Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 13.1915

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Warschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4714#0290

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mehr erhalten; doch können die in und hei Dresden
von ihm erbauten Adelspaläste immerhin einen un-
gefähren Anhaltspunkt dafür geben, mit welchem Reich-
tum der Phantasie er eine so mächtige und ausgedehnte
Anlage wie das Sächsische Palais in Warschau mit seinen
Kapellen und Theatern, Galerien und Prachttreppen
auszustatten wusste. Der Garten dieses Palais bildet noch
heute den Glanzpunkt der polnischen Hauptstadt. Ein
anderer, noch grossartigerer Plan Pöppelmanns für den
Neubau eines Königsschlosses zu Warschau ist nicht zur
Ausführung gelangt. Neben Pöppelmann hat in War-
schau vielfach noch ein anderer Architekt der Dresdener
Bauschule gearbeitet, der als Erbauer des sogenannten
Japanischen Palais in Dresden-Neustadt bekannte Lon-
gelune. Von ihm stammt der Bau eines auf breiter
Terrasse errichteten Gartensaales im Sächsischen Garten
und die grossartige Anlage eines Bades im Mjasdower
Garten, des jetzigen Schlosses Lazienki. Der schön-
gegliederte, inmitten eines kleinen Sees reizvoll ge-
legene Bau atmet durchaus den strengen Geist franzö-
sischen Klassizismus, als dessen begeisterter und über-
zeugter Anhänger sich Longelune in all seinen Bauten

bekannt hat. Der gegenwärtige Zustand giebt nur noch
ein ungefähres Bild des ursprünglichen Eindrucks, der
durch Anbauten und Umgestaltungen im Laufe der Zeit
mehrfach verdorben wurde.

Fremde Künstler waren es also, die Warschau den
Stempel seiner architektonischen Physiognomie aufge-
drückt haben. Zur Zeit ihres höchsten politischen Glanzes
hat diese Stadt ausschliesslich vom Import deutscher und
französischer Baukunst gelebt. Ebensowenig wie die
Renaissance hat in Polen der Barockstil eine selbständige,
von starker nationaler Kunstkraft geförderte Ausprägung
erfahren. An den überlieferten Gesetzen und Grund-
formen der importierten Stile wurde aufs strengste fest-
gehalten. Nur ganz vereinzelt spürt man in der Behand-
lung des Details die besonderen Eigenschaften des pol-
nischen Volkscharakters durchdringen,die düstre Schwer-
blütigkeit und die ungebändigte Gewalt eines leiden-
schaftlichen, leicht entflammten Temperaments. Als
Beispiel dafür darf dem Renaissancebau der Krakauer
Tuchhalle aus der Barockzeit die hier abgebildete (künst-
lerisch freilich nicht gleichwertige) Schlossarchitektur
von Wilanow bei Warschau zur Seite gestellt werden.

W. C. B.

WARSCHAU, LUSTSCHLOSS LAZIENKI

268
 
Annotationen