Zeiten wenig
oder nichts zu berichten sein. Da alle Verbindungen
zerrissen sind, mit dem Ausland und auch im Inland
mit den Künstlern selbst, so ist die Unternehmungslust
der Kunsthändler ohne rechtes Objekt. Auch hat das
Publikum jetzt anderes zu denken als an neue und alte
Kunst. Diese erzwungene Pause wird dem allzu unruhig
gewordenen Ausstellungsbetrieb gut thun, wenn der
Krieg sonst zu einem Erfolge für uns wird. Wahrschein-
lich wird eine Neuorientierung stattfinden. Es ist kaum
zu befürchten, dass nach dem Krieg die Schlachten- und
Lagerszenenbilder im Stil derer, die nach 1870 das
öffentliche Interesse beherrschten, wieder auftauchen
werden. Im Gegenteil, man möchte meinen, dass unsere
jüngeren Maler, die in grosser Anzahl im Felde stehen,
sehr merkwürdige malerische Sensationen erleben wer-
den. Die Künstlergeneration von 1870 hatte das gegen-
ständliche Interesse; dieTalente von heute sindimpressio-
nistisch gebildet. Sie werden oft überwältigt sein von
der Fülle der Gesichte, von der furchtbaren Schönheit
des Krieges und von dem malerisch bewegten Reichtum
einer vom Kampf durchtobten Landschaft. Wir dürfen
uns gefasst machen auf Erinnerungsbilder von Land-
schaften, dievon einer durch Staub- und Dampfschwaden
grellenden grausamen Sonne fahl beleuchtet sind, in
denen die platzenden Granaten wie Explosionen der
Natur selber wirken, in denen die Massen der Soldaten-
haufen zu unheimlichen Bewegungsmotiven werden

und wo aus dem krampfhaften Aufruhr des Lebens
das Ornament einer neuen Schönheit entsteht. Wir wer-
den vielleicht Bilder voller Blut, Verwüstung und Grau-
samkeit sehen, vor denen man aber jenes Wort wieder-
holen kann, das einst vor dem Schlachtbild eines Meisters
gefallen ist: das ist wie ein Rosenbouquet. Wir stellen
uns gern unsere talentvollen Künstler vor, die, während
sie brave Soldaten sind, nicht aufhören mit allen Sinnen
Künstler zu sein, denen ein toter Pferdekadaver, ein ver-
wundeter Kamerad, ein Reiterangriff oder ein brennen-
des Dorf noch mehr sind als Erscheinungen des Krieges,
nämlich Motive jener grotesk erhabenen Schönheit, die
allgegenwärtig ist und die aus dem Grässlichsten noch
Arabesken des Ewigen macht. Allen diesen Künstlern
wird es mehr oder weniger ergehen, wie es Goethe erging,
als er, während der Belagerung von Verdun im Jahre
1792, hinter Weinbergsmauern promenierte und, erfüllt
von den Problemen seiner Farbenlehre, die Phänomene
der Granaten beobachtete, und „das einmal erregte Inter-
esse sein Recht behauptete und die Produktion ihren
Gang ging, ohne sich durch Kanonenkugeln und Feuer-
ballen im mindesten stören zu lassen". Der Gewinn für
unsere Kunst wird sicher gross sein. Die ungeheure
Fülle neuen Anschauungsstoffes wird zu neuer Sinnlich-
keit den Weg bereiten und der Maler, der Bildhauer
wird, wenn er als Sieger heimkehren sollte, sieghaft auch
als Künstler sein. —

K. Seh.

WILLI GEIGER, DER FÄHNRICH

KUNSTVERLAG DES GRAPHISCHEN KABINETTS, BERLIN

DREIZEHNTER JAHRGANG. ERSTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM l8. AUGUST. AUSGABE AM I. OKTOBER NEUNZEHNHUNDERTVIERZEHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN

VON W. DRUGULIN ZV LEIPZIG
 
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