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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 12
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Schröder, Bruno: Griechische Gewandstatuen im alten Museum zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0571

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GRIECHISCHE GEWAND STA TUEN

IM ALTEN MUSEUM ZU BERLIN

VON

BRUNO SCHRÖDER

Es geschieht nicht von ungefähr, wenn ich
meine, man solle einmal die gewaltige stilbil-
dende Kraft der griechischen Kunst — nicht erör-
tern, denn das wäre ein tollkühnes Unternehmen —
aber mit einem Beispiel andeuten. Wie das Pro-
blem des Gewandes unter den Händen der Alten
sich den aufeinander folgenden Geschlechtern dar-
gestellt hat, wäre einer Untersuchung im weitesten
Rahmen würdig; aber schon ein Gang durch eine
Galerie wie die Berliner Antiken-Sammlung kann
darüber belehren, wie die griechische Plastik in der
Darstellung des Gewandes immer neuen Stil gefun-
den und wie weit sie sich dabei bewusst von der
Natur entfernt hat. Mir kam der Gedanke, auf
diese Dinge zu achten, wohl zum erstenmal, als
ich — vor langen Jahren — auf einem Maskenfest
eine Dame sah, die „als Griechin kam", natürlich
schlohweiss mit Kanten a la grecque; ich wunderte
mich, dass dieser formlos wehende Nessel griechisch
aussehen wollte. Die Beobachtung wiederholte sich

dann öfter bei Theateraufführungen klassischer oder
antikisierender Stücke; sie drängte sich mir von
neuem auf, als ich neulich Photographien junger
Mädchen sah, die in Wuchs und Antlitz von klassi-
schem Ebenmass mit archäologisch richtigen Ge-
wändern angethan, doch auf dem Bilde erschrecklich
unantik erschienen. Flächen leeren Stoffes standen
neben wirren Faltennestern, die Linien und Formen
des Körpers wurden von den Falten verhüllt und
überschnitten; schleppende Zipfel machten sich
breit, dann wieder ragten die Gliedmaassen unver-
mittelt aus knapper Umhüllung. Man durfte an-
nehmen, dass griechische Frauen im Leben wenig-
stens am Festtag nicht viel anders ausgesehen haben.
Aber das passte nicht zu der Vorstellung, die die
Kunst uns übermittelt hat. Nun fragt es sich, wie
sahen denn die griechischen Frauen in der Kunst aus?
Die Statue (Abb. i), ein kleinasiatisches Origi-
nal des sechsten Jahrhunderts v. Chr., wird jeden
auf den ersten Blick so altfränkisch anmuten, wie

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