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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Kunstgespräche im Kriege, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0121

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Der Ältere: Das ist doch sehr merkwürdig!
Wissen Sie, dass ich genau dasselbe erlebt habe?
Nur hätte ich nicht geglaubt, dass es Ihnen ge-
schehen könnte.

Der Jüngere: Warum?

Der Ältere: Um das zu erklären, muss ich Ihnen
erzählen, was in diesen Wochen in mir vorgegangen
ist. Ich bin mir vor kurzem erst klar darüber ge-
worden und möchte sehr gern einmal davon
sprechen. —

Ist es übrigens nicht merkwürdig, dass wir
heute zum erstenmal während unseres Beisammen-
seins über Kunst sprechen und uns erinnern, dass
wir nicht nur Kameraden, sondern auch Kollegen
sind? Sie gehören freilich dem Kreise der Sezessions-
künstler an und ich habe stets im Kreise der Aka-
demiker gelebt; aber ich glaube doch nicht, dass
uns der alte Gegensatz zwischen Sezession und
Akademie hier noch voneinander ferngehalten hat.
Oder vielleicht doch — wer kann das wissen? Ich
bin einer Unterhaltung über Kunst vor allem aus-
gewichen, weil in diesen Wochen vieles in mir anders
geworden ist, weil der Krieg mich innerlich, als
Maler, revolutioniert hat. Mir ist es, als hätte ich
neue Augen. Ich schäme mich, wie banal und
nüchtern ich die Welt bisher gesehen habe. Ein
Gefühl, das ich nur ein grosses Erstaunen nennen
kann, hat sich meiner in dieser Zeit ganz bemäch-
tigt. Das verlässt mich nun keinen Augenblick.
Es ist da, wenn wir im Schützengraben liegen und
dem Feuer der Granaten ausgesetzt sind, wenn wir
durch brennende Dörfer ziehen und die Verwun-
deten sich winden sehen; es ist morgens da, wenn ich
aufwache, tagsüber auf dem Marsch und nachts,
wenn ich in diesen klaren Herbstnächten Wache
stehe. In den gefährlichsten Augenblicken ist dieses
merkwürdige Erstaunen am stärksten. Es ist nicht
ein Schauder vor der Grässlichkeit dieses Krieges
— das ist ein Gefühl für sich —; es ist vielmehr
eine Art von drohendem atemrauben den Glück darin,
es ist eine Offenbarung, die mich zeitweise ganz
überwältigt. Mir ist als wache meine Seele zu
einem neuen Leben auf und als wecke sie ihrer-
seits meine Augen auf. Denn es sind die Augen,
die voller Erstaunen sind; ihnen erscheint alles
Schreckliche grandios und romantisch, das Hässliche
ist ihnen schön, das Tote lebendig, sie sehen Linien
und Farben, Motive und Bilder, für die ich früher
blind gewesen bin. Plötzlich verstehe ich nun die
Meister, die ich sonst als rechter Akademiker miss-
achtet habe. Meine alte Weltanschauung ist mir

eingestürzt; an ihre Stelle ist etwas getreten, das
mir einen neuen malerischen Reichtum offenbart.
Eine neue Schönheit voll drohender Grösse.

Ich muss als Maler in allem umlernen. Denn
mit meinen alten Mitteln kann ich die Natur, wie
ich sie jetzt sehe, nicht darstellen. Wenn ich mit
einer Linie einen Pferdekadaver umschreiben könnte,
wie wir ihn in seiner monumentalen Schreckhaftig-
keit hier so oft sehen, wenn ich mit wenigen Tönen
die Stimmungen der Landschaften und des Wetters,
worin sozusagen das Murren der Ewigkeit ver-
nehmbar ist, wiedergeben könnte, so wäre das viel,
viel mehr als alles, was ich bisher mit saurem Fleiss
gemacht habe. Aber ich kann nicht zeichnen, was
ich sehe. Meine Hand ist noch eine Sklavin des
kleinlichen Handwerks, das ich bisher getrieben
habe. Kehre ich aus diesem Krieg zurück, so muss
ich im gewissen Sinne von vorn beginnen. Anstatt
die Gegenstände der Natur getreulich, objektiv,
wie man's nennt, darzustellen, muss ich lernen, sie
zu zeigen, wie sie dem mächtig erregten Gefühl
erscheinen. Ich muss Jemen, wie man Gefühle
malerisch darstellt, wie man die Handschrift der
Empfindung erlangt, wie man die Kunst zu einer
Seelenschrift macht, die von allen lebendigen Seelen
gelesen werden kann. Das scheint mir jetzt allein
die Arbeit des Künstlers zu sein. Ich weiss jetzt,
dass die Dinge an sich weder schön noch hässlich,
weder gross noch klein sind, dass die Anschauung,
das Gefühl sie erst zu diesem oder jenem macht.
Sie sind was wir hineintragen.

Ihnen sage ich damit ja nichts Neues. Ihre
Bilder, die ich früher verlachte und die ich jetzt zu
verstehen beginne, beweisen, dass Sie ohne die An-
schauungslehren dieses Krieges das grosse schöp-
ferische Erstaunen kennen gelernt und erworben
haben. Sie haben die Natur in manchem Zug schon
dargestellt, wie ich sie jetzt sehe. Darum verstehe
ich Ihre Enttäuschung nicht und es überrascht mich,
dass Sie sprechen, wie Sie es vorhin thaten.

Der Jüngere: Ich danke Ihnen für das Ver-
trauen und will es, so gut ich kann, erwidern.
Ich weiss, wie schwer es einem wird, so etwas zu
sagen. Aber wenn man täglich dem Tode gegen-
übersteht, nimmt man's nicht so genau. Sie haben
recht, auf dem Boden dieses neuen sich Wunderns
über Welt und Leben ruht die ganze moderne Ma-
lerei. Darum erscheint sie auch denen, die diese
Ursprünglichkeit der Anschauung nicht haben,
sinnlos und anarchisch.

Wir jüngeren modernen Maler aber, die wir

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