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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

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Heft 4
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Rhein, Fritz: Feldpostbriefe aus dem Westen: mit Zeichnungen vom Kriegsschauplatz, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0206

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waren.) Der Boden besteht aus Lehm, das giebt
einen schönen Brei; das einzige Feste war noch der
Tornister, auf dem man die ganzen Tage und Nächte
sass. Die Beine mussten erbarmungslos im Sumpf
nächtigen.

Schlamm. Die Leute mussten sich, obwohl Ruhr-
verdacht herrschte, unter ihre Zelte in den nassen
Schmutz eines aufgeweichten Ackers bei Regen-
sturm legen ohne Stroh oder irgend etwas. Alles
wegen der Gefechtsbereitschaft. Wir gingen in-

Am Tage beschossen sich die beiden Artillerien, korrekterweise in einen danebenstehenden Lager-

Vor uns lag der Gr. M., ein raffiniert zum Vertei-
digen eingerichteter Berg (die Franzosen sassen dort
in ihrem eigenen Exerzierplatz), unsere Artillerie
war zu schwach scheinbar. Jedenfalls rückten wir
um elf Uhr abends rückwärts ab, in vollständiger
Dunkelheit im Dickicht. Wir mussten uns durch
Verbindungsleute an die
vordere Kompagnie hal-
ten, manche Leute fielen
in alte Schützengräben
und so weiter, dabei
mussten allerlei Dinge wie
Patronenkästen, die ver-
teufelt schwer sind, mit-
geschleppt werden, eben-
so Brote, die gerade ver-
teilt waren. Ich werde das
nicht vergessen. Später
kam der Mond heraus,
als wir durch ein von den
Franzosen zusammenge-
schossenes Dorf zogen.
Unheimlich. Gegen 4.
wurden Zelte aufge-
schlagen und biwakiert.
Am anderen Tage sollten
wir trocknen und den
Dreck abkratzen. Neben
uns wurde ein Dorf von
den Bayern zur Strafe für
Spionage angesteckt. Man

hatte eine unterirdische Telephonverbindung zur
französischen Artillerie entdeckt.

Viel Schönes sehe ich. Gebäude mit Granat-
löchern, Verwüstung, Möbel, Betten auf der Strasse,
alles ganz selbstverständlich. Dazu entzückende
Landschaft, Gruppen und so weiter. Eine ganz be-
stimmte Atmosphäre. Alle Gegenstände verlieren
ihre Bestimmung. Fenster stehen sperrangelweit
auf, die Läden zerbrochen und herunterhängend.
Zäune, Hecken niedergetreten. Schade, dass ich
meine Aquarelltasche mit Stuhl und Sitz nicht mit-
nahm, doch meinen Koffer sehe ich heute zum ersten
Mal seit drei Wochen . . . Am Abend biwakierten
wir auf deutschem Gebiet in unbeschreiblichem

schuppen und schliefen auf leeren Säcken. Das
Essen wurde im Dunkeln bei Regen verteilt. Am
andern Morgen war ein Sturm, wie man ihn nur
an der See erlebt, wir marschierten weiter rückwärts
bis auf eine Höhe, wo wir uns wieder einbuddelten.
Das Wetter war so unaussprechlich, dass unsere

schönen Gräben schliess-
lich alle einstürzten,
die Unterstände, mit
schweren Balken zuge-
deckt, fielen den Leuten
nachts auf die Köpfe.

In den letzten Tagen
ging keine Feldpost von
hier wegen grosser
Truppenverschiebungen.
Man weiss wieder nichts,
man munkelt, phantasiert
oder ahnt. Beim Feind
ists ganz still. Vorgestern
abend hörten wir von
Metz her starken Kano-
nendonner, so dass trotz
der grossen Entfernung
der Boden zitterte. Man
spricht auch von einer
grossen Schlacht vor Paris
. . . Heute hausten wir
bei einer alten Bäuerin,
die direkt sauber ist und
gut kocht. Wir haben
mit zwei grossen Betten
am Tage weggenommen
werden. Es ist ein grosser Genuss einmal wieder
gut und ausgeschlafen, an einem Tischtuch zu sitzen;
die Leute haben zum Teil schöne alte Möbel. Wenn
es nicht ununterbrochen regnete, könnteicharbeiten,
aber nach all der Nässe und Kälte bleibe ich lieber
im Hause. Morgen geht es wieder in den Schlamm,
es muss wieder gebuddelt werden, was bei dem
Wetter fast unmöglich ist.

S. 20. Oktober
Neulich hatte ich einen Tag Urlaub für S., um
Einkäufe zu machen. Zurück fuhr ich mit einem

FRITZ RHEIN, IM SCHÜTZENGRABEN

zu sechsen ein Zimmer
und zwei Lagern, die

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